Das waren die queeren Highlights beim Filmfestival in Locarno
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Das waren die queeren Highlights beim Filmfestival in Locarno

Am vergangenen Wochenende ging am Schweizer Ufer des Lago Maggiore wieder einmal das Filmfestival in Locarno zu Ende, mit inzwischen 78 Jahren eines der ltesten und renommiertesten Events dieser Art. Filme mit LGBTI-Bezug waren im diesjhrigen Programm so wenige zu finden wie lange nicht.

Ein paar queere Highlights haben wir im Tessin dennoch ausgemacht. Und dass, obwohl wir mindestens einen relevanten Titel aus Zeitgrnden leider verpasst haben. Aber die spanische Serie «Silence» des schwulen Schauspielers und Regisseurs Eduardo Casanova (dessen Film «Pieles» 2017 auf der Berlinale lief) werden wir mit ihren queeren Vampirinnen im Zentrum, Omar Ayuso in einer Nebenrolle und sowohl der Pest als auch der Aids-Pandemie als Themen hoffentlich bald anderswo nachholen. Wie berhaupt zu hoffen ist, dass all unsere Festival-Favoriten bald auch ihren Weg zu einem deutschen Publikum finden werden.

«Fantasy»

Der erste Langfilm der slowenischen Musikerin und Regisseurin Kukla erwies sich in Locarno als eine der erfreulichsten Entdeckungen. Drei burschikos und tough auftretende Freundinnen stehen im Zentrum dieser Coming-of-Age-Geschichte, alle um die 20 Jahre alt und zuhause in einer Plattenbau-Siedlung von Ljubljana. Ihre Welt, in der junge Frauen bitte mglichst weiblich aufzutreten haben und im Zweifelsfall in arrangierte Ehen vermittelt werden, wird ordentlich auf den Kopf gestellt, als sie Fantasy kennen lernen, eine trans Frau (Alina Juhart), die als Sexarbeiterin ihr Geld verdient und ihnen in Sachen Freiheit und Unangepasstheit um einiges voraus zu sein scheint. Dank toller Laien-Darstellerinnen, starken Bildern und einer gelungenen Mischung aus Elektro-Score und Balkanpop-Soundtrack gelingt Kukla mit «Fantasy» ein Film, der von Musikvideos genauso inspiriert zu sein scheint wie von Cline Sciamma und in seinen besten Moment zwischen Realismus und Magie zu schweben scheint. «Fantasy» wurde auch beim Filmfestival in Sarajevo gezeigt (queer.de berichtete).

«Folichonneries»

Immer wieder empfiehlt sich in letzter Zeit das frankokanadische Kino mit besonders witzigen und gleichermaen smarten Beobachtungen moderner Beziehungsrealitten (an dieser Stelle explizit empfohlen: Monia Chokris «Simple Comme Sylvain», zu sehen beim Amazon-Channel Sooner). «Folichonneries» von ric K. Boulianne, der auch die mnnliche Hauptrolle spielt, stellt da nun keine Ausnahme dar. Aus der Beziehung von Franois und Julie ist nach 16 Jahren und zwei Kindern zwar nicht die Liebe, aber doch die sexuelle Anziehung verschwunden und so beginnen sie, inspiriert von einer Rimming-Diskussion mit Bekannten, mit einer ffnung ihrer Beziehung zu experimentieren. Gemeinsam melden sie sich bei einer Dating-Plattform an er als «bi-curious», sie als «pansexuell» doch in der Praxis gestaltet sich die neue Offenheit durchaus kompliziert. Das Ergebnis ist ein Film, der wunderbar komisch, ehrlich und intim ist.

«Sehnsucht in Sangerhausen»

Den einzigen deutschen Beitrag im diesjhrigen Locarno-Wettbewerb, der im Rennen um den Goldenen Leoparden leider leer ausging, als queeren Film zu beschreiben, wre vielleicht ein wenig bertrieben. Doch zumindest eine der Protagonistinnen (Clara Schwinning) im neuen Werk von Julian Radlmaier erlebt bei ihrem Versuch, aus ihrem Trott auszubrechen, auch einen intensiv nachwirkenden Flirt (und Kuss!) mit der Zufallsbekanntschaft Zulima (Henriette Confurius). Insgesamt geht es in «Sehnsucht in Sangerhausen» um Menschen, die ihr Alleinsein eher zufllig mit anderen teilen. Und nebenbei gelingt dem Nrnberger Regisseur, sprbar inspiriert von sommerlicher Leichtigkeit la Eric Rohmer und deutschen Alltagsrealitten gleichermaen, auch eine sehr humorvolle Geistergeschichte.

«Le bambine»

Schrges, mitunter rtselhaftes Kino hat beim Festival in Locarno ebenso seinen festen Platz wie Erstlingsfilme, und nicht selten kommt natrlich beides zusammen. So auch im Fall von «Le bambine» von Valentina und Nicole Bertani. Drei Mdchen zwischen 8 und 10 Jahren zwei Schwestern und die Neue in der Nachbarschaft verbringen den Sommer in einer eher trostlosen Wohnsiedlung irgendwo in Norditalien, umgeben von Erwachsenen (darunter Milutin Dapcevic als queerem Babysitter), die wahlweise verhaltensauffllig, erbrmlich oder schlicht bizarr sind. Heraus kommt dabei eine Kindheitsgeschichte, die als bemerkenswerte Mischung aus Satire, Kitsch, Fantasy-Elementen und Retro-Style berrascht.

«Dracula»

Zugegeben, der neue Film des umtriebigen rumnischen Regisseurs Radu Jude ist weder wirklich queer noch eine klassische Umsetzung der hinlnglich bekannten Bram-Stoker-Geschichte. Sondern viel mehr eine ungestm-chaotische Mischung aus mitunter herrlich komischer Annherung des Regisseurs an den legendren Vampir-Mythos, irgendwo abgrndiger Gesellschaftskritik und albernem Humor befeuert von KI-Clips und TikTok-Elementen. Aber es wimmelt auch nur so vor Sex, nackten Tatsachen und jeder Menge Penisse (nicht nur aus Plastik). Und der sehr talentierte Adonis Tanta, der auch schon in Judes Berlinale-Beitrag «Kontinental 25» zu sehen war, bringt zumindest in einigen seiner verschiedenen Rollen dann doch auch noch eine gewisse Queerness mit.