
So lebendig und liebevoll wurde die schwule Szene kaum je wieder portrtiert
«Ja und Nein, das kann das Gleiche sein», singt Max Raabe ber den Vorspann von «Der bewegte Mann», und das klang 1994 zum Kinostart von Snke Wortmanns zum Beziehungskomdienblockbuster avancierter Adaption des Comics von Ralf Knig sicher noch deutlich harmloser und neckischer, als es heute wirkt jedenfalls in den Ohren des «breiten Publikums», was oder wen auch immer man sich darunter vorstellte. Denn auf ein solches «breites Publikum» zielte «Der bewegte Mann» schon ab: Knigs Comic markierte 1987 dessen Debt im Rowohlt-Verlag, wurde zum Bestseller und zog ein Jahr spter die Fortsetzung «Pretty Baby» nach sich, die Wortmann fr seine Kinoadaption gleich mitverfilmte. Der erste offen schwule Film der deutschen Mainstream-Kinokomdie wurde dann auch tatschlich mit ber 6,5 Millionen Kino-Zuschauer*innen zum stilbildenden Erfolgsfilm ein Schritt in Richtung einer Diversifizierung des deutschen Kommerzkinos? Ja, unbedingt, aber auch einer, fr den ein gewisser Preis bezahlt werden musste.
Denn obgleich es in Wortmanns Film durchaus eine schwule Lebenswelt zu sehen gibt, wie man sie so jedenfalls im Mainstream des deutschen Kinos noch nicht kannte, wurden die Vorlagen fr die groe Leinwand doch auch ein Stck weit entschrft oder, umgekehrt, die bei Knig betont unscharfe Grenze zwischen Heteromacker und «modernem», bisexuellem, halt «bewegtem» Mann wieder etwas konkreter gezogen. Da gehrt sicherlich dazu, dass wir Axel (Til Schweiger), gemeinsam mit seiner Freundin Doro (Katja Riemann), erstmal beim Fremdvgeln auf dem Restaurantklo erwischen. Im Comic verluft das etwas unspektakulrer, und Knigs Doro ist eher mit der Gesamtsituation unzufrieden. Zu eiferschtig sei er, berichtet der Knollennasen-Axel dort, und dass er angesichts seines eigenen, nicht mehr ganz zeitgemen Mnnlichkeitsbildes an sich arbeiten muss, ist ihm durchaus bewusst.
Verklemmte Typen, die sich larmoyant die Kpfe heireden
In die Mnnergruppe, in der er dann auf den schwulen Walter alias Waltraud (im Film der wunderbare Rufus Beck) trifft, stolpert er bei Wortmann eher zufllig und auf der Suche nach einem Schlafplatz hinein. Was Til Schweiger den man damals nur aus der «Lindenstrae» und aus Wolfgang Blds KfZ-Komdie «Manta Manta» kannte Gelegenheit gibt, jedenfalls ein klein wenig von jenem ernst gemeinten Macker-Durchblickertum auszuspielen, das eigene Regie-Arbeiten wie «Klassentreffen 1.0 Die unglaubliche Reise der Silberrcken» spter in die Nhe heteronormativer Hate Crimes rcken wrde.
Nicht dass die verklemmten Typen, die sich larmoyant die Kpfe heireden, bei Knig wesentlich besser wegkmen. Insbesondere die auch spter geuerte berzeugung des Autoren, dass es vielleicht im Hinblick auf die Arbeit an sich selbst und die Vernderung tiefliegender berzeugungen und Prgungen gar nicht so prioritr sein knnte, immer das hundertprozentig korrekte Wort zu verwenden, kommt in Film wie Comic hchst pointiert zum Ausdruck. Wie auch all die anderen Doppelmoralismen seiner «bewegten» Heteromnner: Auf das Referat ber «Heie Schenkel blutjunger Tchter» jedenfalls warten wir heute noch.
Nach drei Jahrzehnten noch immer hochkomisch
Dabei handelt es sich ber weite Strecken tatschlich um eine auffallend werkgetreue Adaption, und viele von Knigs Dialogen haben es unverndert in Wortmanns Adaption geschafft wo sie, damals wie heute, ganz hervorragend funktionieren, denn «Der bewegte Mann» ist auch beim Wiedersehen nach drei Jahrzehnten immer noch hochkomisch. Das hat er nicht zuletzt seinem groartigen Cast zu verdanken, denn neben Til Schweigers zwischen vertrottelt-chauvinistisch und charmant-lausbbisch changierender erotischer Projektionsflche und der ewigen 1990er-Beziehungskomdien-Queen Katja Riemann glnzen hier vor allem die hetero Schauspieler in den tragenden Homorollen. Rufus Becks exaltierte Waltraud ist ebenso unvergesslich wie Armin Rohde als horrorfilmvernarrter Metzger der «heterosexuellste Homosexuelle der Welt», der nach der Nachtschicht im Schlachthof den «Frikadellenmrder von Manhattan» schaut, gern zum Fuball geht und sich noch lieber prgelt.
