Mnchner Ausstellung feiert queeres Begehren in der Kunst
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Mnchner Ausstellung feiert queeres Begehren in der Kunst

Die Fotoausstellung «Love, Maybe» befindet sich an einem Ort, an dem ich, htte ich es nicht vorher gewusst, mit Sicherheit keine Kunst vermutet htte. Denn diese BlackBox, so heien die zwei groen Ausstellungsrume, befindet sich inmitten eines Neubaugebiets mit lauter schnurgeraden, rechtwinkligen Brohusern drum herum alles blitzsauber (wir sind schlielich in Mnchen), dazwischen ein wenig Grn, aber das Ganze ziemlich steril, auch wenn die Gegend Parkstadt heit. Und dann betritt man die Ausstellung mit Fotos zum Thema Liebe, vollgepackt mit Emotionen, leuchtend, intensiv, verrckt, bizarr, witzig, inspirierend und nachdenklich.

Die BlackBox gehrt der Alexander Tutsek-Stiftung, die im Schwabinger Norden ihr Domizil hat und sich schon eine ganze Weile mit der Frderung zeitgenssischer Kunst und Wissenschaft befasst. Dabei entstand eine eigene Sammlung mit den Schwerpunkten Fotografie und Skulptur. Und wer solche Schtze besitzt, will sie schlielich auch zeigen zum Glck. Denn was da gesammelt wurde und zustzlich eigens fr die Ausstellung entstand, ist vom Allerfeinsten und bringt eine Menge eigenwilliger fotografischer Stile zusammen.

Neben Fotoarbeiten werden auch Skulpturen ausgestellt

Thematisch aufbereitet und konzipiert hat die vorzgliche Ausstellung die Kuratorin Jana Johanna Haeckel. Und weil die Stiftung immer wieder ein Sammler*innen-Auge auf die Skulptur wirft, lautet der vollstndige Titel der Ausstellung «Intimitt und Begehren in der zeitgenssischen Kunst. Zeitgenssische Fotografie & Skulptur aus Glas».

Um mit dem Skulpturalen zu beginnen, fllt sogleich ein groes Gestell auf, ein Flaschentrockner, um genau zu sein, wie jener berhmte von Marcel Duchamp. Anstatt der Flaschen hngt dort jedoch irgendetwas rosafarbenes Schlaffes, das sich bei genauerem Hinsehen als lauter schlaffe Glas-Penisse entpuppt. Das Werk stammt von der Knstlerin Monica Bonvicini und trgt den Titel «Fleurs du Mal» in Anlehnung an Charles Baudelaires gleichnamigen Gedichten. Die Lust hat an dieser Stelle offenkundig keine Chance gegen die Ironie, die berhaupt in dieser Ausstellung immer wieder in den Vordergrund tritt.

Arbeiten von zwei Dutzend Knster*innen

Die Ausstellung schlgt vier Kapitel auf im groen Bildarchiv, das die Fotografie in berbordender Flle unentwegt beliefert. Das erste Kapitel befasst sich zunchst mit Intimitt als ein Sich-Nherkommen, sodann wird die Frage aufgeworfen, wer wen wie betrachtet und wie der Blick erwidert wird. Kapitel drei variiert frsorgliche Krper und zum Schluss geht es um queeres Begehren. Insgesamt 24 Knstler*innen sind, wenn ich richtig gezhlt habe, mit ihren Arbeiten vertreten.

Auffallend, wie die Fotograf*innen mit unseren eingebten Denk- und Sehmustern spielen, dabei unsere Erwartungen hintertreiben, uns verblffen und irritieren. Das beherrscht Pixy Liao, eine in New York lebende Fotografin, hchst einfallsreich. Sie zeigt ein Paar, das wie die drei unter ihnen aufgeschichteten Matratzen nackt und flach aufeinanderliegen, als htten wir einen Riesen-Sandwich vor uns. Lea Kunz hingegen verknult und verknotet nackte Krper, wo unklar ist, wem dieser Fu, dieses Knie oder dieser Arm gehrt Menschen werden in exzessiver Nhe buchstblich zu reinem Krpermaterial.

Eine Wiederbegegnung mit Ren Hang

Und dann ist da die Wiederbegegnung mit dem chinesischen Fotografen Ren Hang, den die C/O Galerie am Berliner Bahnhof Zoo vor einigen Jahren eine groe Retrospektive widmete faszinierend und bizarr. Seine Arbeit galt in China als pornografisch, was sie natrlich nicht im Mindesten ist. Er fotografierte am liebsten die Menschen aus seinem Freundeskreis, die sich ihm vllig anvertrauten. Vertrauen auch ein Aspekt von Intimitt. In Mnchen zogen mich zwei Fotos besonders an: Auf dem einen eine Frau, die in einer Badewanne liegt und in deren knallrot geschminktem Mund ein ebenso roter Trinkhalm steckt. Das andere Foto zeigt auf einem Hausdach, umgeben von einer im Dunst liegenden Hochhauskulisse, zwei Menschen, als sen zwei Insekten auf dem Dach.

Gabby Laurent wiederum zeigt uns eine Schwangere nackt, die zum Sprint ansetzt wie eine Sportlerin. Beides optisch zusammenzubringen, berrascht nicht nur, sondern stellt unsere Erwartungen frmlich auf den Kopf. Und dann ist da dieses Foto von Talia Chetrit ein Blick auf eine Veranda mit einem spielenden Kind und daneben eine mnnlich aussehende Person in einem kanariengelben Rschenkleid. Der Titel des Fotos: «Model Family». Ein perfektes Gender-Verwirrspiel.

Welche Bilder fehlen im kollektiven Gedchtnis?

Im Kapitel «Queeres Begehren» springt ein Foto des Schweizers Matthieu Croizier ins Auge: Ein junger Mann liegt langgestreckt und nackt auf einem Bett mit dem Rcken zu den Betrachter*innen, ber dem Bett hngt Michelangelos «Die Erschaffung Adams» auch dies ein Spiel mit Klischees und zugleich der Versuch queerer Selbstfindung.

Die Kuratorin Jana Johanna Haeckel erklrt, welche Fragen fr sie bei der Konzeption der Ausstellung besonders wichtig waren: «Welche Klischees des begehrenden Blicks vor und hinter der Kamera haben sich im visuellen Kanon durchgesetzt? Wie vermgen uns Bilder und Narrationen zu berraschen, herauszufordern und neue Perspektiven auf die Darstellung von Liebe, Krper und Intimitt zu formulieren? Und welche Bilder fehlen im kollektiven Gedchtnis, besonders in Hinblick auf empathische Formen des Miteinanders jenseits der erotischen Liebe?»

Mein Fazit: Haeckel fand auf all diese Fragen berzeugende Antworten durch die Fotoauswahl. An uns Betrachtenden ist es, uns auf all das Berhrende und Verblffende einzulassen, um am Ende unsere Wahrnehmungen neu zu sortieren.