Blut, Sperma, Trnen: 125 Jahre «Tosca»
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Blut, Sperma, Trnen: 125 Jahre «Tosca»

In diesem Jahr feiert die Oper «Tosca» von Giacomo Puccini ihr 125-jhrige Jubilum: ein musikalisches Drama um Liebe, Macht und Missbrauch. Am 14. Januar 1900 fand im Teatro Costanzi in Rom die Urauffhrung statt. Die Oper zhlt heute weltweit zum festen Bestandteil des Repertoires wofr nicht zuletzt die Leidenschaft schwuler Mnner beigetragen hat. Vor allem die fr die Titelheldin Floria Tosca vorgesehene Arie «Vissi d’arte, vissi d’amore» beginnend mit den Worten: «Ich lebte fr die Kunst, lebte fr die Liebe» trifft auch heute noch viele queere Opernfans wie ein Pfeil ins Herz.

Eine Chorfassung hat der Portland Gay Men’s Chorus, einer der weltweit grten und ltesten schwulen Chre, seit 2016 in seinem Repertoire. Und auch wenn die Titelrolle an den groen Opernhusern bislang noch nicht von einem Mann besetzt wurde, haben sich zumindest ein paar queere Countertenre daran in konzertanten Auftritten versucht. Dazu zhlt etwa der Japaner Tomotaka Okamoto, dessen Performance mit dem epochalen Auftritt von Maria Callas aus dem Jahr 1964 zumindest hinsichtlich der Kostmierung mithalten kann: Okamoto ist dabei in ein wallend weies Gewand gehllt, das zweifellos ber musealen Charakter verfgt.

Beachtung verdient auch der legendre Auftritt des Countertenors Lionel Stoffel im Brssler Palais des Beaux-Arts von 2013, der viele Menschen begeisterte. Und fr den diesjhrigen ESC-Sieger Johannes «JJ» Pietsch, der bislang an der Wiener Staatsoper eher in kleinen Nebenrollen Rollen glnzte, wrde einem aktuellen Bericht zufolge mit einer Besetzung als Floria Tosca ein Traum in Erfllung gehen.

Zu den bekanntesten schwulen Fans von «Tosca» zhlt der «Mayor of Castro Street» Harvey Milk. Am Abend vor seiner homophob motivierten Ermordung am 27. November 1978 nahm Harvey Milk an einer Vorstellung der San Francisco Opera teil. Als der Regisseur Gus van Sant im Jahr 2008 die Geschichte verfilmte, bestimmte er gleich vier Arien und Ensemblestcke aus Tosca zum Soundtrack von Milks Leben. Dabei spielte gewiss nicht nur die authentische Opernbegeisterung Milks eine Rolle, sondern auch die Metaphorik und das Angebot an schwulen Identifikationsmerkmalen, die sich aus dem Schicksal der Titelheldin Floria Tosca ergeben, wie etwa die Erfahrung mit staatlicher Willkr und Gewalt. Das Kmpferische und das Gebrochene, beides ganz nah beieinander liegend. Sehnsucht, Liebesglut, Tragik. All das spiegelt sich nicht nur in der Opernhandlung wieder, sondern auch in den musikalischen Kontrasten, die dem Zuhrer extreme Ausprgungen an Emotionalitt und rasche Stimmungsumschwnge signalisieren.

Emotionale Achterbahnfahrt

Nicht zuletzt deswegen gert man bei «Tosca» nur allzu leicht in Gefahr, in die Homo-Klischeefalle zu tappen. Doch nicht bei jedem schwulen Opernfan rangiert das bisweilen unter Kitschverdacht stehende Puccini-Werk ganz oben auf der Favoritenliste. So drfte Benjamin Britten etwa zu jenen zhlen, die sich von Tosca zwar auch berhrt fhlten, jedoch eher auf unangenehme Art: Er hat Puccini verabscheut und klagte ber dessen Effekthaschereien. Britten zieht zwar in einem Interview zur Begrndung ein anderes Werk als Beispiel heran, nmlich La Bohme, doch das von Britten getadelte unmittelbare Erzeugen von Emotionen ist ein fast durchgngiges Merkmal in Puccini-Opern. In «Tosca» wird diese musikdramaturgische Methodik sogar noch auf die Spitze getrieben.

Mit seiner kritischen Haltung steht Britten beileibe nicht alleine da. ber die emotionale Achterbahnfahrt, die Puccini seinem Publikum mit «Tosca» zumutet, ist immer mal wieder gelstert worden. Obgleich die Oper in ihrer stilistischen Ausrichtung die Abbildung von Realitt auf der Bhne anstrebt, wurde das Werk von der Kritik schlichtweg als unglaubwrdig bezeichnet.

Schnittstelle zwischen Kitsch und Kunst

Doch just mit diesem Einwand gewinnt die Oper wiederum unter einem ganz anderen Blickwinkel an Bedeutung. Sie bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Kitsch und Kunst und ffnet damit die Tr zur Camp-sthetik der halbironischen Wahrnehmung mit besonderer Faszination fr bertreibung und Hysterie, fr Grenzerfahrungen und Queerness, die fest in der schwulen Subkultur des 20. Jahrhunderts wurzelt. Aus dieser Perspektive braucht man die Identifikationsmerkmale in «Tosca» freilich nicht ganz so ernst nehmen, wie sie dramaturgisch daherkommen. Das Paradoxe dabei ist: Man kann sie dennoch genieen.