Und dann ist da natrlich noch Joachim Krl, der im Vorjahr in Detlev Bucks berraschungserfolg «Wir knnen auch anders » erstmals mit lakonischster Komik auf sich aufmerksam gemacht hatte und der nach dem «Bewegten Mann» aus dem deutschen Kino der 1990er Jahre nicht mehr wegzudenken war. Die Figur des Norbert Brommer hat sich Krl mit einer verdruckst-zurckgenommenen Performance zu eigen gemacht und ihr gerade dadurch eine Tiefe und Wahrhaftigkeit gegeben, die sie zum eigentlichen Sympathietrger des Films macht. Denn die Gefahr bestand ja durchaus, dass das grere Interesse, das Wortmanns Film der heterosexuellen Paarbeziehung von Axel und Doro entgegenbringt, das schwule Ensemble von Knigs Comicvorlage zu Stichwortgebern und Sidekicks degradieren knnte. Oder im schlimmsten Fall zu Karikaturen und ebenjenen wandelnden Schwulenwitzen, wie man sie aus dem deutschen Mainstreamkino frherer Dekaden kannte. Fr Anschauungsmaterial vergleiche man etwa das Gesamtwerk von Werner Rglin.
«Der bewegte Mann» als doppelte Zeitkapsel
Das ist aber hier berhaupt nicht der Fall, und so lebendig und liebevoll wie in «Der bewegte Mann» wurde die schwule Szene jedenfalls im deutschen Mainstream-Kino auch danach kaum je wieder portrtiert. berhaupt hat man das Gefhl, dass Wortmann hier etwas ganz Entscheidendes aus Knigs Comics auf die Leinwand herberrettet: das Gefhl nmlich, dass diese Geschichten bei aller humoristischen berzeichnung aus dem Leben und aus dem Alltag heraus geschpft sind. Somit wird «Der bewegte Mann» auch zu einer Zeitkapsel, einer doppelten sogar. Denn insbesondere das heterosexuell veranlagte Figurenensemble, von den larmoyanten Labertaschen aus der Mnnergruppe bis zur zwar emanzipierten, aber doch dem sicheren Kleinfamilienglck zugeneigten Doro, scheint noch in den friedens-, ko-, frauen- und sonstwie bewegten 80er-Jahren verhaftet, denen Knigs Comics ja auch entstammen.
Zum Kino-Massenerfolg konnte der Stoff dann allerdings vermutlich doch erst ein paar Jahre spter werden und dann sogar eine kleine Welle im Kino der 1990er Jahre auslsen. Nicht nur die Beziehungskomdienwelle, die das gesamte Jahrzehnt mindestens kommerziell entschieden prgte, sondern auch den einen oder anderen weiteren Versuch, schwule Lebenswelten und auch in ihrer Heterosexualitt nicht ganz und gar so festgelegte Protagonisten im kommerziellen Kino (oder auch Fernsehen) zu erzhlen. ber die spt nachgereichte WG-Sitcom «Bewegte Mnner», die von 2003 bis 2005 bei Sat.1 zu sehen war und es auf immerhin drei Staffeln brachte, schweigen wir hier lieber mal aber Rolf Silbers thematisch mindestens verwandte Komdie «Echte Kerle», in der Christoph M. Ohrt als Macho-Polizist seine eigene Sexualitt in Frage zu stellen lernt, knnte man in dieser Hinsicht durchaus einmal wiederentdecken. Zumindest ein bisschen, denn so lustig wie Wortmanns Film ist sie leider bei weitem nicht.
Frischer Wind fr das deutsche Kino
Derart pointiert und geschliffen kamen allerdings auch Wortmanns eigene Filme danach selten wieder daher, auch wenn das Wiedersehen von «Der bewegte Mann» sofort begreiflich macht, warum Wortmann damals als groes Talent und frischer Wind fr das deutsche Kino galt. berhaupt muss man sich im Rckblick unbedingt vor Augen fhren, dass die Filmemacher*innen, die Anfang der 1990er Jahre die Beziehungskomdienwelle lostraten, eben gerade nicht, wie heute zumeist, die Angepassten des deutschen Mainstreams waren. Wortmanns «Allein unter Frauen», Katja von Garniers «Abgeschminkt!», Rainer Kaufmanns «Stadtgesprch» das waren Filme von jungen Wilden, die keine Lust mehr hatten auf verkopftes, am Publikum vorbei inszeniertes Autor*innenkino. Und die sich, nachdem die Oberhausener 1962 ffentlichkeitswirksam Papas Kino zu Grabe getragen hatten, nun wieder trauten, von einem populren deutschen Unterhaltungskino zu trumen.
