Selbstbestimmung im Bundestag: SPD macht Ansage an Koalitionspartner
Im Bundestag ging es am spten Donnerstagnachmittag auf Wunsch der AfD erneut um das Selbstbestimmungsgesetz wie zuletzt Ende Januar (queer.de berichtete). Die rechtsextreme Fraktion rief in ihrem Antrag (PDF) die Bundesregierung auf, das Gesetz «unverzglich aufzuheben».
In der knapp 40-mintigen Debatte folgte dabei ein althergebrachtes Ritual: Die AfD schimpfte ber «Dekadenz» und behauptete praktisch, dass trans Menschen nicht existierten. Die anderen Fraktionen einschlielich der Kanzlerfraktion reagierten ablehnend. Eine sozialdemokratische Rednerin machte auerdem gegenber der Union deutlich, dass mit ihr ein Zurckfahren der trans Rechte nicht zu machen sei.
Als erster Redner wandte sich der fr seine Attacken auf LGBTI-Rechte berchtigte Martin Reichardt direkt an CDU und CSU, der er «Heuchelei» vorwarf. Er zitierte transfeindliche Reden aus Unionskreisen etwa aus einer Rede der CDU-PolitikerinMareike Wulf, die im November 2023 trans Menschen entgegengeworfen hatte, das Geschlecht sei eben «Schicksal» und nicht «frei whlbar».
Die Union, so Reichardt, sei mit AfD-Forderungen auf Stimmenfang gegangen. Dann habe sie den «falschen» Koalitionspartner ausgewhlt und wolle jetzt das Selbstbestimmungsgesetz belassen, so sein Vorwurf. «Mnner, die sich einbilden, Frauen zu sein, sind genauso auf dem Holzweg wie Unionspolitiker, die sich einbilden, Konservative zu sein.»
AfD: «Bundestag ist kein Zirkuszelt»
In Richtung der konservativen Parteien appellierte der Chef der AfD Sachsen-Anhalt: «Zeigen Sie gemeinsam mit uns der Welt da drauen, dass der Deutsche Bundestag eben kein Zirkuszelt ist, indem sich infantil linksextreme Krfte von [Linken-Fraktionschefin Heidi] Reichinek ber [Grnenfraktionschefin Katharina] Drge bis [SPD-Abgeordneter Ralf] Stegner nach Belieben in Konfetti-Regen austoben knnen.» Damit zitierte er eine abfllige Bemerkung des bei der Debatte nicht anwesenden Bundeskanzlers Friedrich Merz (CDU), der das Regenbogenfahnenverbot am Bundestag damit verteidigte, dass das Parlament kein «Zirkuszelt» sei.
Der CDU-Politiker Ansgar Heveling wollte der AfD-Kritik insbesondere aus formalen Grnden nicht zustimmen. So bemngelte er, dass im Antrag die Bundesregierung aufgefordert werde, das Gesetz abzuschaffen das sei aber Aufgabe des Bundestages. «Wenn Sie wissen, was Sie wollen, warum legen Sie dann nicht direkt einen Gesetzentwurf vor, den Sie fr rechtskonform halten, ber den wir dann debattieren knnen?», so der 53-Jhrige.
Inhaltlich behauptete er, dass Selbstbestimmungsgesetz sei «in dieser Form unausgereift» und verwies auf die Evaluation zum 31. Juli 2026. Wie viele Konservative vor ihm warnte er vor angeblichem Missbrauch: «Der Umgang mit dem Geschlechtseintrag darf nicht bloe Formsache sein. Personenstandsangaben bentigen Verbindlichkeit. Damit wird Ernsthaftigkeit gesichert und Missbrauch ausgeschlossen.»
Dann wandte er sich zur rechten Seite des Parlaments: «Wir brauchen aber in dieser Sache keine schnellen Parolen von Rechtsauen, sondern ein sachliche und differenzierte Auseinandersetzung, mit der Frage, wie wir ein Verfahren rechtssicher und verantwortungsvoll gestalten knnen.» Zudem beschuldigte er die rechtsextreme Fraktion, in der Koalition «durch kalkulierte Provokationen Zwietracht zu sen.»
