Queeres Lesen und postkoloniales Zuhren
Mit «Das schne Lcheln von Riambel» (Amazon-Affiliate-Link ) liegt nun erstmals die deutsche bersetzung eines Romans im Gutkind Verlag vor, der bereits international Anerkennung fand. Die in Mauritius geborene Autorin Priya Hein hat das Buch im Juni vor fnf Jahren als direkte Antwort auf den Backlash zur Black-Lives-Matter-Bewegung und aus ihrer Perspektive als Woman of Color geschrieben. Das Ergebnis ist ein eindringliches Werk, das sowohl ber die Geschichte als auch ber die Art, wie sie erzhlt wird, das Einfhlungsvermgen der Leser*innen auf unvergleichliche Weise anspricht.
Bereits die englische Originalfassung wurde unter dem Titel «Riambel» mit dem Prix Jean Fanchette (2021) sowie dem Prix Athna (2023) ausgezeichnet. Damit reiht sich das Buch in eine Literaturtradition ein, die sich kritisch mit postkolonialen Strukturen und ihrer Wirkung auf Alltag, Sprache und Krper auseinandersetzt. Jean Fanchette selbst, nach dem einer der Preise benannt ist, wird im Roman zitiert und gewrdigt. Seine Auseinandersetzung mit der komplexen, kulturell verwobenen Geschichte des Inselstaats Mauritius setzt sich in Priya Heins Roman nicht nur im Inhalt, sondern auch im Stil sprbar fort.
Von der non-konformen Erzhlung zur kollektiven Tragkraft
«Das schne Lcheln von Riambel» ist allerdings kein Roman im klassischen Sinne und will es auch gar nicht sein, wie die Autorin einleitend festhlt. Auf 174 Seiten verteilen sich 67 kurze Kapitel, unter denen sich auch Gedichte, Rezepte und sogar Lieder finden. Indem die mauritischen Autor*innen und Knstler*innen, deren Werke hier wertgeschtzt werden, nicht namentlich zugeordnet werden, wird eine kollektive Erfahrung deutlich, die sich im Narrativ wiederfindet.
Die Geschichte handelt nmlich von der 15-jhrigen Nomi, die unter den Bedingungen postkolonialer Armut und patriarchaler Strukturen aufwchst. Dabei folgt die Erzhlung nicht nur ihr durch ihren Alltag, in die Schule, in die Arbeit, sondern auch ihrer Mutter, Gromutter und ihrer Schwester. Damit erhlt das Narrativ einerseits die kollektive Tragkraft der Erfahrungen von Women of Color, andererseits rcken auch mtterliche und gromtterliche Bezugspersonen zwischen Frsorge und Konflikt ins Zentrum eine Beziehungscharakteristik, die auch die Geschichte vieler BIPoC Queers prgt.
Mehrsprachigkeit als Klassenfrage
Bemerkenswert ist auch, wie Hein Sprache nicht nur als Werkzeug des eigenen Schreibens verwendet, sondern als Instrument (post-)kolonialer Machtdynamiken aufzeigt. Wo der Wechsel zwischen Ich- und Du-Erzhlung das Einfhlen in die Protagonistin intensiviert, zeigt der gezielte, partielle Einsatz der Kreolsprache Morisyen und von Franzsisch auf, wie Sprache Identitt, Zugehrigkeit auch schmerzlich prgen kann.
Hier drfen, sollen und mssen manche Wrter unbersetzt stehen bleiben, andere sich aus dem Kontext erschlieen lassen und wieder andere dann erklrt werden. Weil sich dadurch nmlich verstetigt, wann wer welche Sprache auf welche Weise spricht, wer verstanden werden mchte, und wer, wie selbstverstndlich, davon ausgeht, dass diese*r jenige*r verstanden zu werden hat. So werden koloniale Sprachspuren sprbar, ohne dass sie erklrt werden mssen. Mit Ausdrcken wie «le th sous la varangue» (auf Deutsch etwa der Tee unter der Veranda) auch kulturelle Praktiken, die der kolonialen Oberschicht vorbehalten sind, aber nach wie vor auf dem Rcken von Women of Color ausgetragen werden. Mehrsprachigkeit wird hier also nicht als kosmopolitische Zierde, sondern als politische Aussage eingesetzt.
Resonanzrume jenseits von Reprsentation
Zwar ist das Buch nicht explizit queer, aufgrund seiner nonkonformen Erzhlweise ist es jedoch eine lohnenswerte queere Lektre. ber die Empathie, die die Leser*innen aufbauen, gestalten sich hier Resonanzrume, die ber Reprsentation hinausgehen und Solidaritt ermglichen.
Priya Hein liefert damit auch eine wichtige und beispiellose Methode, sich zusammenzufinden, einander zuzuhren und freinander einstehen zu knnen, ohne gleiche Identittsmerkmale voraussetzen zu mssen etwas, das die queere Community ohnehin ausmacht oder ausmachen sollte, von der Art und Weise aber auch noch etwas lernen kann. Denn gerade in Lebensrealitten von queeren, oft kosmopolitischen Beziehungen kreuzen sich vielschichtige Geschichten. Perspektiven, die direkt von den Auswirkungen kolonialer Gewalt geprgt sind, geraten im deutschsprachigen Kontext immer noch allzu leicht in den Hintergrund.
Worte, die dahin gehen, wo es weh tut
«Das schne Lcheln von Riambel» stellt genau diese Perspektiven in den Mittelpunkt. Es erzhlt nicht ber BIPoC-Erfahrungen, sondern aus ihnen heraus sprachlich, emotional wie politisch. Queere Leser*innen, die sich mit Fragen von Privilegien, Herkunft und globaler Ungleichheit auseinandersetzen, finden in der Lektre ein Gegenber, das ungeschnt preisgibt, ohne anzuklagen. Heins Sprache zeigt, wie solidarisches Lesen und Lernen gelingen kann: Nicht durch Aneignung oder Fetischisierung, sondern durch emotionale Verbundenheit.
Auch wenn der Titel «Das schne Lcheln von Riambel» anderes vermuten liee, geht Priya Hein mit ihren lebendigen Worten dahin, wo es weh tut. Sie spart dabei nicht an schmerzlichen Beschreibungen davon, wie Begehren unter strukturellen Machtverhltnissen zur Lebensgefahr wird, und kommt dabei ohne Polemik aus. Wer allerdings von Fetischisierung, sexualisierter Gewalt, Femizid, Drogen und Abtreibung nichts wissen will, hlt das falsche Buch in den Hnden.
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