Macht das Abhauen fr Queers berhaupt etwas besser?
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Macht das Abhauen fr Queers berhaupt etwas besser?

Der Roman «Sauhund» von Lion Christ erzhlt eine fast schon klischeehafte Geschichte: 1983 macht sich Flori aus der Provinz, aus dem oberbayerischen Wolfratshausen, auf in die pulsierende Metropole Mnchen. Eine Geschichte, die viele Queers, die abseits der Grostdte aufgewachsen sind, so oder hnlich erzhlen knnten: die queerfeindliche Stimmung auf dem Land, die Einsamkeit und Isolation, die fehlenden Perspektiven. Das Mnchner Schauspielhaus hat «Sauhund» nun erstmals auf die Bhne gebracht. Premiere war am Donnerstagabend.

1984 sang Jimmy Sommerville mit «Bronski Beat» ber den «Smalltown Boy»: «Mother will never understand why you had to leave. But the answers you seek will never be found at home. The love that you need will never be found at home.» Wie im Song von «Smalltown Boy» wird auch in «Sauhund» eine Reisetasche zum Symbol fr den Aufbruch vom Land in die Stadt und fr die Hoffnung, die familiren Zwangsverhltnissen hinter sich zu lassen und Teil der Community zu werden. Die Reisetasche wird Flori fortan fest umklammert halten: «als knnt jede Sekunde jemand daherkommen und ihm das Liebste wegreien».

Eine Geschichte vom Abhauen und Weggehen

Im Programmheft der Mnchner Kammerspiele heit es: «Flori geht immer weitere Schritte auf einem schmerzhaften und doch befreienden Weg in ein offen schwules Leben». Doch in der Inszenierung (Regie: Florian Fischer) bleibt das mit dem «befreienden Weg» fraglich. Hier wird die Geschichte vom Abhauen und Weggehen zu einer, wo Flori nicht unbedingt dort ankommt, wo er sich hingetrumt hat.

Armut, Gewalt und Alkoholismus machen keinen Bogen um die Community. Beziehungen werden auch in der Community am konomischen Wert gemessen. Die Hrte der gesellschaftlichen Verhltnisse wirkt nun mal bis in die persnlichen Beziehungen hinein.

Und dennoch tauchen auch die anderen auf: die Trume haben, die ein anderes Leben einschlagen. Die solidarischen Menschen, die Flori jahrelang im Wohnzimmer bernachten lassen. Oder die, die unverdrossen mit Schminke, Mode und Drag der hsslichen Welt sowas wie Schnheit entgegensetzen. Im Mnchen der 1980er Jahre gibt es eine gewisse Liberalisierung zumindest wenn man «die versteckten Orte» in der Stadt kennt.

Die Freiheiten sind bedroht

Doch die Freiheiten sind bedroht. Zum einen durch die schwulenfeindliche Politik der 1980er Jahre, zum anderen durch das Hereinbrechen der HIV-Infektionen. Im Mnchner Theaterstck steht das Politische gar nicht so sehr im Vordergrund: ein paar Videos von Demos der queeren Community werden im Hintergrund eingeblendet: «Weg mit Gauweiler», gegen Zwangstests, Berufsverbote und Ausweisungen. Die deutlichste queerfeindliche Szene ist, als der damalige bayerische Kultusminister Hans Zehetmaier (CSU) im Originalton zu hren ist. Eine Aufnahme von 1987 wird abgespielt, in der Zehetmaier gegen Homosexualitt loslegt, man msse «klarmachen, da dies contra naturam ist, nicht nur contra deum also naturwidrig und im Grunde in krankhaftes Verhalten hineingeht». Wir mssten «endlich wieder den Schutz der Vielen in der Bevlkerung als zentrales Ziel im Auge sehen und nicht nur uns darum bewegen, wer am Rand noch besser verstanden werden kann. Dieser Rand mu dnner gemacht werden, er mu ausgednnt werden.»

Die neue Lebensumgebung von Flori ist also wieder eine Feindselige. Dass so viele sterben, fhrt statt zur Solidaritt mit den Betroffenen zu noch strkerer Hetze und Ausgrenzung. In der Auffhrung wird das bekannte «Spiegel»-Cover vom Juni 1983 erwhnt: «Tdliche Seuche AIDS Die rtselhafte Krankheit». Das existenzielle Thema der Einbruch von HIV in die Community wird auf der Bhne drastisch verhandelt: am Sterben des Freundes Jakob.

Kein Stck ber die wilden 1980er Jahre

Das Team der Kammerspiele verzichtet darauf, ein Stck ber die wilden 1980er Jahre aufzufhren. Hier und da werden ein paar queere Referenzen zitiert, zum Beispiel der Club «Old Mrs. Henderson» in der Mllerstrae, in dem Freddy Mercury im September 1985 seinen 39. Geburtstag mit einem «Black and White Drag ball» feierte. Die musikalisch erwartbaren Klischees werden auch nicht bedient. In der Urauffhrung gibts keinen Queen- oder Giorgio-Moroder-Hit. Stattdessen ein bisschen Synthies und mal mehr, mal weniger abstrakte Blasmusik-Samples, die oft ziemlich disharmonisch enden.