Slawik: AfD-Antrag «Angriff auf Freiheit und Wrde von Menschen»
Die trans Politikerin Nyke Slawik (Grne) wurde in ihrem Redebeitrag sehr deutlich. Zum AfD-Antrag sagte sie: «Das ist absurd. Es ist ein Angriff auf die Freiheit und Wrde von Menschen in unserem Land. Und es ist ein Angriff auf unsere Demokratie, die sich am Schutz von Minderheiten bemisst. Ich bin es so leid, dass schon wieder Stimmung gemacht wird gegen transgeschlechtliche Menschen in diesem Land.»
Deutschland, so die Leverkusenerin, habe viele Probleme, aber: «Wird das Leben in diesem Land von irgendjemandem in diesem Land eigentlich besser, wenn jetzt schon wieder auf trans Menschen rumgehackt wird? Wir die Miete dadurch gnstiger, die Kita-Betreuung besser? Ich glaube kaum.» Slawik erklrte weiter, sie sei stolz auf das Selbstbestimmungsgesetz, das Deutschland in die Top Ten der LGBTI-freundlichsten Lnder Europas katapultiert habe.
Zudem verstehe sie die Aufregung nicht: «Wenn Menschen whlen gehen, verlangt zu Recht niemand eine Eignungsprfung. Wenn Leute heiraten wollen oder eine Familie grnden, auch da entscheidet der Staat nicht, ob sie geeignet sind. Aber wenn jemand seinen Geschlechtseintrag ndern will, dann wird von der AfD pltzlich der Untergang des Abendlandes heraufbeschworen.»
Carmen Wegge (SPD) ging ebenfalls auf Distanz zur AfD und spter auch zum Koalitionspartner Union. «Wir erleben mal wieder, wie die Rechtsextremen in diesem Land unter fadenscheinigen Vorwnden Stimmung gegen ein Gesetz machen, das Minderheitenrechte schtzt», sagte sie zunchst und sprach von «bewusster Panikmache». Das Selbstbestimmungsgesetz habe «jahrzehntelange Diskriminierung» beendet. Und die Bayerin stellte klar: «Es gibt keine Automatismen, die irgendjemandem Zugang zu geschtzten Bereichen garantieren.»
«Mit uns als SPD-Fraktion gibt es keine Diskriminierung von trans Menschen in dieser Legislaturperiode»
Wegge erklrte, dass ihre Fraktion «dieses Gesetz mit aller Kraft» verteidigen werde. In Richtung CDU/CSU machte sie deutlich: «Und fr uns ist auch klar: Mit uns als SPD-Fraktion wird es keine verschrfende Diskriminierung oder Benachteiligung von trans Menschen auch in dieser Legislaturperiode geben.»
Der Fall Marla-Svenja Liebich zeigt, wie skrupellos mal wieder Rechte versuchen, unsere Demokratie und unseren…
Maik Brckner, der queerpolitische Sprecher der Linksfraktion betonte ebenfalls, das Gesetz verteidigen zu wollen: «Meine Damen und Herren, das Selbstbestimmungsgesetz erleichtert es trans, inter und nichtbinren Menschen, ihren Namen und ihren Geschlechtseintrag zu ndern. Nicht mehr und nicht weniger», betonte er zu Beginn seiner Rede. Mit Blick auf den Fall Liebich sagte er: «Nach der medialen Berichterstattung zum Selbstbestimmungsgesetz in den vergangenen Wochen hab ich nochmal einen Blick in den Gesetzestext geworfen. Da steht definitiv nicht drin, dass verhaltensauffllige Neonazis im Frauenknast untergebracht werden mssen. Wirklich nicht!»
Die AfD versuche grundstzlich, die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen, so der queerpolitische Sprecher der Linksfraktion: «Die extreme Rechte will staatlich festlegen, dass ein trans Mann kein Mann ist, dass Frauen an den Herd gehren oder dass alleinerziehende Mtter mit ihren Kindern keine richtigen Familien sind.» Die USA und Ungarn seien hier «mahnende Beispiele».
