Ein Klassiker, der noch immer das Herz zerreien lsst
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Ein Klassiker, der noch immer das Herz zerreien lsst

Hoch oben in den Bergen Wyomings htet ein junger Cowboy in der Nacht die Schafherde eines Farmers, sein Blick richtet sich voller Sehnsucht ins Tal. In der Ferne leuchtet das einsame Licht eines Lagerfeuers, wo ein zweiter Mann die Beaufsichtigung ber das Camp hat. Spter werden sich die Positionen tauschen, aber die Blicke bleiben unverndert. Nun sieht Jack Twist, der Mann, der vorher nach unten geschaut hat, dem anderen nach, wenn dieser bei Anbruch der Dmmerung hinaufreitet, auf den Brokeback Mountain, oder wenn sich ihre Wege am Ende des Sommers trennen und er allmhlich im Rckspiegel seines Pickups verschwindet. Sehnsucht kennt auch Ennis Del Mar, der sehnschtig Angeblickte. Aber seine Blicke sind ausweichend, auf den Boden gerichtet, halb unter dem ins Gesicht gezogenen Hut versteckt, unartikuliert wie seine sparsamen Worte, die er mit nur halb geffnetem Mund vor sich hingrummelt. Nach dem ersten Abschied schleppt er sich mit letzter Kraft hinter eine Baracke, bevor er zusammenbricht, heult, kotzt und mit den Fusten gegen die Wand schlgt.

In Ang Lees «Brokeback Mountain» (2005) ein Klassiker des (nicht nur) queeren Kinos ist es vor allem das Zusammenspiel der Blicke, Gesten und Krper, von Annherung und Zurckweisung, Nhe und Abstand, das heute, 20 Jahre nach Erscheinen, noch immer das Herz zerreien lsst. Und das nicht nur, weil darin das Drama einer leidenschaftlichen Liebe zum Ausdruck kommt, die von Beginn an mit dem Schatten der Unerflltheit behaftet ist. «You know, I ain’t queer», murmelt Ennis, nachdem beide in der Nacht zuvor im Zelt wie im Sturm bereinander hergefallen sind. «Me neither», antwortet Jack mit matter Zustimmung. Lees Augenmerk gilt nicht den Mechanismen der repressiven Gesellschaft zu Beginn der 1960er Jahre, sondern ihren zerstrerischen Effekten, ihren Internalisierungen. Ennis ist ein von Selbstverleugnung und Selbsthass gezeichneter Mann.

Der unrealistische Traum vom Paradies

1963, sechs Jahre vor den Stonewall-Unruhen gibt es fr die Liebe und das Zusammenleben von Mnnern kein Modell, schon gar nicht im amerikanischen Hinterland. Ennis trgt die Schreckensbilder eines Hass­verbrechens mit sich herum, das sich in seiner Kindheit ereignete als ein schwuler Mann auf brutale Weise gettet wurde, schleppte der Vater ihn und seinen Bruder zur verstmmelten Leiche, die Warnung war unmissverstndlich. Jacks trumerischen Plne, mit dem Geliebten zusammen eine Ranch zu betreiben, weist er als nicht lebbar zurck: «If you can’t fix it, Jack, you gotta stand it». So bleibt es bei wenigen Begegnungen am Brokeback Mountain, hier und da ein paar Tage, einem Leben mit Frau und Kindern, Schein, Ausflchten und Lgen mhsam abgerungen.

«Brokeback Mountain», nach einer 1997 in der Zeitschrift «New Yorker» erschienen Kurzgeschichte von Annie Proulx, folgt einer eigenen Zeitlichkeit. Der Sommer am Brokeback Montain nimmt gut ein Drittel des Films ein, langsam, fast gedehnt das erste Aufeinandertreffen der beiden Mnner im Niemandsland. Mit nichts als einer Papiertte unter dem Arm steigt Ennis mit hochgezogenen Schultern aus einem Bus, weniger spter kommt Jack mit seinem klapprigen Wagen an. Ein kurzer Austausch von Blicken, Schweigen, Jack lehnt sich eine Spur aufreizend an die Ladeflche, bis der Schafzchter auftaucht und in die Arbeit einweist. Man kann in dieser ersten Begegnung schon das Anzeichen eines aufflammenden Begehrens lesen, zugleich ist dieser Auftakt fr das Genre archetypisch. Auch im klassischen Hollywood-Western lsst sich Homosozialitt queer lesen, und in Filmen mit (damals nicht offen lebenden) schwulen Schauspielern wie Montgomery Clift waren diese Subtexte mehr als nur eine Lesart. In Kritiken zu «Brokeback Mountain» wurde der Film mitunter als eine Art Coming-out von Howard Hawks Western «Red River» (1948) beschrieben.

