
Immer mehr Chemsex-Tote in London
In Grobritannien nimmt der Konsum von Chemsex ein schockierendes Ausma an. Dies zeigt ein Dokumentarfilm des TV-Senders ITV mit dem Titel «After the high: Chemsex, beyond the myths». Die Doku wurde gerade im Fernsehen ausgestrahlt und ist ber YouTube auch auerhalb von Grobritannien zu sehen.
Der Begriff Chemsex beschreibt den Konsum von chemischen Substanzen beim Sex unter meist schwulen oder bisexuellen Mnnern. Mit den Substanzen, die oft auf Partys eingenommen werden, knnen die Mnner stundenlang hemmungslosen Sex haben. Verwendet werden dabei etwa Crystal Meth, GHB/GBL, Mephedron und Ketamin.
Chemsex ist auch im deutschsprachigen Raum in der schwulen Szene weit verbreitet. In Teilen der schwulen Community und in Dating-Apps werden dafr auch Begriffe wie «High and Horny» (HnH) und «Party and Play» (PnP) verwendet. Chems werden unter anderem geraucht, gesnifft, aber auch oral oder anal eingenommen, gelegentlich auch gespritzt. Die konsumierten Substanzen bergen verschiedene Risiken, wie die Dokumentation in Grobritannien zeigt. So kann bei Betroffenen ein Kontrollverlust und ein «Blackout» auftreten. Die Mnner knnen die Situation, in der sie sich gerade befinden, nicht mehr beeinflussen. Auch kann es nach dem Konsum zu depressive Episoden, Panikzustnden und teilweise sogar zu Psychosen kommen. Besonders gefhrlich ist eine berdosierung oder die Kombination verschiedener Substanzen, die im schlimmsten Fall tdlich enden knnen.
Tglich mindestens ein Notruf
Die Dokumentation von ITV beginnt mit dem Interview eines Vaters, der seinen schwulen Sohn verloren hat, weil dieser entsprechende Substanzen konsumiert hat. Der Sohn starb im Alter von 27 Jahren. Dabei handelt es sich um keinen Einzelfall.
ITV News Digital Reporter Sam Leader spricht in der Doku von einer «stillen» Krise mit Drogentoten, die Teile der LGBTI-Community in ganz Grobritannien erschttert. Schockierend sind die Zahlen, die in dem Film alleine fr London genannt werden. Angaben der Londoner Metropolitan Police zufolge sind im Jahr 2023 in der britischen Hauptstadt durchschnittlich drei Menschen pro Monat an den Folgen von Chemsex gestorben. Fr 2024 liegen noch keine Zahlen vor. Die Polizei befrchtet jedoch, dass die Zahl der Chemsex-Toten einen Rekordstand erreichen wird.
Kommt es beim Konsum von chemischen Substanzen zu gefhrlichen Situationen wird zuerst die Rettung angerufen. Die London Ambulance Service spricht davon, dass bei ihr tglich mindestens ein Notruf wegen Chemsex eingeht. Auch die Zahl der Krankenhausaufenthalte nimmt zu. Naomi Fitzgerald, Medizinerin und Expertin vom King’s College Hospital in London, erklrte in der TV-Doku, dass ungefhr 30 Prozent der drogenbedingten Aufnahmen im Krankenhaus in Verbindung mit Crystal Meth und GHB/GBL stehen. Das King’s College Hospital ist eines der grten Krankenhuser in der britischen Hauptstadt.
Die dunkle Seite bei Chemsex
Die TV-Doku zeigt das Ausma der Chemsex-Problematik aus verschiedenen Perspektiven. Es ist das erste Mal, dass fr das Londoner Gesundheitssystem entsprechende Zahlen ber Chemsex-Flle verffentlicht werden. In der Doku wird Kritik an der britischen Regierung und am National Health Service (NHS) gebt. Der NHS-Dienst ist als staatlicher Gesundheitsdienst fr die medizinische Versorgung aller Menschen in Grobritannien zustndig. Doch nach Ansicht von Expert*innen tut der NHS im Zusammenhang mit Chemsex zu wenig. «Ich mchte, dass der NHS die Komplexitt des Thema versteht», so Naomi Fitzgerald. Auch soll eruiert werden, wie viele Ressourcen bentigt werden, um sich um die betroffenen Menschen zu kmmern. Sie, so Fitzgerald, knne nur fr das King’s College Hospital sprechen. Aber sie vermutet, dass die Situation in anderen Krankenhusern hnlich ist. Die Medizinerin appelliert an die Gesellschaft, der Chemsex-Sucht mit einer mehr sympathischeren und verstndnisvolleren Sicht zu begegnen.