Linke will bei Selbstbestimmungsrecht noch weiter gehen
Er ging dabei noch weiter: «Deutschland verdient ein besseres Selbstbestimmungsrecht». So msse etwa der Hausrechtsparagraf gestrichen werden der «diskriminierende Trpolitik in Fitnessstudios und Saunen» gestatte. Brckner erinnerte auch an die Aussage Bundeskanzler Merz (CDU) vom Juli, der behauptete, «alles tun» zu wollen, um queerfeindliche Bedrohungen abzuwenden (queer.de berichtete). «Wer’s glaubt, wird selig. Sie als Union haben die gesamte Pride-Season dafr genutzt, die queeren Communitys herabzuwrdigen», warf er der Mehrheitsfraktion vor. «Sie haben Wahlkampf gegen das Selbstbestimmungsgesetz gemacht. Und ihr Flirt mit der extremen Rechten ist die gegenwrtig grte Gefahr fr queere Menschen und die Freiheit in diesem Land.»
Dem Vorwurf widersprach der CSU-Politiker Konrad Krner in seiner Rede energisch: «Diese Unionsfraktion ist nicht ansatzweise eine Gefahr, sondern die Brandmauer, wenn Sie so wollen, gegen die extreme Rechte in diesem Land.» Sie reprsentiere «die Mitte und den gesunden Menschenverstand».
Daraufhin warf er dem Selbstbestimmungsgesetz vor, die Gesellschaft «aufgebracht» und «Verunsicherung im Land» erzeugt zu haben. Das Gesetz msse deshalb berprft werden wie jedes andere Gesetz auch. «Im Gegensatz zu Ihnen wollen wir das Thema ernsthaft besprechen, ernstnehmen und dann gesellschaftlich vershnend regeln», so Krner.
Im Bundestag Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Selbstbestimmungsgesetzes wird erstmals beraten. Das Selbstbestimmungsgesetz
Gab es heute vor den Deutschen Bundestag auf dem Platz der Republik eine Demonstration zum bebelplatz#b1109 pic.twitter.com/3hby4EgpjL
Mit einer polemischen Rede meldete sich im Anschluss die AfD-Abgeordnete Birgit Bessin zu Wort: «Dieses Selbstbestimmungsgesetz ist nichts anderes als ein Symbol fr Dekadenz, fr Realittsverweigerung, ideologisierte Politik und zeigt einmal mehr, wie sich eine Regierung von einer winzigen Mehrheit [sic] unserer Gesellschaft zum Narren halten lsst.» Sie fuhr mit der Mr von der Welle der angeblich bergriffigen trans Personen fort: «Frauen werden indirekt Freiwild durch ihr Gesetz.» Das Gesetz wrde auch Pdophilie begnstigen. «In meinen Augen ist das pervers», schnaubte die Rechtsextremistin.
In einer Zwischenfrage wollte Grnen-Abgeordneten Ulle Schauws dann wissen, was Bessin tun wrde, wenn ihr Kind sich als trans outen wrde. Die AfD-Politikerin beantwortete die Frage nicht sondern attackierte die Fragestellerin.
Als letzter Redner zeigte sich Falko Dromann (SPD) sichtlich frustriert nicht nur ber diese Debatte, sondern den gesamten Sitzungstag: «Ich musste mir heute in diesem Plenum eine Diskussion von der AfD anhren [ber die] Zurckweisung aller asylsuchenden Personen an den Grenzen. Ich musste mir einen Antrag anhren [zum Thema] ‚Rckkehr zur Kernenergie‘. Danach kam die bliche Aufhebung seien Sie mal ruhig die bliche Aufhebung der Immunitt gegen einen Ihrer Abgeordneten mit Hausdurchsungen, und jetzt muss ich mir diese Diskussion ber Selbstbestimmung noch einmal antun. Haben wir in diesem Land wirklich gar keine anderen Probleme, als immer wieder diesen Unsinn hier zu besprechen?»
Es gebe immer die gleiche Diskussion, so der queerpolitische Sprecher der SPD-Fraktion. Die AfD wrde etwas zu einem Problem machen, was in der wirklichen Welt keines sei.
? Alleine am gestrigen Donnerstag mussten wir uns in der ersten Sitzungswoche nach der Sommerpause im Bundestag wieder…
Der AfD-Antrag soll nun in den Ausschssen debattiert werden.
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