«Queere Gemeinschafts­grabsttten tragen nicht zu einer Separierung bei»
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«Queere Gemeinschafts­grabsttten tragen nicht zu einer Separierung bei»

Krzlich berichteten wir darber, dass die LGBTI-Community in Berlin eine eigene Grabsttte bekommen soll, und interviewten dazu die Initiator*innen dieses Projekts, die Schwulenberatung Berlin. Daraufhin gab es eine Wochenumfrage auf queer.de, bei der die Leser*innen abstimmen konnten, wie sie zu Projekten dieser Art stehen. Whrend rund 28 Prozent der Teilnehmer*innen diese begren, halten rund 55 Prozent die Separation fr «unntig und albern».

Andere Stdte wie Hamburg zeigen jedoch, dass LGBTI-Gemeinschaftsgrabsttten durchaus eine Relevanz fr queere Personen haben. Die Grabsttte auf dem Parkfriedhof Hamburg-Ohlsdorf existiert bereits seit 30 Jahren und wird bis heute nachgefragt. Ursprnglich als Grabsttte fr an HIV verstorbene Menschen angelegt, steht sie mittlerweile allen Personen offen, die sich der LGBTI-Community verbunden fhlen.

Im Interview mit queer.de spricht der gesamte Vorstand des Vereins MEMENTO e.V. ber dieses Herzensprojekt und weist die Kritik einer Separation zurck. Gleichzeitig rumt er ein, dass die Offenheit fr Projekte dieser Art frher hher war als heutzutage, und spricht ber die Schwierigkeiten, die sich vor allem aus finanzieller Sicht ergeben.

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Whrend die Schwulenberatung Berlin aktuell noch eine LGBTI-Grabsttte plant, wird Ihre auf dem Parkfriedhof Ohlsdorf in Hamburg im Jahr 2025 bereits 30 Jahre alt. Knnen Sie uns einen kurzen Einblick geben, wie damals alles begonnen hat?

Unsere Grabsttte wurde 1995 fr Menschen eingerichtet, die an Aids gestorben sind und alle, die sich ihnen verbunden fhl(t)en. Natrlich waren die meisten Bestatteten auch queere Personen, was aber damals nicht im Vordergrund stand. Vor allem wurden dort Menschen beigesetzt, die keinen Kontakt zu ihren Familien hatten, weil diese aufgrund der Erkrankung oder schon vorher aufgrund des Outings bezglich einer anderen sexuellen Ausrichtung das nicht wollten.

Wrden Sie sagen, dass die Akzeptanz fr eine solche Grabsttte damals geringer war als heute?

Im Gegenteil. Ende der 1990er Jahre gab es traurigerweise deutlich mehr Bestattungen auf unserer Grabsttte als heute. Eine Grabsttte im Umfeld von Aids war fr viele plausibler als eine fr die LSBTIQ*-Szene (was heute unsere Zweckbestimmung ist). Uns ist wichtig, fr alle Menschen, die nicht anonym beigesetzt werden wollen, eine Grabsttte in Gemeinschaft anzubieten gedacht als eine Art Fortfhrung der erlebten Gemeinschaft in der LSBTIQ*-Szene. Dies gilt heute insbesondere angesichts ansteigender Vorurteile, Anfeindungen und leider auch von Angriffen gegen die Community. Dazu gehrt ebenso die Gemeinschaft der Lebenden, welche die Grabsttte seit 30 Jahren erhlt, pflegt und der Verstorbenen solidarisch gedenkt.

Mit welchen Herausforderungen waren Sie bei der Errichtung der Grabsttte konfrontiert?

Am schwierigsten war die Finanzierung, denn man bekommt natrlich keine Grabsttte umsonst gestellt. Eine solche Anlage besteht aus vielen einzelnen Grabstellen, aus deren Anzahl sich dann die Kaufgebhr, sowie die jhrlichen Verlngerungsgebhren, berechnen.

Unsere bentigten Startkosten von ber 50.000 Euro wurden teils durch Spenden, teils durch mehrere Privatkredite finanziert. Ohne dieses Eigen-Engagement wre die Umsetzung nicht realisierbar gewesen. Dies gilt bis heute fr Kosten, die sich immer wieder fr Neuanschaffungen (zum Beispiel von Namenstafeln), sowie Reparatur- oder Restaurierungs-Arbeiten ergeben.

Welche Ratschlge knnten Sie der Schwulenberatung Berlin fr die Umsetzung ihrer eigenen Grabsttte geben?

Entscheidend fr Akzeptanz und Nutzung einer solchen Grabsttte drfte sein, dass sie bekannt wird und bleibt und dass die Idee dahinter als einleuchtend empfunden wird. Dafr ist eine gelingende Kommunikation in der Szene ausschlaggebend.

Eine krzlich von queer.de durchgefhrte Umfrage ergab, dass etwa 55 Prozent der Befragten die Separierung durch LGBTI-Grabsttten als «unntig und albern» empfinden. Wie stehen Sie zu dieser Kritik?

