Mit der ersten Verpartnerung schrieben sie 2001 Geschichte
1. August 2001
Der 1. August 2001 war ein Mittwoch. Auf meine Anfrage, ob a) die Lebenspartnerschaftseintragung rechtlich genauso wie eine Eheschlieung behandelt werden und b) ich dafr Sonderurlaub bekommen wrde, hatte mir meine Dienstbehrde mitgeteilt, dass a) ja, aber b) nein, da es auch fr Eheschlieungen diese Reglung nicht mehr geben wrde. Als ich das in meiner Abteilung erzhlte, fand das meine Chefin gar nicht gut. «Wenn Sie keinen Sonderurlaub bekommen, dann gebe ich Ihnen fr diesen Tag Dienstbefreiung.» Fr den Rest der Woche hatten Heinz und ich Urlaub genommen. Vorsichtshalber.
«Jetzt hat mal schon mal frei und muss trotzdem so frh aufstehen.» Zu Hause lief alles noch ziemlich ruhig. Duschen, anziehen, Kaffee, eine Kleinigkeit frhstcken. Nein, die Katzen drfen nicht mit. Uwe stand pnktlich mit den Brutigamsstruen vor der Tr. Dann kann es ja losgehen. Die Familien wrden wir direkt am Standesamt treffen. War einfacher so.
Ich wei gar nicht mehr, wer uns damals gefahren hat. Aber als wir zum alten Rathaus, in dem sich das Standesamt befand, kamen, traf uns fast der Schlag. Der Platz vor dem Eingang war gerammelt voll mit Menschen. bertagungs-wagen standen in der Nhe. Reporter*innen mit Mikrofonen und Fotoapparaten liefen herum. Viele Freunde und Bekannte. Sogar die Bremerhavener waren angereist. Wahnsinn!
«Eure Familien warten drinnen auf euch.» Wir kmpften uns durch die Menge zum Eingang, beantworteten blde Fragen («Wie fhlt ihr euch?») und waren froh, als wir im Gebude verschwinden konnten.
Hoch in den 1. Stock zu den Trauzimmern. Nochmals ausweisen, ob wir auch wirklich die sind, die wir vorgaben, zu sein. Alle waren da. Aus Hameln Schwiegermutter und Schwgerin Birgit ihr Mann hatte leider nicht frei bekommen, was sich im Nachhinein als sehr bedauerlich erwies, denn wir waren es gewohnt, dass er bei Familienfeiern immer die Fotos schoss. Da wir nicht fr einen Ersatz-Familienfotografen gesorgt hatten, gibt es leider keine Fotos aus dem Trauzimmer. Von meiner Familie waren meine Brder mit Gattinnen und meine Eltern da.
Meine Eltern? Mein Vater hatte doch gesagt, dass er an der Eintragung nicht teilnehmen wrde? Ich war sehr irritiert. Wie ich spter erfuhr, hatte es auch im Vorfeld diverse Diskussionen darber in der Familie gegeben. Insbesondere mein Bruder Gert hatte sich alle Mhe gegeben, positiv (in unserem Sinne, also nach dem Motto «Nun komm doch mit») auf ihn einzuwirken. Ich selbst hatte meiner Mutter ein paar Tage vorher noch gesagt, dass es fr mich in Ordnung sei, wenn mein Vater nicht zum Standesamt kommt. Vielleicht knnte er sich ja berwinden und wenigstens bei der anschlieenden kleinen Feier dabei sein. «Aber auf eines solltest du ihn noch hinweisen: Wenn wir da am Mittwoch beide «Ja» sagen, ist Heinz sein Schwiegersohn. Ob ihm das passt oder nicht, es ist dann einfach so. Wenn er z. B. einst vor einem Gericht gefragt werden sollte, ob er mit dem Herrn verwandt oder verschwgert ist, muss er das so angeben. Und er sollte sich auch berlegen, ob er weiter mit seinem Schwiegersohn «per Sie» verkehren mchte. Heinz hat kein Problem damit, auch weiter «Herr Lschow» zu ihm zu sagen, aber es knnte auf manche Leute befremdlich wirken.» Tatschlich hatte mein Vater in den vergangenen 13 Jahren Heinz nicht das «Du» angeboten, und so war es zwischen den beiden immer beim frmlichen «Sie» geblieben. Genauso wie ich war auch Heinz so erzogen worden, dass man andere Menschen nicht einfach so duzt. Gerade bei Vorgesetzten oder lteren Menschen wartet man, bis einem das «Du» angeboten wird. Das gehrt sich einfach so.
