«Jahrbuch Sexualitten 2025»: Deadnaming schon auf dem Cover
Der selbsternannte queere Leuchtturm Berlins, die Initiative Queer Nations (IQN), hat soeben ein weiteres «Jahrbuch Sexualitten» herausgegeben. Wie schon in vorangegangenen Editionen, so bleibt sich IQN auch diesmal treu in ihrer Ablehnung der «queeren Weltanschauung», mit der eine Gruppe von Schwulen und Lesben offenkundig arg fremdeln.
Mal in echt, wre es nicht wirklich an der Zeit, den Verein umzubenennen? Wettern dauernd gegen queer und wollen das Label trotzdem behalten. Aber wenn man nicht verkauft, was auf der Packung steht, dann ist das der klassische Fall von Mogelpackung, oder?
Diesmal geht das Jahrbuch noch einen Schritt weiter und setzt schon mal mit einer (kleinen) Gemeinheit auf dem Buchumschlag ein unfreundliches Signal im Gewand vermeintlich historischer Korrektheit, nmlich durch Deadnaming. Alexander Zinn, seines Zeichens Historiker und als solcher in der Community nicht unumstritten, hat sich der Biografie der trans Frau Hertha Wind (1897-1972) angenommen, die ihr Leben lang um Anerkennung kmpfte und vor allem auch um den weiblichen Wunsch-Vornamen.
Nein, da muss natrlich auf dem Buchumschlag der gehasste Mnnername mit drauf. Womit zugleich signalisiert wird, dass Hertha ihren unermdlichen «Kampf um das Frausein», wie es im Untertitel des Beitrags heit, 53 Jahre spter erneut verloren hat dank Jahrbuch.
Es gibt auch erfreuliche Beitge
So viel schon mal vorab zum «Jahrbuch Sexualitten 2025». Ansonsten prsentieren uns die Herausgeber*innen Jan Feddersen. Marion Hulverscheidt und Rainer Nicolaysen die bliche Mischung aus Beitrgen zu den Rubriken «Essay», «Queer Lectures», «Gesprch», «Miniaturen» und «Rezensionen». Das Inhaltsverzeichnis hat mich sogleich an den Titel eines lteren Stcks von Botho Strau erinnert: «Bekannte Gesichter, gemischte Gefhle».
Erfreulich und lesenswert indes der Essay «Aus der Lebensschule fr solidarische Zwischenrume. Suchen und Forschen nach dem Dazwischen», verfasst von der evangelischen Pfarrerin Kerstin Sderblom, die seit 1990 dem Netzwerk fr lesbische Theologinnen angehrt. Erfreulich daran und auch wohltuend, dass der Beitrag ganz ohne Polemik auskommt und ein solidarisches Bekenntnis wagt. Gerade weil Sderblom, die in dem Beitrag auch viel ber die eigene queere Lebensgeschichte erzhlt, die Ausgrenzung von trans Personen in kirchlichen Rumen kennt, erklrt sie: «Deshalb ist es fr mich persnlich wichtig, auch fr meine Trans*-Geschwister einzutreten und das Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes zu feiern.»
Empathie liefert im Jahrbuch ja sonst eher selten die Tonlage wir erinnern uns mit Grausen an Monika Barz‘ Ausflle, die ebenfalls aus der kirchlichen Lesbenbewegung kommt, und so manch anderen gruseligen Text der letzten Jahre.
Weiter geht es mit Philosophischem und der Spurensuche nach «Liebe als mimetische Weltbezglichkeit im Werk Theodor W. Adornos», gefolgt von der Beschreibung der homophoben Verhltnisse im heutigen Georgien. Unter den «Miniaturen» seien insbesondere Beitrge erwhnt, wie etwa «Ist der Ledermann noch zeitgem?» von Denis Watson als Vertreter von Folsom Europe und sodann die autobiografischen Erinnerungen der queeren Nonne Schwester Daphne von den Schwestern der Perpetuellen Indulgenz unter dem Motto «Schluss mit der Schuld!». Whrend Karl-Heinz Steinle in einem Nachruf den viel zu frh verstorbenen Historiker Jens Dobler (1965-2024) ehrt und dessen eminent wichtigen Beitrag fr die queere Geschichte wrdigt.
Anti-queere Texte einer queeren Initiative
So weit so gut, doch dann geht’s auch schon in die quasi anti-queere (oder besser antiquierte?) Kampfzone mit Beitrgen von Vojin Saa Vukadinović und Till Randolf Amelung, whrend Chantalle El Helou erwartungsgem kein gutes Haar an Karsten Schuberts «Lob der Identittspolitik» lsst. Da wirft sie dem Autor vor, er wrde die Transfeindlichkeit von TERFs mit der der extremen Rechten parallelisieren.
