Lesbische Liebe, die in Auschwitz endete: Ein Musical im Gedenken an Ruth Maier
7 mins read

Lesbische Liebe, die in Auschwitz endete: Ein Musical im Gedenken an Ruth Maier

«Sie hatte so viel Lebenslust, so viele Ambitionen», sagt der norwegische Komponist Gisle Kverndokk ber Ruth Maier. Doch dann sei sie im Alter von nur 22 Jahren ein Opfer des Holocaust geworden. Kverndokk hat das Leben der jungen Frau vertont. Das Musical «Briefe von Ruth» wird bis zum 16. Mrz in der Wiener Kammeroper aufgefhrt. Das berhrende und aufrttelnde Stck ist erstmals in der Geburtsstadt von Ruth zu sehen. Fr die Neuinszenierung ist Philipp Moschitz verantwortlich.

Es hat lange gedauert, bis sich sterreich dem Gedenken an Ruth Maier widmet. Sie wurde 1920 in Wien geboren. Nach der Machtergreifung der Nazis floh sie 1939 nach Norwegen. Dort verliebte sie sich in Gunvor Hofmo, die spter Schriftstellerin wurde. Doch das Glck der Frauen whrte nur kurz. Denn die Nazis berfielen 1940 Norwegen. Zwei Jahre spter wurde Ruth verhaftet und nach Auschwitz deportiert, wo sie im Konzentrationslager ermordet wurde. Maier gilt als «sterreichs Anne Frank». Denn sie hat wie Anne Frank viele Tagebuchaufzeichnungen und Briefe hinterlassen. Diese dienen als Grundlage fr das Musical.

Anlsslich der Auffhrung veranstaltet das Theater an der Wien am 9. Mrz ein Symposium mit dem Titel «Leben und Lieben in Zeiten des Hasses». Dieses findet in Zusammenarbeit mit QWIEN, dem Zentrum fr queere Geschichte in Wien, der Kniglichen Norwegischen Botschaft in sterreich und dem Jdischen Museum in Wien statt. Dort wird unter anderem der Historiker Runar Jorden von der Universitt Bergen ber die queere Geschichte Norwegens sprechen. Auerdem hat der Wiener Mandelbaum Verlag jetzt eine Neuauflage des Buches mit den Tagebchern und Briefen von Ruth Maier (Amazon-Affiliate-Link ) verffentlicht.

Tagebcher von Ruth Maier gehren zum Unesco-Erbe

In Norwegen gibt es seit Jahren verschiedene Initiativen, die das Gedenken an die lesbische Frau hochhalten. Aufgrund einer norwegischen Initiative wurden die Tagebcher und Briefe in das Weltdokumentenerbe der Unesco aufgenommen. Die Dokumente befinden sich im norwegischen Zentrum fr Holocaust und Minorittenstudien. In Norwegen wird an verschiedenen Orten und Pltzen an Ruth Maier erinnert. Ihre Tagebcher werden in den Schulen gelesen. Der damalige norwegische Ministerprsident Jens Stoltenberg ging 2012 bei einem Staatsakt zum Holocaust-Gedenktag ausdrcklich auf das Schicksal von Ruth Maier ein: «Wie war das mit den Verbrechen gegen Ruth Maier und die anderen Juden? Zweifellos wurden die Morde von Nazis ausgefhrt. Aber es waren Norweger, die die Lastwagen fuhren. Und es geschah in Norwegen», sagte Stoltenberg. Seit dieser Rede ist das Schicksal von Ruth Maier in Norwegen einer breiten ffentlichkeit bekannt.

Ihre Tagebcher und Briefe sind aus mehreren Grnden bemerkenswert. Denn darin beschreibt die junge Frau ihre intensive Liebe zu Gunvor Hofmo. Sie lsst ihren Gefhlen freien Lauf. Sie schildert ihre Sehnschte und Hoffnungen. Wichtig sind auch ihre Eintrge ber die Verfolgung der Jd*innen in sterreich und in Norwegen. Ruth erzhlt ausfhrlich, welche Grausamkeiten sie erlebt und gesehen hat. Damit sind ihre Briefe und Tagebcher ein bedeutendes Zeitdokument. Ruth Maier hat nicht nur viel geschrieben. Sie war auch eine Knstlerin. Sie hat Zeichnungen, Aquarelle und Fotoalben hinterlassen. Auch diese wurden dem norwegischen Zentrum fr Holocaust und Minorittenstudien bergeben.

