Artikel 3 im Bundestag: Union unentschlossen, AfD zieht Pdo-Karte
8 mins read

Artikel 3 im Bundestag: Union unentschlossen, AfD zieht Pdo-Karte

Der Bundestag hat am Donnerstagvormittag wieder einmal ber die Ergnzung von Artikel 3 des Grundgesetzes um das Merkmal «sexuelle Identitt» debattiert und es zeigt sich, dass es trotz jahrzehntelanger Debatten wohl noch ein weiter Weg bis zur Verabschiedung ist. Eingebracht hatten den Antrag die oppositionellen Grnen, dabei aber einen wortgleichen, berparteilichen Beschluss des Bundesrates vom 26. September als Vorlage genommen.

In dem Entwurf (PDF) heit es, dass Artikel 3 im Grundgesetz im ersten Satz von Absatz 3 um den Zusatz «sexuelle Identitt» erweitert wird. Aktuell lautet der Satz: «Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religisen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.» 1994 wurde noch hinzugefgt: «Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.»

Von SPD und Linken kam in der mehr als einstndigen Debatte grundstzliche Zustimmung zu dem Antrag. Sprecher*innen der Union wiederholten zwar mantraartig, dass sie gegen Diskriminierung von queeren Menschen seien. Gleichzeitig behaupteten sie aber, dass eine nderung eigentlich nicht notwendig sei obgleich unter diesem Grundgesetz Homosexuelle etwa bis 1994 durch den Paragrafen 175 verfolgt worden sind.

«Es geht hier nicht um parteipolitische Debatten»

Nyke Slawik, die queerpolitische Sprecherin der Grnen, stellte den Antrag vor und appellierte an die Union: «Im Artikel 3 klafft eine Lcke, eine historische Wunde, ein bedrohliches Schweigen. Daher danke ich dem Bundesrat fr sein starkes Votum und sage heute: Auch wir als Bundestag mssen uns unserer Verantwortung stellen!», so die Leverkusenerin. «Es geht hier nicht um parteipolitische Debatten, sondern um Haltung fr Demokratie. Es geht um Menschlichkeit.» Das habe der Bundesrat parteibergreifend erkannt. «Denn das ist kein Gesetzentwurf der Grnen», erklrte Slawik. In der Lnderkammer sei er schlielich von Ministerprsident*innen der CDU (Kai Wegner aus Berlin, Daniel Gnther aus Schleswig-Holstein und Hendrik Wst aus Nordrhein-Westfalen) mit eingebracht worden. «Es gibt keinen Grund, lnger zu warten.»

Das sahen Redner*innen der Union freilich anders. Martin Plum, Ansgar Heveling (CDU), Christian Moser (CSU) und Tijen Ataoğlu (CDU) erklrten, das Grundgesetz verbiete schon heute Diskriminierung aufgrund sexueller Identitt. «Diese nderung ndert nichts. Sie wiederholt verfassungsrechtlich nur das, was lngst gilt», erklrte etwa Blum. Queere Menschen seien «bereits jetzt vollstndig abgesichert», so Heveling. Dabei verwiesen die Abgeordneten auf die Rechtsprechung und aktuelle Grundgesetzkommentare.

«Flirt mit der extremen Rechten oder Grundgesetz strken»

Der Ansicht, queere Menschen seien automatisch fr immer gesichert, widersprach unter anderem der queerpolitische Sprecher der Linksfraktion, Maik Brckner. Er verwies dabei beispielsweise auf das EU-Land Ungarn, das die Rechte queerer Menschen etwa durch das Homo-Propaganda-Gesetz aus dem Jahr 2021 extrem einschrnkt.

Auch den von der Union geforderten Gesprchsbedarf sieht er nicht: «Die Idee ist wirklich nicht neu», so Brckner. Schon der Verfassungsentwurf des Runden Tisches der DDR habe einen derartigen Schutz vorgesehen. «Leute, das war vor 35 Jahren», erklrte Brckner. «Von einem Schnellschuss kann wirklich keine Rede sein. Es wird hchste Zeit, dass das endlich vorankommt. Bei jeder Fraktion auer der Union sei klar, wie sie abstimmen wird. «Sie haben die Wahl: Flirt mit der extremen Rechten oder Grundgesetz strken», so Brckner weiter.

SPD-Redner*innen signalisierten grundstzliche Zustimmung, kritisierten jedoch den Antrag der Grnen wie es auch die Abgeordneten der Union taten. Vor der Einbringung msse man erstmal ber die Sache reden, so ihre Forderung. Die SPD-Politikerin Carmen Wegge warf der kofraktion vor, keinen Dialog mit anderen Fraktionen zu suchen, sondern «auf Konfration gesetzt» zu haben. Der Sozialdemokrat Hakan Demir stellte fest, dass derzeit die Zweidrittelmehrheit «noch nicht» erreicht sei, es aber Redebedarf gebe.

Immerhin: Als letzter Redner erklrte der CDU-Politiker David Preisendanz, dass er sich fr eine Reform ausspreche: Fr ihn wiege schwer, «dass wir in Artikel 3 bereits heute bestimmte Gruppen explizit auffhren, die Opfer von Diskriminierung sind». Homosexuelle Menschen seien «die einzige Opfergruppe der Nationalsozialisten, die nicht in Artikel 3, Absatz 3 aufgenommen wurden, und auch unter Geltung des Grundgesetzes strafrechtlich verfolgt wurden». Gleichzeitig behauptete auch er, dass eine «rechtliche Schutzlcke» eigentlich nicht existiere.

