Der erste Spielfilm mit einer Schwarzen lesbischen Hauptfigur
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Der erste Spielfilm mit einer Schwarzen lesbischen Hauptfigur

«Hi, I’m Cheryl and I’m a filmmaker», sagt die Schwarze Frau mit Blick in die Kamera, nachdem sie sich selbst das Mikrofon angesteckt hat. Zum Satzende geht ihre Stimme in die Hhe, die Berufsangabe scheint mehr Frage als Aussage zu sein. Na gut, gibt Cheryl (Cheryl Dunye) zu, «not really a filmmaker», aber eine Videokamera habe sie ja schlielich und den Job in der Videothek, wo sie gemeinsam mit ihrer guten Freundin Tamara (Valarie Walker) arbeitet: «So I’m working on being a filmmaker».

Die angehende Filmemacherin ist gleichzeitig die Regisseurin, Drehbuchautorin und Cutterin des Films; sie heit Cheryl Dunye und tritt hier als Version ihrer selbst auf. Sie hatte bereits eine Reihe von Kurzfilmen gedreht, als sie mit ihrem Langfilmdebt «The Watermelon Woman» nicht nur aus dezidiert lesbischer, afroamerikanischer Perspektive einen Beitrag zum dem vorgelegt hat, was heute gemeinhin als New Queer Cinema gilt. Der Film feierte 1996 auf der Berlinale seine Premiere als ein Werk, das ganz grundlegend ber Kunstproduktion und die Verantwortung nachdenkt, die mit ihr einhergehen kann: ausgehend von jener jungen Frau aus Philadelphia, die von Dunye selbst gespielt wird und die sich fragt, womit sich denn ein Film beschftigen wrde, wenn sie einen drehte.

Von der Ideenfindung ber die Recherche und die Dreharbeiten mitsamt Befragung einzelner Familienmitglieder bis hin zum Schnitt: Nicht nur weil «The Watermelon Woman» die Prozesse der Herstellung eines solchen Filmes fokussiert, lsst er sich auf gewisse Weise als Making-of beschreiben. Tatschlich besitzt Dunye ein reges Interesse daran, wie Dinge gemacht sind. Ihr Film begegnet dem, indem er diese Konstruktionen als Konstruktionen vorfhrt, sich Vereindeutigungen entzieht und mit Konventionen des Schauens bricht, whrend er sich dennoch voller Geschichtsbewusstsein in bestimmte Traditionen stellt.

Parodistischer Einsatz von weier Schminke

Und das geht schon gleich beim Titel los, der sich auf Melvin Van Peebles‘ Satire «Watermelon Man» (1970) bezieht. Darin wacht ein weier, rassistischer Versicherungsvertreter an einem Morgen als Schwarzer Mann auf, der nun am eigenen Leib die Benachteiligungen, Demtigungen und Bedrohungen erfhrt, an denen er sich vorher selbst rege beteiligt hatte. Als «whiteface performance» spielt Godfrey Cambridge anfangs diesen Jeff Gerber, obwohl Columbia Pictures noch fr den ersten Part auf die Besetzung eines weien Schauspielers gepocht hatte. Mit der Kombination aus einem Regisseur of Color (Van Peebles) und einem Schauspielstar of Color (Cambridge) innerhalb einer derart groen Studioproduktion sowie dem parodistischen Einsatz der weien Schminke, der auf die diskriminierende Praxis des Blackfacings Bezug nahm, stand «Watermelon Man» damals allein auf weiter Flur.

Die Heftigkeit, mit der Van Peebles abseits vorherrschender Reprsentationen Schwarzes Leben erzhlte, ist beispielhaft fr das Blaxploitation-Genre, das zu dieser Zeit in den Vereinigten Staaten entstand und das mit seinem Aufkommen zugleich unter Bedrohung stand. Denn die Produktionsfirmen erkannten, wie profitabel es ist, die Geschichten von marginalisierten Personen zu erzhlen, ohne fr tatschliche strukturelle Vernderung einstehen zu mssen. Van Peebles‘ nchstes Projekt, «Sweet Sweetback’s Baadasssss Song» (1971), wurde ohne Studiobeteiligung umgesetzt. Bill Cosby lieh ihm 50.000 Dollar zur Fertigstellung des Films, der fr die Black Panther Party zum zentralen Anschauungsobjekt in Sachen «cultural resistance» wurde.

