Drag und Dekonstruktion: Julian Rosefeldts «Nothing is Original»
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Drag und Dekonstruktion: Julian Rosefeldts «Nothing is Original»

Ein Trip durch das Berlin der 1920er Jahre. Die Kamera folgt einem jungen Mann im Smoking, der wie in einem Traum durch die Straen wandelt. Nach allerlei surreal anmutenden Begegnungen nhert er sich einem Nachtclub. Dessen magische Leuchtschrift flimmert bereits verheiungsvoll von weitem: «Deep Gold». Genauso nennt sich auch der mittlerweile zum Kult gewordene Film des Videoknstlers Julian Rosefeldt ihm zu Ehren ist nun im Ausstellungshaus C/O Berlin die Werkschau «Nothing is Original» mit seiner Arbeit aus rund dreiig Jahren zu sehen, darunter bislang unverffentlichte Storyboards, Skizzen, Set-Fotografien und Making-of-Materialien.

In «Deep Gold» von 2014 widmet sich der 1965 in Mnchen geborene Rosefeldt der historisch einzigartigen Atmosphre der Weimarer Zeit mit den Stilmitteln der knstlerischen Entfremdung. Dabei fokussiert er sich auf den queeren Glamour Berlins mit seiner fast grenzenlosen Freiheit, bevor die Nazis alles vernichten. Ein nostalgisches Schwarzwei unterstreicht zugleich die Zeitlosigkeit wie auch die Vergnglichkeit dieser Epoche. Die Ahnung der heraufziehenden Katastrophe ist allgegenwrtig: So schwingt etwa eine Gruppe von Leuten auf der Strae erst die Beine in die Hhe wie in einer Revue und marschiert dann pltzlich im Stechschritt.

Auf der Tanzflche und der Bhne des Nachtclub tummeln sich gleichgeschlechtliche Paare, Nackte, Leichtbekleidete und androgyne Performer*innen, die an Josephine Baker, Anita Berber oder Liza Minelli in ihrer «Cabaret»-Rolle als Sally Bowles erinnern. Die Sngerin Peaches legt einen Gastauftritt in einem fulminanten Fetischkostm hin sie ist fast nicht zu erkennen. Sie trgt einen Panzer mit zahlreichen stilisierten Brsten, auf denen kleine Puppenkpfe als Nippel fungieren. Flankiert wird sie von zwei Figuren mit knstlichen Riesenpenissen, die Rosefeldt «die Francis-Bacon-Brothers» nennt, weil sie «so skurril aussehen». In der aktuellen Ausstellung ist eine Szeneaufnahme davon und ein Portrt von Peaches zu bewundern neben zahlreichen anderen Burlesque-Fotos aus dem Film.

Spa an der Kostmierung und am Hinterfragen von Stereotypen

«Deep Gold» ist eine Arbeit, die viele Stationen hinter sich hat. Sie war unter anderem in Buenos Aires, Peking, Rio de Janeiro und Madrid zu sehen, aber auch in der 2015 gezeigten Mammutschau «Homosexualitt_en» einer Kooperation vom Deutschen Historischen Museum und dem Schwulen Museum in Berlin. «Ich habe mich total gefreut ber das Feedback», erinnert sich Rosefeldt. » Ich vermute, dass diese Thematisierung des Weiblichen und Mnnlichen in uns allen dazu fhrte, dass diese Arbeit gerade in der queeren Szene so positiv angekommen ist. Ein Kollege hat zu mir gesagt, dass diese Arbeit fr ihn als schwulen Knstler wichtig gewesen ist.»

Auf das Thema der sexuellen Entgrenzung in «Deep Gold» kam Rosefeldt, als er sich mit Luis Buuels Film «L’Age d’Or» beschftigte. Dabei fand er den feministischen Furor spannend, der in dem Film zu spren war. Und so begann er, sich mit feministischer Theorie auseinanderzusetzen. Dabei stolperte er auf zwei Manifeste von Valentine de Saint Point, einer Vertreterin des Futurismus, der unter Intellektuellen als avantgardistische Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts europaweit sehr populr war. «Beide Texte sind unglaublich aktuell», sagt Rosefeldt. «Sie proklamieren zum Beispiel, in jedem von uns stecke ein Stck Mann und ein Stck Frau.» Zitate daraus nutzt der Knstler, indem er sie von Nachtclub-Performerinnen singen lsst, begleitet von Variet-Music aus dieser Zeit.