Brutale Verfolgung von Jd*innen in Wien

Die Tagebcher von Ruth Maier machen deutlich, dass in Wien die Verfolgung von Jd*innen besonders grausam gewesen ist. Dabei haben manche sterreicher*innen einst behauptet, dass sie davon nicht viel mitbekommen haben. Doch das kann nicht stimmen. In den Tagebchern berichtet Ruth Maier von Pogromen, von Ausschreitungen, von Zerstrungen der Tempel, von Plnderungen von Geschften und Wohnungen. «Ist das das Goldne Wienerherz oder ist das der Gipfel der Bestialitt? Dass man uns qult, das sind wir gewohnt», schreibt Maier. Aber seit der Machtbernahme durch die Nazis im Jahr 1938 sei die Situation fr Jd*innen in Wien grausamer geworden. Die junge Frau erzhlt von der «Freude am Spiel mit dem wehrlosen Opfer», vom Trieb zu qulen, vom «Sadismus bis zur Raserei.»

Im Tagebuch-Eintrag vom 5. Oktober 1938 schildert sie, wie die Wiener*innen mit Jd*innen umgegangen sind: «Alles knnt ihr an ihnen auslassen, eure zurckgedrngten Neigungen, Triebe, eure Minderwertigkeitsgefhle, eure Bestialitt. Was ihr wollt! Wir haben keine Waffen und knnen uns bei Gott nicht wehren.» Zwei Wochen spter schreibt Ruth Maier: «Es sind Pogrome!! Sie prgeln die Juden und wollen sie an Laternen aufhngen. Sie rufen ‚Hepp, hepp‘ Die Rettungsgesellschaft hat zu tun. Sie zerstren die Tempel. Sie reien den alten Juden an den Brten, sie hauen die Frauen. Sie schlagen die Fenster ein. Ruth, merk Dir das! Es ist sieben Uhr abends und jetzt, in dem Moment geht’s wieder los. Drinnen in den kleinen Gassen: Schiffamtsgasse, Leopoldgasse etc.»

«Meine Liebe zu ihr fllt mein ganzes Sein»

Nach dem Aufenthalt im Krankenhaus hielt sich das Paar an unterschiedlichen Orten auf. Ruth wartete in dieser Zeit sehnschtig auf Briefe von Gunvor. «Es macht mich zum Sklaven, auf Briefe zu warten, ohne dass je einer kommt. Oh, nein! Wo sind die Zeiten, da ich mich empren wollte? Jetzt bin ich still und froh. Ich denke: Ich habe eine Freundin! Sonst nichts.» Am 21. April 1941 schreibt Ruth: «Du Liebes, Stunden wie diese machen mich schreiben, ob ich nun will oder nicht. Was soll es, dagegen mich zu wehren. Hab‘ ich doch solche Sehnsucht nach dir. Sehnsucht, die ich nur binden kann, indem ich zur Feder greife. Da wird groe Stille in mir und mein Geist beugt sich zu deinem.» Nach einem Ausflug am 2. November 1941 ist Ruth glckselig: «Gunvor ist hinter allem, was ich tue. Meine Liebe zu ihr fllt mein ganzes Sein. Ich glaube nicht, dass ich je jemanden so geliebt hab‘ wie sie.» Am 15. November 1941 lautet ihr Tagebuch-Eintrag: «Es liee sich viel schreiben. Aber was zwischen Gunvor und mir ist, ist zu heilig, als dass Worte daran rhren drfen.»

Doch im Jahr 1942 gab es fr Jd*innen in Norwegen keinen Ausweg mehr. Alle Jd*innen wurden registriert. Anfang Oktober 1942 ging es mit den Verhaftungen durch norwegische Polizisten los. Am 26. November 1942 wurde Ruth Maier in Oslo festgenommen. Mit ber 500 anderen Jd*innen wurde sie mit dem Transportschiff «Donau» in die polnische Stadt Stettin gebracht. Von dort wurden die Menschen mit Gterwaggons in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Einige Mnner wurden zur Zwangsarbeit verpflichtet. Alle anderen Menschen wie Ruth Maier wurden von den Nazis gleich nach ihrer Ankunft ermordet. Ihr Todestag ist der 1. Dezember 1942. Ihre Freundin Gunvor Hofmo erzhlte spter, dass sie mit Ruth an Bord des Schiffes gehen wollte. Doch sie sei von einem deutschen Soldaten zurckgehalten worden. Daraufhin habe Guvor zum Soldaten gerufen: «Ist das deine oder meine Freundin?»

Informationen zu Amazon-Affiliate-Links:
Dieser Artikel enthlt Links zu amazon. Mit diesen sogenannten Affiliate-Links kannst du queer.de untersttzen: Kommt ber einen Klick auf den Link ein Einkauf zustande, erhalten wir eine Provision. Der Kaufpreis erhht sich dadurch nicht.