Um diese Vergangenheiten wei Dunye, wenn sie ber den Titel Verbindungen herstellt und zugleich einen eigenen Platz in der Geschichte beansprucht. Ohne Zweifel kann «The Watermelon Woman» als Reaktion auf die mitunter problematischen Darstellungen von Geschlecht und Sexualitt im Blaxploitation-Kino verstanden werden, dem die Regisseurin sowohl eine ganze Reihe queerer Figuren als auch Komik entgegensetzt. Kulturproduktion zeigt sich bei Dunye als widerstndige und politische Praxis, die das Potential zur Selbstkritik besitzt, bestehende Kmpfe notwendigerweise aktualisiert und Grenzziehungen befragt auch und gerade in Bezug auf das Medium Film.

Die Schauspielerin ohne Namen

Der Film, den die Film-Cheryl drehen mchte, ist ein Dokumentarfilm. Sie habe eine Schauspielerin entdeckt, die in mehreren historischen Hollywood-Produktionen aus den 1930er und 1940er Jahren das Kindermdchen gebe. «Mammy» wird diese Rolle auch abwertend genannt, Hattie McDaniel und Louise Beavers zum Beispiel wurden auf diese Weise bekannt. Die Bezeichnung fhrt in die Kolonialzeit zurck, als Sklavinnen die Erziehung weier Kinder bernehmen mussten. In den Abspnnen der Filme wrde die Schauspielerin, auf die Cheryl aufmerksam geworden ist, aber wie viele andere ohne Namen bleiben. Nur als «The Watermelon Woman» findet sie Erwhnung in den Credits. Cheryl begibt sich auf die Suche nach ihr, befragt Menschen auf der Strae, Freund*­innen, Dragqueens, Zeitzeug*­innen, Expert*­innen aus der Wissenschaft (ein angesichts ihrer heutigen uerungen bemerkenswerter Auftritt von Camille Paglia), Familienmitglieder wie Mutter Irene, die sich erstaunlich gut mit den damaligen «places to be» aus dem Nachtleben der «City of Brotherly Love» auskennt.

Selbst im «too good to be true» Center for Lesbian Information and Technology (CLIT) gibt es keine Informationen zu der Gesuchten, so kompetent Act-Up-Aktivistin Sarah Schulman auch das Chaos hinter den Dokumentenmassen erklren mag. Fotografien, Filmausschnitte und weitere Hinweise deuten schlielich darauf, dass es sich bei der Unbekannten um Fae Richards handeln msse, die hufig als Sngerin in Nachtclubs auftrat und mglicherweise eine Beziehung zu Martha Page pflegte der weien Regisseurin von einem der Filme, in denen die Gesuchte zu sehen war.

Die «hottest dyke sex scene ever recorded on celluloid»

Waren die privaten Verkuppelungsversuche von Freundin Tamara bislang wenig erfolgreich, so entwickelt Cheryl zunehmend ein Interesse fr die Videothekskundin Diana (Guinevere Turner), deren Zungenksse Ablenkung verschaffen. Was zur «hottest dyke sex scene ever recorded on celluloid» fhrte, wie Jeannine DeLombard im «Philadelphia City Paper» die Szene beschrieb. So hei, dass das US-amerikanische Reprsentantenhaus sich ob der mglichen Frderung von anstigen und «possibly pornographic» Filmen durch Steuergelder einschaltete. «The Watermelon Woman» sorgt fr eine Vertiefung der bereits durch die Recherchen aufgeworfenen Fragen nach «race relations» und insbesondere lesbischen «interracial relationships». Wie kann eine Liebe auf Augenhhe mglich sein, wenn sie nicht auerhalb, sondern innerhalb von Machtverhltnissen steht? Wer dient mglicherweise wem als Fetischobjekt? Knnen wir einander vertrauen, wenn wir uns begehren?