Wie dem oder was dort in der alten Heimat auch gewesen sein mag mein Vater war auch im Standesamt. Und ich freute mich sehr darber.
Wir gingen ins Trauzimmer. Die Standesbeamtin war offensichtlich noch nervser als wir. Das erste Mal, dass sie ein gleichgeschlechtliches Paar in einen neuen Familienstand geleiten wrde. Da sollte und durfte nichts falsch laufen.
Auf dem Gang vor den Zimmern drngten sich die Presseleute. Fotoapparate, Mikrofone, Kameras. Sie wollten auch mit ins Trauzimmer, aber das wussten wir zu verhindern. «Hier ist Schluss. Hinter dieser Tr beginnt unser Privatleben, und da sind die Medien nicht erwnscht.» Nicht mal dem NDR hatten wir Zugang gewhrt. Das sollte im Rahmen der Mglichkeiten unser eigener privater Moment bleiben, den wir nicht mit der ffentlichkeit teilen wollten. Im Fernsehen sah man dann auch nur, wie wir ins Trauzimmer gingen und sich die Tr hinter uns schloss.
Wir nahmen vor dem groen Schreibtisch Platz, rechts und links flankiert von unseren Trauzeuginnen. Alle etwas nervs. Schwgerin Birgit, der absolute Familienmensch durch und durch, gestand mir spter: «Ich habe mein Leben lang einen schwulen Bruder gehabt. Das war auch in Ordnung. Ich habe es aber immer bedauert, dass er nie heiraten und eine eigene Familie haben wrde. Und jetzt sitze ich hier, und es ist seine Hochzeit, und ich bin Trauzeugin. Ich kann es immer noch nicht fassen, welche merkwrdigen Wege das Leben geht.» Sie erzhlte auch: «Als wir heute frh in Hameln starten wollten, ging eine Nachbarin auf der Strae vorbei und meinte: «Nanu? Schon so frh unterwegs? Und so schick gemacht?» Mutti hat sie nur angestrahlt und gesagt: «Wir fahren nach Hannover. Mein Sohn heiratet heute.» Die Nachbarin war perplex: «Ach, das ist ja schn. Das ist dann wirklich ein ganz besonderer Tag!» Und Mutti: «Ja, das ist es. Aber er heiratet keine Frau, sondern einen Mann.» Das war das erste Mal, das ich erlebt habe, dass Mutti von sich aus erzhlt hat, dass Heinz mit einem Mann zusammen ist.»
OB Schmalstieg war eingetroffen. Die Zeremonie begann. Die Standesbeamtin war gut vorbereitet und achtete genau darauf, was sie sagte. Der obligatorische Hinweis, dass wir nach Bejahung der Frage «Wollen Sie?» verpartnert sein wrden, auch wenn wir das Schriftstck dann nicht unterzeichnen wrden. Geht klar. Wir sagten beide «Ja». Und das war es dann. Ein kleiner Schritt fr die Menschheit, ein groer Schritt fr unsere Liebe. Geschafft. Wir waren jetzt eine eingetragene Lebensgemeinschaft oder, wie wir es sagten, ein Ehepaar. Verpartnert. Verheiratet.
Wir behielten beide unsere Familiennamen, und auf den Ringtausch hatten wir auch verzichtet. Die Ringe steckten schon lange genug an unseren Fingern und konnten dort fr diesen kurzen Moment auch bleiben. Noch die Unterschriften auf der Urkunde, und dann ging das Umarmen und Gratulieren los. Alle kreuz und quer. OB Schmalstieg gratulierte auch meinen Eltern zum Schwiegersohn, was meinen Vater veranlasste, meine Mutter leise anzusprechen: «Mir hat gerade ein SPD-Politiker die Hand gegeben. Weit du, wo ich mir die Hnde waschen kann?» Er war nicht leise genug gewesen. Herbert Schmalstieg drehte sich um, lchelte ihn an und sagte: «Ich kann Ihnen gerne zeigen, wo die Toiletten sind.» Fettnpfchen, ich komme.
