CSD Berlin so gro und politisch wie lange nicht mehr
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CSD Berlin so gro und politisch wie lange nicht mehr

Am Berliner CSD haben am Samstag mehrere hunderttausend Personen teilgenommen. Die Demonstration war so gro und politisch wie lange nicht mehr. Die gesellschaftliche und politische Situation hat die queere Community und ihre Untersttzer*innen offenbar im besonderen Mae mobilisiert. Groe Untersttzung erfuhr der CSD auch durch namhafte Knstler*innen, Politiker*innen und Live-Streams von Medien.

Die diesjhrige Erffnungsrede hielten die beiden Bundestags-Vizeprsident*innen Josephine Ortleb (SPD) und Omid Nouripour (Grne). Ein Gruwort hielten auch die ehemalige Bundestags-Vizeprsidentin Petra Pau (Linke) und die Berliner Antidiskriminierungs-Senatorin Cansel Kiziltepe (SPD).

Ortleb: Gleichberechtigung ist kein Selbstlufer

«Wir erleben, wie queere Menschen zunehmend ins Visier rechter Hetze geraten in Wahlprogrammen, in politischen Debatten, auf der Strae. Das drfen wir nicht hinnehmen», sagte Ortleb in ihrer Rede. «Der Berliner CSD erinnert uns daran, dass Gleichberechtigung kein Selbstlufer ist. Er ist ein Raum der Sichtbarkeit und der Solidaritt. Als Bundestagsvizeprsidentin stehe ich an der Seite der queeren Community laut, klar und entschlossen gegen jede Form von Menschenfeindlichkeit.»

Omid Nouripour ergnzte: «Als Vizeprsident des Deutschen Bundestages ist mir wichtig, deutlich zu machen: CSDs sind gelebte Demokratie. Der Einsatz fr Grundrechte ist keine Frage von Neutralitt, sondern ein Auftrag fr alle Demokratinnen und Demokraten. LSBTTIQ+ brauchen europaweit Solidaritt gerade in diesen Zeiten. Ich freue mich, bei der Erffnung des Berliner CSDs dabei zu sein.»

Marcel Voges, Vorstand im Berliner CSD e.V., rief entschieden dazu auf, dass sich die gesellschafliche Mitte hinter die queere Community stellt: «Der CSD steht fr Demokratie und Menschenrechte. Und in einer Zeit, in der queere Menschen vermehrt Angriffen ausgesetzt sind, braucht es ein entschiedendes Handeln der Politiker*innen.»

80 Trucks und ber 100 Fugruppen

Der Zug setzte sich um 12.30 Uhr in Bewegung. Mit dabei waren 80 Fahrzeuge und ber 100 Fugruppen. Unter dem Motto «Nie wieder still!» zog die friedliche Demonstration durch die Straen Berlins, um fr die Rechte der queeren Community einzustehen.

Whrend der Demonstration wurde an wichtigen Punkten wie dem Bundesrat, Potsdamer Platz und Nollendorfplatz Redebeitrge abgehalten. Unter anderem sprachen Vertreter*­innen des Budapest Pride und des Stonewall Inn aus New York auf dem Vorstandswagen an der Spitze des Zuges. Insgesamt kamen ber 200 Personen auf den Wagen zu Wort, um die Diversitt der Community zu zeigen und sich fr Demokratie und Vielfalt einzusetzen.

Zahlreiche Anspielungen auf «Zirkuszelt»-Aussage

Ein zentrales Thema bei der Demonstration war die Kontroverse um die Regenbogen­flagge auf dem Bundestag. Bundestags­prsidentin Julia Klckner hatte das Hissen der Flagge untersagt, was Bundeskanzler Friedrich Merz (beide CDU) mit den Worten «Der Bundestag ist ja nun kein Zirkuszelt» verteidigte. Diese Aussage lste breite Kritik aus und wurde auf vielen Plakaten satirisch aufgegriffen etwa mit Sprchen wie «Genau mein Zirkus» oder «Willkommen im Zirkuszelt von Liebe, Recht und Freiheit, Herr Merz». Auch Bundestagsvizeprsident Nouripour hatte die Teilnehmenden unter Jubel mit den Worten «Hallo, Zirkus!» begrt (queer.de berichtete).

Anders als in vergangenen Jahren beteiligte sich das queere Regenbogennetzwerk der Bundestagsverwaltung dieses Jahr nicht am CSD. Die Verwaltungsspitze hatte der Gruppe eine Teilnahme untersagt. Aus Protest gegen diese Entscheidung hatten einige Teilnehmer*­innen Schilder dabei, auf denen stand: «Wir sind leider nicht dabei Hier wre das Regenbogennetzwerk der Bundestagsverwaltung mitgelaufen».

Wegner und Gnther-Wnsch in Partnerlook auf CSD

Berlins Regierender Brgermeister Kai Wegner und Bildungssenatorin Katharina Gnther-Wnsch (beide CDU) zeigten sich auf dem CSD im Partnerlook. Arm in Arm liefen sie in schwarzen Hosen und weien T-Shirts bei dem Umzug mit. Aus den Schuhen der CDU-Politikerin wei wie die ihres Partners blitzten Socken mit bunten Streifen hervor.