In der Freund*­innenschaft zwischen Cheryl und Tamara kriselt es deswegen, die «white girls» Diana und Martha drngen in die Szene und drohen, die parallelen filmischen Realitten zu bernehmen. Dabei soll es doch diesmal gar nicht um sie gehen! In der Konzentration auf die Suche nach Fae «The Watermelon Woman» Richards muss sich Cheryl folglich immer wieder mit ihrem Schwarz-Sein auseinandersetzen und mit dem, was es bedeutet, als Filmemacherin eine eigene Stimme zu entwickeln. Weil es das eben irgendwie nicht gewesen sein kann, einfach als lesbische Version von Spike Lee zu gelten, wie es Dunye nach der Verffentlichung ihres Debts passierte. «I’m gonna be the one who says: I am a Black lesbian filmmaker, who’s just beginning», stellt Cheryl gegen Ende des Filmes fest, «but I’m going to say a lot more and have a lot more work to do.» Doch mit dieser Standortbestimmung, die uns zum Anfang zurckfhrt, diesem Pldoyer zur Unabgeschlossenheit, endet es passenderweise bei Dunye nicht. Stationen eines Lebens will der Abspann erzhlen, von diesem einen Leben nmlich der Fae Richards, die wir kennenlernen sollten. Blo hat es sie in der Form, wie sie uns prsentiert wird, nie gegeben.

Ein Leben imitiert, das es so nicht gab

«Sometimes you have to create your own history», ist an einer Stelle in «The Watermelon Woman» kurz zu lesen. Der Film bringt Elemente aus Spiel- und Dokumentarfilmen zusammen, um sich in letzter Konsequenz ganz berdeutlich als Mockumentary zu offenbaren. Die Filmszenen und eingeblendeten Fotos wurden mit der Schauspielerin Lisa Marie Bronson anhand von Aufnahmen Schwarzer Schauspielerinnen aus dem Library of Congress nachgestellt, fr die Lizenzen der Originale fehlte das Geld, sodass sie nicht im Film zu sehen sind.

Die entstandenen 82 Bilder, angefertigt von der Fotografin Zoe Leonard, wurden international ausgestellt und als Buch verffentlicht (Amazon-Affiliate-Link ). ber das Kostm und das Make-up, die Qualitt des Papiers und ihre Beschriftung imitieren sie ein Leben, das es so nicht gab eine Zeit, von der keine Dokumente zeugen knnen, weil die Krper, um die es geht, darin ausgespart wurden.

Die Archive bleiben verloren

In Anbetracht solcher Leerstellen der Geschichte entwickelte die Literaturwissenschaftlerin Saidiya Hartman 2008 die Idee der kritischen Fabulation. «Indem ich mit den Grundelementen der Geschichte spielte und sie neu anordnete, indem ich die Abfolge der Ereignisse in unterschiedlichen Geschichten und aus verschiedenen Blickwinkeln neu darstellte, habe ich versucht, den Status des Ereignisses in Frage zu stellen, die berlieferte oder autorisierte Darstellung zu verschieben und mir vorzustellen, was htte geschehen oder gesagt oder getan werden knnen», notiert Hartman in ihrem berhmten Essay «Venus in Two Acts» zur Sklaverei im Atlantik und der Unmglichkeit von Wissen.

Denn die Archive bleiben verloren. Nicht ihre Zugnge sind es, die verschttet daliegen da gibt es nichts in ihnen, was sich finden liee und Ruhe verspricht. Die Gespenster ziehen weiter, die Welt, wie wir sie uns wnschen, bleibt «under construction». «The Watermelon Woman» hat das 1996 verstanden und ruft dazu auf, sich leidenschaftlich dem Zuhren, Erzhlen und Fabulieren von Geschichten hinzugeben. Zwischen einer «Black sapphic genealogy» und den «plantation memories» erfindet Dunye sich und das, was Kino sein knnte. Persnlich ist das allemal, intersektional, cheeky, cinephil, bestens informiert und witzig allerdings auch.

Die Artikelserie «Queer Cinema Classics» wird gefrdert durch die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Sie erscheint parallel bei sissy und queer.de.

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