Davon hatten wir aber nichts mitbekommen. Der OB berreichte uns einen riesigen Blumenstrau (ich kann mich noch sehr gut an die gepiercten Tauben darin erinnern zwei weie Kunststofftauben, deren Schnbel mit einem goldenen Ring verbunden waren. Nun ja.), und dann stellten wir uns vor dem Trauzimmer den Fotografen. Klickende Kameras, Glckwnsche. Die Treppe runter und zum Eingang. Schon von drinnen sahen wir durch das Fenster, dass der Platz vor dem Standesamt von Menschen berquoll. Ich wand mich an meinen Vater. «Papa, wenn du da nicht durchgehen magst (er hatte eine Beinverletzung und brauchte zum Gehen einen Stock), gibt es hier auch einen Seitenausgang. Das ist vielleicht einfacher fr dich.» Er gab sich einen Ruck. «Ich habe das Standesamt durch den Haupteingang betreten, und ich werde es auch durch den Haupteingang verlassen.» Na gut, das werdet ihr schon irgendwie hinbekommen. Tief durchatmen, Tr auf und rein in die Menschenmenge.
Es war Wahnsinn, was dort alles aufgebaut war. Eine riesige Luftballonkette in Regenbogenfarben ber dem Haupteingang. Die Cheerleadertruppe Hannover, die «Puschellettes» (richtig geschrieben? Hier kann selbst Google nicht helfen), schwenkte ihre Pompons. Es wurden Reis und Konfetti geworfen. Jubel, Applaus, Trnen. Wir waren zutiefst gerhrt. Klickende Kameras, Mikrofone. «Wie fhlt ihr euch?» Hilfloser Blick ber die Menschenmenge. «Das ist alles etwas viel » Mikro an Heinz. «Und wie fhlen Sie sich?» Und die von Herzen kommende Antwort: «Ich bin glcklich. Einfach glcklich.» Diese Aussage wurde dann in der Hannoverschen Neuen Presse als «Worte der Woche» und zum Jahresende auch als «Zitate des Jahres» abgedruckt.
Zwischen verschiedenen Interviews Glckwnsche und Blumen und Geschenke von allen Seiten. Wir reichten die Sachen immer nur an Birgit und Ute weiter, die sich tapfer hinter uns hielten. Hier noch ein Foto, da noch eine Umarmung. Angereiste Familienmitglieder, Kolleg*innen aus bei-den mtern, Freund*innen, Bekannte, Fremde. Die SLP-Truppe hatte einen groen Tisch mit Getrnken aufgebaut, zu dem wir gelotst wurden. Axel, leicht verheult: «Das war so schn, als ihr eben aus der Tr gekommen seid. Ich konnte nur denken: Damit habt ihr euren Platz in den Geschichtsbchern sicher!», umarmte uns und drckte uns ein Messer in die Hand. Es gab eine Hochzeitstorte, die wir anschneiden mussten. Dreistckig mit Regenbogenverzierungen. Oben auf der Torte ein Brutigampaar, das Axel eigenhndig aus Marzipan geformt hatte und das optisch sehr an Heinz und mich erinnerte (deshalb hatte er mich also in den letzten Tagen immer wieder gefragt, was wir denn zur Eintragung anziehen und wie das genau aussehen wrde).
Hinter uns war zwischenzeitlich die zweite eingetragene Lebenspartnerschaft Deutschlands aus dem Standesamt getreten. Zwei Frauen. Auch sie hatten von Herbert Schmalstieg einen groen Blumenstrau bekommen und wurden jetzt von ihrer Fangemeinde gefeiert.
Meine Familie hatte sich an den Rand des Platzes zurckgezogen. Fr die lteren wurde es etwas unbequem. «Gibt es hier irgendwo ein Caf, in dem wir auf euch warten knnen?» Wir schickten sie ins «Konrad». «Immer geradeaus, und wir holen euch dann dort ab.» Wir hatten noch auf dem Platz zu tun.