Wegner hatte im Vorhinein mitgeteilt, viele Einladungen fr die Wagen beim CSD bekommen zu haben und so viele wie mglich davon besuchen zu wollen. Vergangenes Jahr sei er auf etwa 15 Wagen mit dabei gewesen (queer.de berichtete). «Mit dem CSD geben wir der queeren Community Sichtbarkeit und zeigen auch, dass wir Hass, Diskriminierung oder Gewalt gegen die queeren Menschen nicht dulden», sagte der Regierende Brgermeister im Interview mit queer.de.

Soul of Stonewall Award fr Kampagne «Nie wieder leise»

Whrend die Demonstration noch andauerte, begann auf der Hauptbhne am Brandenburger Tor bereits die Abschlusskundgebung mit Redebeitrgen sowie knstlerischen und musikalischen Acts. Fr die Moderation des Kinder- und Jugendprogramms sowie des Hauptprogramms waren Daphne de Baakel, Ricarda Hofmann und Brix Schaumburg zustndig. Sie fhrten bilingual und charmant durch den Tag und Abend. Auerdem gab es Gebrdendolmetscher*innen.

Einer der Hhepunkte der Abschlusskundgebung war die Verleihung des Soul of Stonewall Awards an die Kampagne «Nie wieder leise» von Woman Life Freedom. Die Laudatio hielt Fraence Grethe. Den Award nahmen die Initiator*innen von Woman Life Freedom, Unity Neda Paiabandi und Bonyad Bastanfar, entgegen.

Musikalischer Hhepunkt war der umjubelte Reunion-Auftritt von Special Support Act Monrose. Sie feierten ihr Comeback mit vielen tausenden Fans auf der queersten Bhne Deutschlands. Auch der grte Flinta-Chor Deutschlands, die D-Dur Dykes, berzeugten mit einer stimmgewaltigen A-capella-Darbietung. Besonders gefeiert wurde der Auftritt des Ensembles des Theater des Westens. Unter dem Motto «Liebe ist alles. Nie wieder still. Wir bleiben laut» boten die Knstler*innen ein Portfolio der grten Hits von Rosenstolz dar. Den Abschluss des Bhnenprogramms bildete ein gemeinsames DJ-Set von Alle Farben und Felix Jaehn.

«Wir bedanken uns bei allen, die heute mit uns auf der Strae demonstriert und bei der Abschlusskundgebung gefeiert haben. Der Zuspruch der Politik und der Medien zeigt ganz deutlich, dass der CSD eine wichtige Demonstration und Anlass ist, uns und unsere Ziele zu feiern», zog der Vorstand des Berliner CSD e.V. ein zufriedenes Fazit. «Jedoch soll nicht davon abgelenkt werden, dass es weiterhin viele Missstnde gibt. Unsere Forderungen sind wichtiger denn je. Wir machen weiter Druck und vor allem sind wir nie wieder still!»

Neonazi-Demo «gegen den CSD-Terror» mit wenig Zulauf

Zu den befrchteten Provokationen von Neonazis kam es beim Berliner CSD nicht. Bei einer Gegendemonstration «gegen den CSD-Terror» versammelten sich am Schneberger Ufer nach Angaben der Polizei nur 30 bis 50 Personen. Es gab Banner der Gruppe «Deutsche Jugend Voran», die der Berliner Verfassungsschutz als gewaltorientiert einstuft. Die Polizei schirmte die Gruppe ab und nahm mehrere Personen fest unter anderem wegen verbotener Symbole und Verste gegen das Waffengesetz (queer.de berichtete).

Ausschreitungen bei «Internationalist Queer Pride for Liberation»

57 Festnamen gab es bei der extrem linken «Internationalist Queer Pride for Liberation»-Kundgebung in Kreuzberg, die parallel zum CSD stattfand. Rund 10.000 Menschen nahmen nach Schtzungen der Polizei an der propalstinensisch geprgten Demonstration teil. Bei rund 800 Personen sprach die Polizei auf der Plattform X von einem propalstinensischen Bezug. Zahlreiche Menschen hatten Palstina-Fahnen und sogenannte Palstinenser-Tcher, auch Kufiya genannt, dabei. Die Veranstalter*innen riefen zu einem «antikolonialen, antirassistischen, antikapitalistischen Freiheitskampf» auf. Am Rande der Demonstration standen Menschen mit Israelflaggen und der Nationalflagge der Ukraine.

Wegen wiederholter Angriffe auf die Polizei und antisemitischer Parolen lste die Polizei die Demonstration gegen 20 Uhr auf. Die Veranstaltung wurde in unmittelbarer Nhe zum Kottbusser Tor gestoppt. Eigentlich sollte sie gegen 21 Uhr am Oranienplatz enden. Es soll Flaschenwrfe und gezielte Schlge mit Fahnenstangen gegeben haben. Zudem seien Polizist*innen mit Farbbeuteln beworfen worden. Nach Polizeiangaben wurden 17 Beamt*innen verletzt. Zu mglicherweise verletzten Teilnehmer*innen der Demonstration gab es keine Angaben. (cw/pm/dpa)