Fassbinders «Querelle»: Alles dreht sich um schwulen Sex
5 mins read

Fassbinders «Querelle»: Alles dreht sich um schwulen Sex

Rainer Werner Fassbinders Film «Querelle» hatte einige Monate nach Fassbinders frhem Tod mit 37 Jahren im Herbst 1982 Premiere. Gewidmet war der Film seinem ehemaligem Lebensgefhrten El Hedi ben Salem, der die Hauptrolle in «Angst essen Seele auf» (1974) gespielt hatte und 1977 in einem Gefngnis in Frankreich gestorben war. Fassbinder hatte wahrscheinlich erst 1982 von seinem Tod erfahren.

Zwar spielten schwule und queere Charaktere bei Fassbinder schon vorher eine Rolle, vor allem in «Die bitteren Trnen der Petra von Kant» (1972), «Faustrecht der Freiheit» (1975), und auch in «Berlin Alexanderplatz» (1980), aber fr seinen letzten Film «Querelle» nahm er sich die schwulste Geschichte der europischen Literaturgeschichte als Vorlage.

Genets Roman war in der Bundesrepublik zeitweise verboten

Mythen ranken sich um den Roman «Querelle» von 1947, ebenso wie um seinen Autor Jean Genet. In Frankreich und auch in der Bundesrepublik war der Roman wegen seiner Darstellung von Sexualitt zeitweise verboten, was den Ruhm des Buches und des Autors natrlich nur vermehrt hat. Fr Fassbinder war Genets «Querelle» so wichtig wie Dblins «Berlin Alexanderplatz», die Vorlage der gleichnamigen Fernsehserie, die Fassbinder im Auftrag des WDR realisiert hatte. Zusammen genommen waren die Texte so etwas wie seine Bibel.

Dabei sind die Bcher sehr unterschiedlich. Dblins Montage verschiedener Textformen begrndet in Deutschland das Genre des Grostadtromans, es ist eine Studie des kleinbrgerlichen und proletarischen Milieus am Vorabend des Faschismus. Genets Geschichte des Matrosen Querelle, einem Kleinkriminellen und Mrder, angesiedelt in der franzsischen Hafenstadt Brest, ist eine Meditation ber mnnliche Schnheit und schwules Begehren. Eine hnlichkeit liegt darin, dass in beiden Texten soziale Beziehungen schonungslos von Machtinteressen getrieben sind, einem der wichtigsten Motive von Fassbinders Filmschaffen insgesamt. Insofern ist «Querelle» alles andere als eine schwule Utopie.

Sexuell explizit wie ein Porno

Der Film ist sexuell explizit wie ein Porno: Wie gro die Schwnze sind, wie gut es sich anfhlt, gefickt zu werden aus verschiedenen Perspektiven kreist die Geschichte die ganze Zeit um schwulen Sex. Matrosen, Kapitne, Bordellbesitzer (Nono gespielt von Gnther Kaufmann) und Polizisten (Mario, gespielt von Burkhard Driest) bevlkern diese Welt. Whrend in Genets anderen Romanen oft Dragqueens oder trans Personen in der Hauptrolle zu finden sind, spielt «Querelle» in einer reinen Machowelt. Eine Ausnahme ist nur die Bordellbesitzerin Lysiane, gespielt von Jeanne Moreau. Mit seiner Fetischisierung von Uniformen und Gesten mnnlicher Macht ist Genets Imagination nicht weit entfernt von der Tom of Finlands.

Fassbinder ist fasziniert von dieser Mnnerwelt. Daddys, Lederschwule, Twinks, das ganze Personal schwuler Pornografie ist hier zu finden. Smtliche Beziehungen zwischen Mnnern sind sexualisiert. Glnzende Motorrder und phallische Trme an den Hafenmauern dienen als Kulisse und machen aus dem Mnnerspektakel fast eine Parodie.

Mittendrin der Matrose Querelle, der sich wie ein guter Schwuler erst von einem nach dem anderen ficken lsst und dann die Seiten wechselt. Mit dem Schauspieler Brad Davis hat Fassbinder die Figur perfekt besetzt. Bekannt geworden war Davis 1978 durch Alan Parkers «Midnight Express», als Querelle wurde er ein paar Jahre spter weltberhmt. Brad Davis war Querelle, man kann sich Genets Romanfigur seitdem nicht mehr anders vorstellen. Der Schauspieler Davis lebte bisexuell, er infizierte sich mit HIV und nahm sich 1991 das Leben.

Anspielungen auf die christliche Opfergeschichte

Dass europisches Arthouse-Kino Anfang der 1980er Jahre an der Schwelle zur Aids-Krise so aussehen konnte wie Fassbinders «Querelle» mit seinen schwulen Mnnerphantasien ist von heute aus betrachtet erstaunlich. Im europischen Kino danach haben vielleicht nur noch Pedro Alomodvar oder Franois Ozon, beide wie Fassbinder Meister des Melodramas aber gleichzeitig auch viel komdiantischer, schwulen Sex hnlich freizgig behandelt, und mit Sicherheit kein anderer deutscher Regisseur derselben Liga. Auch wenn Wim Wenders oder Werner Herzog danach noch interessante Filme gemacht haben, mit Fassbinders Tod ging auch die groe Zeit des westdeutschen Autorenkinos zu Ende.

So sexuell explizit der Film «Querelle» einerseits auch ist, so bedeutungsschwanger ist er auf der anderen Seite: Anspielungen auf die christliche Opfergeschichte und Motive der europischen Kunst liefern den Kontext fr die Begegnungen zwischen Querelle und seinen wechselnden Liebhabern, vor allem aus der Perspektive von Lieutenant Seblon (Franco Nero), dessen Tagtrume und Tagebuchaufzeichnungen um den schnen Matrosen kreisen.

Gleichzeitigkeit von Reflektion und Sex

Es scheint so, als wre das Zeigen von schwulem Sex und schwuler Liebe nur zusammen mit diesen hochkulturellen Referenzen mglich bei Pasolini, einem Zeitgenossen Fassbinders, ist das hnlich. Dienen diese Referenzen als Vorwand fr einen eigentlich pornografischen Film? Manchmal nervt dieser Mix der Genres, der Film wirkt opernhaft knstlich, die inneren Monologe der Charaktere manieriert. Hier gibt es eine historische Distanz gegenber Fassbinders Projekt (und auch Genets Text). Jede Szene, so hot sie auch ist, will immer auch noch mehr bedeuten.

Aber die Gleichzeitigkeit von Reflektion und Sex ist auch groartig, dann wird «Querelle» zum philosophischen Porno. Denn auch mehr als 40 Jahre danach ist es ja nicht so, dass die groen Fragen von Tod, Macht und Mnnlichkeit zwischen Schwulen einfach geklrt wren, auch wenn sie in den Pornos, die wir tglich gucken, keinen Platz haben.

Die Artikelserie «Queer Cinema Classics» wird gefrdert durch die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Sie erscheint parallel bei sissy und queer.de.

Informationen zu Amazon-Affiliate-Links:
Dieser Artikel enthlt Links zu amazon. Mit diesen sogenannten Affiliate-Links kannst du queer.de untersttzen: Kommt ber einen Klick auf den Link ein Einkauf zustande, erhalten wir eine Provision. Der Kaufpreis erhht sich dadurch nicht.