Snke Wortmann selbst wurde dann tatschlich zu einem der erfolgreichsten Regisseure dieses neuen deutschen Unterhaltungsfilms denn neben gar nicht mal so wenigen Flops ist es ihm immer wieder gelungen, neue kleine Wellen und Trends im deutschen Kino auszulsen oder mindestens entscheidend mitzuprgen. Und dann eben auch, im Gegensatz zu vielen anderen, rechtzeitig wieder etwas Anderes zu drehen, bevor die Welle endgltig ausgelaufen ist. An den Erfolg von «Der bewegte Mann» knpfte Wortmann in den 1990er Jahren eigentlich nur noch einmal direkt (und halbwegs erfolgreich) an, mit seiner Verfilmung von Hera Linds Bestseller «Das Superweib». (Dass Ralf Knig und Hera Lind in der Nivellierungsmaschine des deutschen Kinos Teil ein- und derselben Welle sein knnen, ist eine andere Frage fr einen anderen Text.)
Und whrend die deutsche Beziehungskomdie so lange ausgepresst und zu Tode variiert wurde, bis sie um die Jahrtausendwende herum wirklich niemand mehr sehen wollte, versuchte sich Wortmann an einer Campuskomdie und einem Hamburger Kiezfilm, legte einen vollumfnglich gescheiterten Versuch einer Hollywood-Karriere hin und war dann, um die Fuball-WM 2006 herum, wieder zur richtigen Zeit am richtigen Drehbuch und profilierte sich mit dem Fuballfilm-Doppelschlag «Das Wunder von Bern» und «Deutschland. Ein Sommermrchen» als so etwas wie der Leni Riefenstahl der Berliner Republik.
Wortmanns heutige Perspektive ist streng bourgeois
Heute ist Wortmann nach wie vor ungebrochen produktiv als Regisseur einer fortlaufenden Serie brgerlicher Social-Engineering-Komdien, die 2015 mit «Frau Mller muss weg!» begann und auch mit «Der Spitzname» 2024 noch nicht abgeschlossen scheint. Von der Frische der frhen Jahre ist darin nichts mehr zu spren. Oftmals geht es zwar auch um Formen von Unangepasstheit, zumeist vor dem Hintergrund des Schul- oder Universittssystems, in dem prinzipiell alle Lehrer von Christoph Maria Herbst gespielt werden. Die Perspektive ist aber streng bourgeois, all diese Filme blicken mit Eltern- und/oder Lehreraugen auf das Bildungssystem und die Jugend von heute.
Da hatte zuletzt selbst noch Simon Verhoevens «Alter weier Mann», noch so ein wohlmeinender Social-Engineering-Film, mehr Welthaltigkeit zu bieten und auch, im Gegensatz zu Wortmanns durch und durch heterosexuellem Sptwerk, jedenfalls einen Hauch Queerness. Denn auf seiner Odyssee zur groen Ausshnung und der eigenen Anschlussfhigkeit an die Neue Zeit macht Jan Josef Liefers› Titel(anti)held dort auch einen Abstecher in die queer-woke Berliner Szene, die Verhoeven eher mit sprbarer Sympathie (ber-)zeichnet, statt sie, was dem Film oft vorgeworfen wurde, blo aus onkelhafter Perspektive lcherlich zu machen.
Um ein Sequel kamen wir herum
Um eine Aktualisierung von «Der bewegte Mann» fr die Boring Twenties des 21. Jahrhunderts sind wir brigens nur haarscharf herumgekommen. Zum dreiigjhrigen Jubilum im Jahr 2024 htte man bei Constantin Film nur zu gern ein Legacy Sequel produziert nach dem einigermaen erfolgreichen Vorbild des anderen groen Early-Til-Schweiger-Kinohits, der 2023 mit «Manta Manta Zwoter Teil» neu aufgelegt wurde. Ohne Ralf Knigs Mitarbeit hat man sich aber dann doch nicht an eine solche Fortsetzung herangetraut. Vielleicht hatte man auch noch die Sat.1-Sitcom im Hinterkopf, die Knig selbst nicht zu Unrecht als «schwulenfeindlich» bezeichnete. Und ebendieser Knig hatte berhaupt keine Lust auf das Projekt, denn: Til Schweiger und Katja Riemann dreiig Jahre spter, was gibt es da noch zu erzhlen?
Ein bisschen schade vielleicht auch, denn das Elend der heterosexuellen Kleinfamilie, von Ralf Knig erzhlt, htte man ja vielleicht sogar ganz gerne auf der Leinwand gesehen. So bleibt uns nur, den lyrischen Epilog aus «Pretty Baby» zu zitieren: «Zur Pfeife der Natur zu tanzen / Und stndig sich hinfortzupflanzen / Scheint das schicksalsschwere Los / Von Milliarden Heteros. / Sie mssen sich dem Triebe beugen / Und wie die Blden Kinder zeugen, / Dabei gibt’s schon viel zu viele / Im bervlkerungsgewhle. / Des Wahnsinns wahre fette Beute / Das sind die ganz normalen Leute!»
Die Artikelserie «Queer Cinema Classics» wird gefrdert durch die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Sie erscheint parallel bei sissy und queer.de.
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