Ein langsames, schmerzvolles Verwehen

Ang Lee entwirft den (fiktiven) Ort Brokeback Mountain gleichermaen als offene, von der Zivilisation unberhrte Naturidylle und quasi-husliche Sphre. Man sieht die Mnner ihre Kleider am Fluss waschen, beim Kochen, Abwaschen. Vor allem ist Brokeback Montain ein Paradies, fern von der Auenwelt, ihren Urteilen und Zwngen. Erst als der Farmer sein Fernglas auf das nackt herumtollende Paar richtet, und ein Schneesturm das Ende des Sommers ankndigt, beginnt die ‚Vertreibung‘. Eng sind die Rume, in denen sich die beiden Mnner fortan getrennt voneinander bewegen, immer erstickender das husliche Umfeld. Ang Lee komprimiert die Zeit bis zur ersten Wiederbegegnung nach vier Jahren. Ennis wird Vater von zwei Tchtern, seine Frau Alma (Michelle Williams) lsst er neben sich verkmmern und leiden. Jack, der sich mit bescheidenem Erfolg als Rodeo verdingt, heiratet in eine texanische Farmunternehmerfamilie hinein ein Klassensprung zum Preis unterschwelliger Demtigungen. Auch die Zeit, die Ennis und Jack in den nchsten Jahren teilen, wird zunehmend verknappt, der Mangel ist in jeden Augenblick eingeschrieben, bald nehmen die Abschiede mehr Erzhlraum ein als das eigentliche Zusammensein. Ein langsames, schmerzvolles Verwehen bis zum Ankommen einer Postkarte, die Jacks Tod vermeldet.

Als der Film erschien, sorgte er fr erhebliches Aufsehen, die Verffentlichung lag mitten in der zweiten Amtszeit von George W. Bush. Dass Lee ein Genre verqueerte, das fr das Verstndnis der amerikanischen Nation wesentlich ist und dabei auch ein bestimmtes Mnnlichkeitsbild prgte, war das eine. Das andere, dass er sich dabei in den Mainstream vorwagte. Mit Heath Ledger und Jake Gyllenhaal war die 14 Millionen US-Dollar teure Produktion prominent besetzt, und mit prchtigen Landschaftsaufnahmen, eingngigen Melodien und psychologisch verstehbaren Figuren bewegte sich «Brokeback Mountain» ganz im Rahmen des klassischen Erzhlkinos.

Der Film queert nicht nur seine Cowboys

Der Sprung von den Rndern (New Queer Cinema) ins Zentrum wurde von groen (nicht allen) Teilen der queeren Bewegung euphorisch gefeiert, die feministische Filmwissenschaftlerin B. Ruby Rich sah gar eine neue ra eingelutet. In ihrer Kritik im Guardian («Hello cowboy») schrieb sie: «Seit den Anfngen der feministischen Filmkritik und -theorie in den 1970er Jahren haben Filmwissenschaftler:innen die homoerotischen Subtexte in der homosozialen Welt des klassischen Westerns analysiert. Aber «Brokeback Mountain» geht noch viel weiter, denn es kehrt den Text und den Subtext um und liest die Geschichte des Westerns durch eine kompromisslos queere Linse. Der Film queert nicht nur seine Cowboys, sondern auch die Landschaft von Wyoming als Raum homosexueller Begierde und Erfllung, als Spielplatz der Sexualitt, befreit von jeglicher Wertung, als Eden, das bereit ist, einer seit langem durch gesellschaftliche Scham befleckten Sexualitt ihre vor dem Sndenfall bestehende Unschuld zurckzugeben.»

Umso heftiger wurde «Brokeback Mountain» von christlich-konservativen Kreisen attackiert. Der Film sei Teil und Werkzeug einer «gay agenda», die sich die Zerstrung von Religion, Ehe und Familie in der amerikanischen Gesellschaft zum Ziel gesetzt habe. Die Anfeindungen und Zensurversuche beschrnkten sich dabei keineswegs auf die USA. Bei der Erstausstrahlung im ffentlich-rechtlichen italienischen Fernsehsender wurden die zwei (alles andere als expliziten) Sexszenen einfach herausgeschnitten.

Es bleiben nur zwei blutbefleckte Hemden

In einer Welt, in der LGBTI-Rechte von politischen Krften zunehmend angegriffen und beschnitten werden und queere Krper gefhrden, klingt die Rede einer «gay agenda» erschreckend gegenwrtig. So hat ausgerechnet der politische Backlash «Brokeback Mountain» wieder nher an die heutige Zeit gerckt.

Am Ende sind von der Liebe der Cowboys nur noch zwei blutbefleckte Hemden brig: Spuren eines Abschiedsschmerzes, der keine Sprache fand, auer physischer Gewalt. ber all die Jahre hingen die beiden Hemden ungewaschen im Schrank eines Kinderzimmers, das eine, das Blaue, wie in einer zrtlichen Berhrung in das andere, das Karierte eingeschlagen. Spter fllt der Blick noch einmal auf die Hemden, dieses Mal in einem anderen Schrank. Nun ist es das Karierte, das das Blaue umarmt. Der Krpergeruch, der noch immer an ihnen hngt, hat sich vermischt, aber von den beiden Mnnern, die sich am Brokeback Mountain liebten und schlugen, ist nur noch einer da, seine Sehnsucht darauf zu richten.

Die Artikelserie «Queer Cinema Classics» wird gefrdert durch die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Sie erscheint parallel bei sissy und queer.de.

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