Zu der bedrckenden und drckenden Stimmung, die entsteht, passt das zurckhaltende Bhnenbild von Robin Metzer. Eine schlichte Fotowand mit Schwarz-wei-Aufnahmen aus dem schwulen Mnchen der 1980er Jahre, zum Beispiel mit dem Englischen Garten, der ltesten Cruising-Area. Einmal gibt es Bodennebel, der natrlich an eine Showbhne erinnert und dann doch den Darsteller verschluckt, «auflst», wie sich Flori das in dem Moment wnscht.

Groartiges Ensemble

Die Hauptlast der Auffhrung liegt damit auf den drei stndig geforderten, groartigen Schauspieler*innen Elias Krischke, Annette Paulmann und Edmund Telgenkmper. Dass das Stck wie eine oberflchliche Komdie beginnen und dann in eine kaum aushaltbare, fast 90 mintige Traurigkeit umschlagen kann, ist vor allem das Verdienst von Krischke (Flori). Die Existenz seiner Hauptfigur ist im wahrsten Sinne des Wortes prekr: Es ist unendlich schwer, die richtigen Manahmen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wie soll man aus einer schwierigen Lage herauskommen, wenn man vom Tod bedroht ist?

Krischke spielt den Flori mit bewusster Zurckhaltung. In einer Tanzszene lsst er, nur fr ein paar Sekunden lang, wunderbare Bewegungen aufblitzen. Eine im Roman vorhandene «Rettung» des Protagonisten fehlt in der Bhnenfassung des «Kammerspiele»-Teams. Der Hauptdarsteller gibt der Figur, je lnger das Stck dauert, noch mehr Intensitt, als das in den Roman hineingeschrieben ist.

Der Autor Lion Christ verwies in einem Interview mit buchmarkt.de auf die Bedeutung des Schmerzes in seinem Werk: «Bei allem Schillern und Glnzen, bei aller Leichtfigkeit und Komik, am Ende auch immer dort hin zu blicken, wo es weh tut.» Das Stck tut weh.

Ein Thema mit bedrckender Aktualitt

Macht das Abhauen berhaupt etwas besser? Im Stck kommt Floris Mutter nach Mnchen und pldiert frs Aushalten, frs Warten auf bessere Zeiten: «Wieso bist net einfach mit dem Frg Gregor beieinander geblieben damals? Der hat dich doch echt gern gehabt. Htt’s euch ja in Wolfratshausen oder Geretsried drben eine kleine Wohnung nehmen knnen, bichen ab vom Schu. Mei, irgendwann wird halt die nchste Sau durchs Dorf getrieben.»

Der Applaus bei der Premiere war (zu recht) gro. Vielleicht auch, weil die Theatergnger*innen genau spren, dass die traurige Geschichte nicht nur ein fiktionales Bhnenstck ber eine lang vergangene Zeit ist. Die Frage «Wo geht man denn dann hin?» bekommt eine bedrckende Aktualitt. Im Programmheft zur Auffhrung steht: «Die Gleichstellung queeren Lebens wird derzeit von rechts immer schrfer angegriffen fr das knstlerische Team ist die Auseinandersetzung an den Mnchner Kammerspielen mit einer Zeit, die bis heute fortwirkt, vor diesem Hintergrund umso wichtiger.»

In Wolfratshausen, der Stadt, aus dem die Romanfigur «Flori» abgehauen ist, hat es im vergangenen Jahr massive, queerfeindlich motivierte Angriffe auf eine von einem schwulen Paar betriebene Konditorei gegeben. Im Mrz riefen die Teilnehmenden eines Neonaziaufmarsches in Wismar: «HIV hilf uns doch, Schwule gibt es immer noch». Wenn man am Ausgang der Mnchner Kammerspielen nach rechts guckt, sieht man das Maximilianeum. Hier, im bayerischen Landtag, stellte die AfD-Fraktion in der letzten Zeit viele queerfeindliche Anfragen. Vor drei Jahren erkundigte sie sich provokant nach der Entwicklung der HIV-Infektionen und den Behandlungskosten pro Person. Vor wenigen Tagen wollte sie von der bayerischen Staatsregierung wissen: Wie viele queere Menschen gibt es in Bayern? (ls/ra)

Weitere Auffhrungen von «Sauhund» gibt es am 11. und 28. Juni sowie am 3., 23. und 27. Juli. Mehr Informationen und Karten gibt es auf der Homepage der Mnchner Kammerspiele.