«Nothing is Original»: Bereits der Titel der Ausstellung deutet an, was den Kern von Julian Rosefeldts Arbeit ausmacht: Ein Spiel mit Zitaten, filmischen Rollenklischees, knstlerischer Aneignung und der Dekonstruktion von Wahrheiten, die als absolut gelten fast genau so wie in der Drag-Kultur. In einer Vitrine gegenber der «Deep Gold»-Ausstellungswand finden sich Aufnahmen von New Yorker Dragqueens aus den frhen 1990er Jahren, lange bevor er seinen knstlerischen Durchbruch hatte. «Spa an der Kostmierung habe ich immer gehabt, Spa am Hinterfragen von Stereotypen auch, und das gilt gleichermaen fr Geschlechterrollen wie fr Kinomythen», sagt Rosefeldt. Gleichzeitig interessiert ihn der Blick hinter die Fassade: Viele seiner Werke thematisieren die bergnge zwischen Bhne und Backstage, zwischen Oberflche und Hintergrund.

Cate Blanchett schlpft in dreizehn Rollen

In einer seiner berhmtesten und verblffendsten Arbeiten, der Filminstallation «Manifesto» aus dem Jahr 2015, lsst er die Schauspielerin Cate Blanchett in dreizehn Rollen schlpfen, unter anderem als obdachloser Mann, als konservative Mutter oder als Punk. Dabei zitiert sie jeweils aus historisch-knstlerischen Manifesten. Mal ermuntert sie als Grundschullehrerin ihre Klasse, beim Kreativsein keine falsche Rcksicht zu nehmen: «Stiehlt von berall, wo ihr Inspiration findet oder was eure Fantasie beflgelt, aber whlt nur Dinge zum Stehlen aus, die direkt zu eurer Seele sprechen.»

Dann wiederum erlebt man Blanchett als aufgetakelte Nachrichtensprecherin: «Guten Abend, meine Damen und Herren. Alle gegenwrtige Kunst ist lahm, nicht weil sie Kopie, Aneignung, Simulakrum oder Nachahmung ist, sondern weil ihr der entscheidende Schub an Kraft, Mut und Leidenschaft fehlt» ein Vorwurf, der zumindest die Werke in der Ausstellung «Nothing is Original» nicht betrifft.

Auf den ersten Blick sind Arbeiten wie «Deep Gold», «Manifesto» oder auch «American Night», in dem die Mnnermythen des Westernfilms aufs Korn genommen werden, nicht nur uerst opulent in Szene gesetzt, sondern zeichnen sich auch durch berstilisierung und ironische Brechung aus. Hufig macht Rosefeldt dabei den filmischen Entstehungsprozess sichtbar und zeigt gleichwohl damit auf, wie sich Realitt konstruieren lsst.

«Wir Knstler sind nie fertig, wir sind extrem fragil»

Rosefeldt interessiert sich fr die unterschiedlichen Perspektiven auf unsere Zeit, und er greift dabei auf historische Texte zurck, die vielleicht auch heute noch von Relevanz sind. «Die Knstlermanifeste haben mich begeistert aufgrund ihrer kreativen Wut.» Darum sei «Manifesto» fr ihn «eine ganz stark antipopulistische Arbeit», weil sie zeige, dass Wut nicht dumm sein oder Angst erzeugen msse, wie es bei Populist*­innen und den extrem Rechten im Moment zu beobachten sei, sondern «durchaus was sehr Kreatives und Positives sein kann. Und das strahlen diese Texte alle unisono aus neben der Naivitt, die ihnen zugrunde liegt».

Die Radikalitt und Unbefangenheit, so Rosefeldt, sei vor allem der Jugendlichkeit ihrer Autor*­innen geschuldet, lange bevor sie fr ihre Kunst berhmt wurden. «Insofern sehe ich diese Texte eher als fragile Selbstbefragung von einer ganz jungen Generation von Menschen, die eben, wie wir alle in dem Alter um die zwanzig, noch sehr unsicher sind.» Nach auen hin sage man zwar: «Ich bin der!» oder «Ich stehe fr das!», «Ich gehe auf diese Demo!» oder «Ich mache mir jenen Haarschnitt oder dieses Tattoo!». Das strahle jedoch gewissermaen «genau das Gegenteil von Selbstsicherheit aus, nmlich eine groe Fragilitt und Sensibilitt. Wir nehmen oft an, dass alles, was im Museum landet, Hand und Fu hat und absolut so gemeint war und natrlich den Genius des Knstlers ausstrahlt dabei ist das keineswegs der Fall. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, wir Knstler sind nie fertig, wir sind extrem fragil. Wir sind auch sehr verletzlich, ganz besonders in jungen Jahren.»