Aber warum wirft sie das Schubert vor und nicht den TERFs, wo es doch zutreffend ist? Auerdem scheint sie am Trans-Sein die Nicht-Denkbarkeit fr cis Menschen zu stren, also gewisse personale Schranken von Denken und Erfahren. Wobei als Fakt festzuhalten ist, wir knnen die Erfahrung anderer nicht erfahren, nachzulesen beispielsweise bei Ronald D. Laing oder Ludwig Wittgenstein.
Zuvor noch ein Wort zu Alexander Zinns Hertha-Wind-Portrt. Ohne Frage, Zinn arbeitet quellenbasiert, weist smtliche zitierten Quellen nach, wie es sich fr wissenschaftliches Arbeiten gehrt, aber eins hat er nicht gut drauf: Respekt. Der liee sich in der Art der Darstellung und der Wortwahl auch ohne jegliche Einbue an historischer Korrektheit bercksichtigen, so man es denn wollte. Deshalb an dieser Stelle eine Empfehlung: Wer Hertha Winds Lebensweg in einer absolut diskriminierungsfreien Version lesen mchte, dem sei hier der Beitrag der Lilli-Elbe-Bibliothek empfohlen.
Die absurde Angst vor der «Entschwulung der Welt»
Vukadinović geht der «Entschwulung der Welt» nach und versucht zu beschreiben, «wie die queere Weltanschauung den Hass auf mnnliche Homosexuelle modernisierte». Aber gibt es wirklich ein «queeres Unvermgen», homosexuelle Mnner als solche zu akzeptieren? Klar, von Fall zu Fall ist das so, aber als Generalisierung stimmt es so wenig wie die Vorstellung, schwule Mnner bilden einen homogenen Block in der Community. Die Verweigerung von Akzeptanz gab es immer auch innerhalb der Szene siehe beispielsweise Rosa von Praunheims Film «Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt» oder lese die Dokumentation zum Tuntenstreit in den 1970er Jahren.
Das sind Konflikte, die bis heute virulent blieben. Und auch die Ehe fr alle hat ja noch mal die Frage aktualisiert, ob Inklusion auf Anpassung hinauslaufe. Der Autor teilt gegen alles und alle aus, die es wagen, Anliegen mnnlicher Homosexueller nicht in der ersten Reihe zu platzieren. Da wird gegen Identittspolitik und ber Pride als «Eventphrase» gelstert und behauptet, mit der Progressive Pride Flag wrden Schwule in die Unsichtbarkeit verschwinden. Auerdem ist man beleidigt, weil man «cis» genannt wird, aber hlt die Markierung all jener Menschen offenbar fr normal, die nicht cis sind.
Ich wei wirklich nicht, wo das Problem liegt, denn so lange Heteronormativitt und Heterosexualitt herrschen und das tun sie mit aller Macht bleibt schwul fr mich potentiell subversiv, wenn es denn so gelebt wird. Vergessen wir doch bitte bei all unseren Kleinkriegen nicht, dass es am Ende ums groe Ganze geht.
Die Progress Pride Flag ist an allem Schuld
Die Progressive Pride Flag triggert, wenig berraschend, auch Till Randolf Amelung, der Kritik an ihr bt und dabei zu erklren versucht: «Wie nderungen an der Regenbogenflagge zum ikonografischen Angriff auf den brgerrechtlichen Universalismus wurde».
Mein erster Impuls: Geht’s auch ’ne Nummer kleiner? Bei der Entstehung aller Varianten und eigenstndigen Flaggen sei Tumblr in der Rolle des identittspolitischen Multiplikators und Aufheizers bisher aufgetreten. Wen es interessiert zu erfahren, wie eins zum anderen kam, mag an Amelungs akribischer Fleiarbeit Gefallen finden. Unterm Strich bleibt der Erkenntnis-Nhrwert mager und mndet in das entsprechend drftige Fazit: «Das Prsentieren von identitren Symbolen als Selbstzweck trgt in dieser Weise eher nicht dazu bei, im universalistischen und brgerrechtlichen Sinn als Gleiche unter Gleichen wahrgenommen zu werden.» Im brigen knnen wir nur gleich in unserer Verschiedenheit sein. So platt wie bei Amelung funktioniert Universalismus schon lange nicht mehr. Aber kein Wunder, wenn Amelung bei der Lektre nur bis Yascha Mounk kommt.
Zum Schluss noch ein wenig Humor. Jedes Jahrbuch enthlt auch einen Blick auf die Aktivitt der IQN. Und was lesen wir da? Zum Beispiel: Die Initiative sei der «Think Tank auf dem Wissensfeld der Sexualitten». Ich habe noch gelernt: Selbstlob stinkt. Und ber den von Till Randolf Amelung betreuten IQN-Blog: «Wo andere das Denken einstellen, fangen wir erst an.» Ja, das merkt man leider.
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