Nimmt man die Titelheldin Floria Tosca genauer unter die Lupe, entdeckt man bereits ganz am Anfang, dass sie der Inbegriff einer Dramaqueen ist. Ist es doch ein besonderer Clou dieses Werkes, dass bei einer Tosca-Auffhrung zwangslufig eine echte Opernsngerin die Figur einer fiktiven Opernsngerin verkrpert. Ein Spiel mit der Vermischung von Realitt und Fiktion, das sich in der Handlung fortsetzt, denn zeigt sich doch gleich bei ihrem ersten Auftritt, dass Tosca nicht immer genau zwischen Bhnengeschehen und echtem Leben zu unterscheiden wei. Ohne erkennbaren Anlass wird die Titelheldin von Gefhlen regelrecht berwltigt. Tosca entfaltet vor ihrem Geliebten Mario Cavaradossi ein geradezu neurotisches Hirngespinst.

Volle Blut-Sperma-Trnen-Drhnung

Zunchst beschwrt sie in leuchtenden Farben das gemeinsame Liebesnest im Grnen. Sie vergewissert sich ihrer Leidenschaft, in dem sie die Sterne anfleht und sich selbst dabei in die dritte Person versetzt: «Ach, ihr tausend Sterne am Himmelszelt, blickt auf Toscas heie Liebe herab!» Gleich darauf erlebt sie einen abrupten Stimmungsumschwung. Rasch aufkeimendes Misstrauen mndet in Eifersuchtswahn. Wohlgemerkt, dies alles aus nichtigem Anlass. Dabei stehen ihr die eigentlichen Katastrophen, die sie gerade durch ihre Eifersucht mit heraufbeschwrt, erst noch bevor.

Es ist die volle Blut-Sperma-Trnen-Drhnung, der das Publikum ausgesetzt wird. Sexuelle Erpressung und Folter, Totschlag sowie heimtckischer Mord. Und schlielich der spektakulre Suizid Toscas als Sprung von der Engelsburg, der in frheren Inszenierungen schon hier und da zu einer peinlichen Panne gefhrt hat, weil die bhnentechnische Abfederung des Auffangnetzes mit dem realen Gewicht der Primadonna nicht korrekt abgestimmt war.

Der Ursprung aller Hysterie

Besonders ambivalente Gefhle jedoch drfte das Verhltnis zwischen Tosca und dem skrupellosen Polizeichef Scarpia hervorrufen, der sie sexuell begehrt und ihr ein Angebot macht, das sie kaum abschlagen kann. Verspricht er ihr doch im Gegenzug, die Folter an ihrem Geliebten einzustellen und ihn vor der Hinrichtung zu bewahren. Es ist eine grausame Scheinwahl, vor die Tosca gestellt wird eine geradewegs archetypische Situation, die man als Ursprung aller Hysterie bezeichnen darf. Es mag auf das Publikum verstrend wirken, dass der sadistische Scarpia mit seinem Gesang eine derart zwiespltige erotische Faszination entfaltet. Wenn er seine phallisch-machtdemonstrative Arie «Te deum» mit einem entsprechend donnernden Bariton vortrgt, drfte dies keinen Hormonhaushalt unberhrt lassen.

Welch Kontrast dagegen das Mitgefhl, das Toscas verurteilter Liebhaber erweckt, wenn er in seiner Todeszellen-Arie der gemeinsamen schnen Zeit mit Tosca gedenkt: «Und es funkeln die Sterne» «E lucevan le stelle»! Neben «Vissi d’Arte» zhlt dieser Moment zu den ergreifendsten, mit denen das Hrempfinden im Laufe der nervenzermrbenden Handlung nicht allzu hufig verwhnt wird. Lehnt man sich dann mal entspannt zurck, sorgt schon bald darauf das Orchester mit der nchsten aufpeitschenden, allerdings sehr differenzierten Dynamik fr die entsprechende Spannung, die einem Opernthriller gebhrt.

Eine der weltweit meistgespielten Opern

«Tosca» gehrt unstreitig zum festen Bestandteil des weltweiten Opernrepertoires. Den Erfolg ihrer literarischen Vorlage Victorien Sardous La Tosca aus dem Jahr 1887 hat die Oper bereits nach wenigen Jahren berflgelt. Dabei war das Drama lngst vor seiner Vertonung durch Puccini ein absoluter Kassenschlager an Europas Schauspielhusern und fand auch schon zu seiner Zeit ein homo­sexuelles Publikum. In der Titelrolle: der damalige Weltstar Sarah Bernhardt, eine der frhen modernen Schwulenikonen. Die Muse von Oscar Wilde wurde u.a. in Mailand fr ihre Darbietung gefeiert, wo im Jahr 1890 der Komponist einer Auffhrung beiwohnte. Bis Puccini jedoch die Rechte an «Tosca» erwarb, ein stark verdichtetes Libretto vorlag und die Komposition schlielich vollendet wurde, vergingen weitere neun Jahre. Zwar wurde die Urauffhrung im Jahr 1900 noch von politischen Unruhen berschattet, doch nicht lange danach begann der Triumphzug. Inzwischen zhlt die Oper zu den fnf meistgespielten auf der ganzen Welt.

Noch in diesem Jahr ist sie allein in Deutschland in ber zwanzig Vorstellungen an Opernhusern in Hamburg, Mnchen, Frankfurt und Berlin zu sehen. Und zunehmend wird die berbordende Emotionalitt von der Regie als Schlssel genutzt, um berlieferte Rollenbilder in Frage zu stellen was dem Blick auf die Dramaqueen von einst eine berraschend zeitgenssische Tiefenschrfe verleiht.