Die Veranstaltung dort zog sich noch hin. An diesem Tag hatten sich vier Paare verpartnern lassen, und wir schafften es auch, den anderen drei Paaren zu gratulieren. Auer den beiden Frauen war es noch ein Mnnerpaar aus Nordrhein-Westfalen, das lieber in Niedersachsen heiraten wollte, weil die Zeremonie in ihrer Heimatgemeinde nicht im Standesamt vorgenommen wurde. Das vierte Paar waren Bernd und Uli aus Hannover. Uli und Heinz kannten sich auch schon seit Ewigkeiten, und so konnten wir uns in den Folgejahren immer wieder pnktlich gegenseitig zu unseren Hochzeitstagen gratulieren.
Auf dem Platz wurde es langsam ruhiger, und irgendwann holten wir dann unsere Familien im «Konrad» ab. Der Tisch im Gartensaal des Neuen Rathauses war erst fr 12 Uhr bestellt und wir hatten genug Zeit. Der Fuweg vom Standesamt zum Neuen Rathaus war nicht bermig weit, aber mein Bruder fuhr die «Fuschwachen» schnell mit dem Auto hin, whrend wir anderen uns zu Fu auf den Weg machten. Heinz und ich gingen mit unseren Struen vorweg und wurden von entgegenkommenden Passant*innen angestrahlt und beglckwnscht. Auch Autos hupten und die Fahrer*innen winkten uns zu. Alles absolut positiv.
Im Restaurant «Der Gartensaal» war ein groer Tisch liebevoll fr uns eingedeckt. Deko mit Rosenblttern und Herzen. Sehr schn. Wir bestellten, und dann war der Moment ge-kommen, in dem mein Vater aufstand, um eine kurze Ansprache zu halten. Er beglckwnschte Heinz zu seinem Mut, mit mir eine solche offizielle Beziehung einzugehen, und klrte ihn darber auf, was ich fr einer bin. Sonderlich gut kam ich nicht dabei weg, aber mein Vater sprach mit einem leichten Zwinkern im Auge, und so war es in Ordnung. Er hatte in manchen Dingen auch nicht Unrecht. Ich bin nicht unbedingt einfach zu hndeln, und die Vorgabe «Erst denken, dann reden» befolge ich auch noch heute nicht immer.
«Wir sind hier in einem kleinen Kreis, und dein Vater, Heinz, kann leider nicht mehr dabei sein. Ich will mich dir nicht als Ersatzvater anbieten, aber ich habe es auch nie gemocht, wenn meine Schwiegerkinder mich mit «Ekhard» oder «Opa» angeredet haben. Vielleicht kannst du dich berwinden und mich «Schwiegervater» nennen. Ich denke, wir kennen uns lange genug, dass wir «Du» zueinander sagen knnen.»
Ein emotional berhrender Moment. Heinz stimmte dem Vorschlag zu. Schwgerin Birgit nutzte die Gelegenheit, um zu fragen, wie denn der Rest der Harre-Familie ihn und meine Mutter anreden sollen. Hier einigte man sich dann auch auf das «Du» und bei den lteren Herr- und Frauschaften auf den Vornamen. Die Kinder knnten dann «Onkel» oder «Tante» anfgen.
Nach dem Essen lste sich die Gruppe dann auf, und jede*r fuhr in sein bzw. ihr zu Hause. Wir wurden nebst den ganzen Blumen und Geschenken in die Dieckmannstrae gebracht, steckten noch die Briefumschlge mit den Anzeigen in den Briefkasten und hatten dann auch unsere Ruhe. Jedenfalls einigermaen. Es gab noch gengend Anrufe, aber langsam konnten wir ab- bzw. den Fernseher anschalten und sehen, was von diesem Ereignis in den Medien gezeigt werden wurde. In allen Nachrichtensendungen gab es Beitrge. In der ARD-Tagesschau um 20 Uhr kam die Meldung gleich an erster Stelle, und hinter dem Sprecher war ein groes Bild von Heinz und mir vor dem Standesamt zu sehen. Und in diesem Moment war ich nicht nur glcklich, sondern auch stolz.
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