Auch Inspector Allen Davis von der Metropolitan Police in London sieht Handlungsbedarf. Er sagte in der TV-Doku: «Menschen sterben, junge Mnner sterben. Wir mssen etwas tun.» Chemsex sei nicht nur in London ein Thema, er sei dazu auch von Polizeikrften im ganzen Land kontaktiert worden. Im Jahr 2023 registrierte die Londoner Polizei 380 mutmaliche Straftaten im Zusammenhang mit Chemsex. Dabei ging es hauptschlich um Gewaltdelikte und Sexualdelikte. «Es gibt eine Art dunkle Seite in allem, was wir sehen», so Allen Davis. Er uerte die Vermutung, dass es im Zusammenhang mit Chemsex viele nicht angezeigte Vergewaltigungen gibt.
Auf Vorsichtsmanahmen achten
Die Zunahme von Chemsex in Teilen der schwulen Community hngt damit zusammen, dass sexuelle Begegnungen mit den Substanzen viel intensiver und lnger erlebt werden. Betroffene berichten von rauschartigen und hemmungslosen Zustnden, was zu gewaltttigen bergriffen und Vergewaltigungen fhren kann. Expert*innen raten daher in diesem Zusammenhang zu entsprechenden Vorsichtsmanahmen. Ganz wichtig ist der Konsens beim Sex und beim Konsum von chemischen Substanzen. Personen, die Chems nehmen, sollen immer darauf achten, nie die Kontrolle zu verliefen. Auch soll im Auge behalten werden, wie es den Partnern geht. Zu den Vorsichtsmanahmen gehrt zudem, sich vorab zu informieren, welche Substanzen konsumiert werden. Auch soll immer eine Person dabei sein, die im Notfall helfen oder Hilfe organisieren kann.
Im deutschsprachigen Raum kommt es ebenfalls zu Todesfllen im Zusammenhang mit Chemsex. 2023 sind in Kln diesbezglich vier Menschen gestorben, berichtet die dortige Aidshilfe. Ein besonders extremer Vorfall ereignete sich in Wien. Dort wurde 2023 ein Wiener im sogenannten Chemsex-Prozess wegen Vergewaltigung mit Todesfolge zu sieben Jahren Haft verurteilt (queer.de berichtete). Laut Gerichtsangaben habe der Angeklagte einen Mann zu sich nach Hause gelockt und mit der Droge Liquid Ecstasy betubt. Dann habe sich der Tter mehrfach an dem Mann vergangen und das Ganze gefilmt. Ein Psychiater sagte im Verfahren aus, der Angeklagte leide an einer schweren Persnlichkeitsstrung, die durch jahrelangen Drogenkonsum begnstigt worden sei.
Frheren Studien zufolge haben in sterreich rund 20 Prozent der homo- und bisexuellen Mnner chemische Substanzen beim Sex konsumiert, wobei nicht alle abhngig wurden. Manche Mnner haben die Substanzen ohne Zwischenflle konsumiert. Dann gibt es eine zunehmende Zahl von Mnnern, die nach dem Konsum mit gesundheitlichen und psychischen Problemen zu kmpfen haben. Hinter dem Drogenkonsum kann oft ein tief liegendes Stigma- und Schamerlebnis liegen. Bei der Genesung und in der Therapie geht es unter anderem darum, dass betroffene Mnner einen Zugang zu den eigenen Gefhlen finden und sich mit verdrngten Themen wie Scham und Ausgrenzung auseinandersetzen.