Die Grnen versuchten, ihren Antrag als «wahrhaft parteibergreifend» darzustellen, wie Helge Limburg in der Debatte betonte. «Der Bundesratsbeschluss zeigt, dass Diskriminierungsschutz nicht eine bestimmte Parteifarbe hat», sagte der Niedersachse. In die Reihen der Union rief er: «Meine Damen und Herren: Was verlieren heterosexuelle Cis-Mnner wie ich einer bin, durch eine Ausweitung der Diskriminierungsverbote? Was wird uns weggenommen: Nichts!»

AfD setzt auf Konfrontation und verbreitet Lgen

Aggressiv zeigten sich die vier Abgeordneten der AfD, die zum Thema sprachen. Drei Redner, Fabian Jacobi, Stephan Brandner und Ulrich vonZons fhrten dabei Pdophilie als Grund an, warum sexuelle Identitt nicht anerkannt werden drfe. Pdosexualitt und Zoophilie seien etwa «streng genommen Ausprgungen der sexuellen Identitt», behauptete etwa von Zons. Jacobi erklrte: «Die Feststellung etwa, dass das sexuelle Interesse an Kindern eine Identitt begrndet, die dann von der Verfassung geschtzt wre, bedarf keiner berdehnung des Begriffs. Sie liegt vielmehr nahe.»

Freilich ist das eine Lge: Pdosexuelle Handlungen sind in Deutschland immer auch nach einer mglichen Verfassungsnderung strafbar, da Kinder nicht einwilligungsfhig sind. Das Bundesverfassungsgericht hatte etwa 2008 in einer Entscheidung geschrieben, das Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung «findet seine Grenze, wo die sexuelle Selbstbestimmung anderer betroffen ist, insbesondere bei Kindern». Das trifft auch auf Sex mit Tieren zu. Auch sind Begriffe wie «sexuelle Orientierung» oder «sexuelle Identitt» schon lnger durch diverse Gesetzen oder Landesverfassungen etabliert-

Brandner sorgte in seiner Rede mal wieder fr einen Eklat, als er gerade darber sprach, dass sich manche Menschen zu «Tieren hingezogen fhlen» und nebenbei die Grnenpolitikerin Claudia Roth beleidigte («Sie glauben gar nicht, an was ich denke, wenn ich Sie sehe»). Bundestagsprsidentin Julia Klckner schritt mit den Worten ein: «Das geht hier jetzt zu weit.» Nach der Brandner-Rede sagte die CDU-Politikerin: «Menschen mit unterschiedlicher sexueller Identitt lcherlich zu machen, [] das gehrt sich fr dieses Hohe Haus nicht und deshalb rge ich das.»

Die AfD-Vizefraktionschefin Beatrix von Storch zeigte in ihrer Rede ihre pauschale Ablehnung gegenber queeren Menschen. Trans Frauen bezeichnete sie etwa abwertend als «Mnner, die rumheulen, weil man sie mit falschem Pronomen anspricht». Gleichzeitig brandmarkte die Berlinerin die Union, weil sie angeblich zu queerfreundlich geworden sei: «Wer eine andere Politik will, die ganz sicher Gender-Gaga in den Mlleimer gerne in die Biotonne schiebt und nicht ins Grundgesetz, dem bleibt nur die AfD.»

«Wandernder Altherrenwitz»

Der SPD-Abgeordnete Helge Lindh brandmarkte in einer frei gehaltenen Rede die AfD: Dass sie so oft ber «sexuelle Perversion» spreche, sage etwa mehr ber die Partei aus als ber queere Menschen. Er warf den Rechtsextremen «Demagogie» vor und bezeichnete die Partei als «wandernden Altherrrenwitz». Zudem kritisierte er, wie die AfD ber queere Menschen spreche: «Es geht hier um das Leben und die Freiheit von Menschen, nicht um eine Ideologie», so Lindh.

Nun wird das Thema in den Ausschssen besprochen. Fr eine Verabschiedung wre eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Da die rechtsextreme AfD ber fast ein Viertel der Sitze verfgt, mssten also die Zustimmung von SPD, Grnen und Linken vorausgesetzt auch die berwiegende Mehrheit der Unionsabgeordneten dafr stimmen. Das drfte schwierig werden. Zur Erinnerung: Bei der Abstimmung zur Ehe fr alle votierten 2017 drei Viertel der Unionsabgeordneten dafr, am Ehe-Verbot fr Schwule und Lesben festzuhalten (queer.de berichtete). Auch eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat gilt nicht als sicher, da ein Koalitionspartner das jeweilige Bundesland dazu zwingen kann, sich bei der Abstimmung zu enthalten und im Bundesrat wird eine Enthaltung wie eine Nein-Stimme gewertet.

Das Thema von Artikel 3 ist bereits wiederholt im Bundestag debattiert worden. Queere Organisationen fordern die Einfhrung aber bereits seit gefhlten Ewigkeiten. Vor knapp 20 Jahren machte der queere Verband LSVD etwa eine Kampagne fr die Einfhrung, bei der er auch von Promis untersttzt worden ist etwa von Showmaster Jrgen von der Lippe oder Hitparaden-Legende Dieter Thomas Heck (1937-2018), der ein engagiertes CDU-Mitglied war (queer.de berichtete). Unklar ist daher, warum die Union nach jahrzehntelanger Debatte immer noch Redebedarf sieht.

brigens: Bei einer Bundestagsanhrung im Jahr 2020 waren sich alle (!) Sachverstndigen einig, dass es positiv wre, sexuelle Identitt ins Grundgesetz aufzunehmen (queer.de berichtete). Vielleicht sollten sich einige Unionsabgeordnete noch einmal diese Einschtzungen anhren.