Die Menschen mit dieser Kritik scheinen den Fokus ausschlielich auf den Begriff «LSBTIQ*» zu legen und dies als Aus- oder Abgrenzungswunsch zu interpretieren. Tatschlich geht es uns aber vor allem um eine «Gemeinschaftsgrabsttte», also darum, nicht in einem Einzelgrab oder anonym beigesetzt zu werden. Eine Trennung zu irgendetwas oder irgendjemanden erfolgt dabei nicht, denn jeder Mensch hat Zugang zu unserer Grabsttte. Sie soll gleichermaen der Erinnerung an die Verstorbenen und als Gedenkort fr die Lebenden dienen.

Haben Sie den Eindruck, dass die Nachfrage nach Bestattungspltzen auf Ihrer Grabsttte in den letzten Jahrzehnten gestiegen oder gesunken ist?

Die jhrliche Bestattungsanzahl ist in alle Richtungen schwankend. Zum einen gibt es viele andere Bestattungsformen wie Seebestattung, Einzel-, Paar- oder Familiengrber, Ruhewald, anonyme Grber, aber auch diverse Themengrabanlagen der Friedhfe. Zum anderen ist es eine stetige Herausforderung, unseren Verein innerhalb der LSBTIQ*-Community bekannt zu machen und zu halten. Nicht nur, weil viele Menschen sich womglich gar nicht in der Szene bewegen, sondern auch, weil zum Beispiel Anzeigen in Community-Zeitschriften in der Regel nicht finanzierbar sind.

Erhalten Sie Einblicke in die Lebensgeschichten der Menschen, die dort ihre letzte Ruhe finden? Falls ja, handelt es sich berwiegend um Menschen, die ein erflltes Leben gefhrt haben, oder auch um solche, die unter ihrer Queerness gelitten haben?

Da unsere Gemeinschaftsgrabsttte aus der Arbeit der Aids-Seelsorge hervorging und heute der Nachfolge-Organisation «positiv leben&lieben» verbunden ist, gab und gibt es zu den meisten der bislang bei uns beigesetzten Personen persnliche Kontakte. Unser Eindruck ist, dass die deutliche Mehrheit dieser Menschen ziemliche Lasten in ihren Leben getragen hat. Dies sowohl in wiederkehrenden Phasen aufgrund verschiedener Diskriminierungserfahrungen und/oder anderer Brche im Leben als aber auch durchgehend. Dabei ging und geht es um viel mehr als «unter Queerness zu leiden».

Inwiefern unterscheidet sich Ihre LGBTI-Grabsttte von anderen? Gibt es besondere Trauerfeiern oder spezifisch queere Aspekte?

Viele Menschen wissen gar nicht, dass die modernen, sehr individuellen und manchmal auch ungewhnlichen Rituale und Ablufe bei einer Trauerfeier oder Beisetzung aus der damaligen Aids-Bewegung in Amerika stammen. Davor waren die Ablufe sehr vorgegeben, starr und alles davon Abweichende verpnt.

Zu unserer Gemeinschaft gehren Grab-Begngnisse am Pfingstmontag und Totensonntag. Dabei werden Gedichte oder Texte verlesen und am Ende Rosen verteilt, welche jeweils nach eigener Wahl niedergelegt werden. Am Totensonntag werden zudem die Namen aller Verstorbenen verlesen. Danach besteht die Mglichkeit, den Tag in einem Caf ausklingen zu lassen. Aber auch ein sommerliches Picknick auf der Grabanlage hat schon mehrfach stattgefunden. Zum CSD in Hamburg planen wir, auch in diesem Jahr im Programm der Pride Week eine Veranstaltung mit Informationen zu unserem Verein und zur Grabsttte anzubieten.

Knnen prinzipiell alle Menschen auf Ihrer Grabsttte begraben werden? Wie gestaltet sich der Aufnahmeprozess?

Unsere Grabsttten sind auch fr Partner*innen, Familienmitglieder, Freund*innen sowie alle Menschen zugnglich, die sich der LSBTIQ*-Community verbunden fhlen, also auch fr heterosexuelle Menschen. Eine Vereinsmitgliedschaft ist nicht Bedingung, um bei uns beigesetzt werden zu knnen. Dennoch freuen wir uns stets sehr ber jeden neuen Vereinsbeitritt. Vorsorgevertrge knnen, mssen aber nicht vorher abgeschlossen werden. Auch Sozialbestattungen sind in einem bestimmten Bereich unserer Grabsttte mglich. Auf einer Grabplatte mit der berschrift «In Memoriam» kann zudem an Menschen erinnert werden, die nicht auf unserer Grabanlage beigesetzt wurden oder deren Grber nicht mehr existieren.

Haben Sie Kenntnis von anderen Stdten, abgesehen von Berlin, die hnliche Projekte planen?

Zu Gemeinschafsgrabsttten zum Thema HIV & Aids schon, aber nicht zum Thema LSBTIQ*-Community, wie wir sie heute als MEMENTO e.V. in Hamburg anbieten.