Un-Sichtbarkeit von LSBTI* in der Kunst: 20. Jahrhundert bis Stonewall
In der Kunst wurden Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche sowie ihre Lebenswelten durch die Jahrhunderte nur mit einem auerordentlich stark schwankenden Grad an bildlicher Prsenz und Sichtbarkeit dargestellt. Abhngig von Moralvorstellungen, abhngig von strafrechtlicher Verfolgung und Zensur, abhngig aber auch vom Zielpublikum der Kunst, also fr wen sie geschaffen wurde, schwankte das Eindeutige des Dargestellten ganz wesentlich. Der Zwang zu Heimlichkeit, Selbstverleugnung und Verstecken brachte es mit sich, dass «Beweise» auch bildlicher Art entweder vernichtet oder in Codes und bewusst konstruierte Deutungsmuster verpackt wurden. In der Kunst frherer Jahrhunderte ist es also ntig, die bildknstlerischen Objekte zu dechiffrieren, ihre Zeichen innerhalb der Bildkompositionen zu interpretieren.
Noch bis zum 26. Oktober 2025 nimmt die Ausstellung «Wish you were queer. Un-Sichtbarkeit von LSBTI* in Kunst und Geschichte» im Museum im Prediger, Schwbisch Gmnd, das Selbstbild, die Wahrnehmung und die Lebenswelten von LSBTI* in den Blick. Dies ist der Anlass, die Entwicklung der Un-Sichtbarkeit von LSBTI* in der Kunst unter Einbezug von Hauptwerken der Schau in einer Artikelserie zu schildern. Anhand einer exemplarischen Besprechung von vier bis sechs Kunstwerken entlang der historischen Epochen ergibt sich ein berblick ber den chronologischen Ablauf durch die Jahrhunderte.
Christian Schad, «Brger-Casino» fr den «Fhrer durch das lasterhafte Berlin»
Die Zeichnung war die Vorlage fr eine von zehn Illustrationen, die der berhmte Knstler der Neuen Sachlichkeit, Christian Schad, fr das 1931 erschienene Bchlein «Fhrer durch das lasterhafte Berlin» von Curt Moreck schuf. Sie zeigt einen Blick in das «Brger-Casino», ein seit 1925 bestehendes Homosexuellenlokal in der Berliner Friedrichstrae.
Im Vordergrund schmiegt sich ein mnnliches Paar aneinander, in den Separes finden sich weitere Lokalbesucher. Die Innenarchitektur ist durch hlzerne Gitterwnde, knstliche Weinranken und Lampions einer Weinstube nicht unhnlich. Im Hintergrund steht in einer geffneten Tr ein Matrose, auch ist dahinter ein Boot zu erkennen, das vielleicht Teil der Raumdekoration war.
Die zehn von Schad stammenden Illustrationen geben einen hchst aufschlussreichen bildlichen Einblick in die queeren Szenenlokale in Berlin, und zwar zu einer Zeit relativer Liberalitt, wie sie in den Jahren der Weimarer Republik herrschte.
Weil der Band deutschlandweit auch im Buchhandel kuflich erhltlich war, konnte das selbstbewusste Treiben in der Hauptstadt von queeren Personen in der Provinz durchaus wahrgenommen werden und dabei identittsstiftend wirken. Einen Nutzen hatte es in jedem Fall fr diejenigen, die aus der Region nach Berlin reisten und das Buch gleichsam als Reisefhrer mitgenommen haben.
Jeanne Mammen, «Eifersucht» aus dem «Bilitis-Zyklus»
Jeanne Mammen schuf 1930 im Auftrag des Berliner Galeristen Wolfgang Gurlitt die Vorzeichnungen fr die Farblithographien einer deutschsprachigen Buchausgabe der «Lieder der Bilitis». Von den umgesetzten Lithographien nach Mammens Zeichnungen sind jedoch nur Probedrucke erhalten. Die geplante Auflage ist nie erschienen, die Machtergreifung der Nazis 1933 hat die prachtvolle Neuausgabe mit Mammens Szenenkompositionen verhindert.
Die Lieder der Bilitis sind eine Sammlung von im Wesentlichen lesbischer Gedichte des franzsischen, fr seine feinsinnige Erotik bekannten Lyrikers, Pierre Lous (1870-1925), die 1894 in Paris verffentlicht wurde. Da Lous behauptete, er habe angeblich neu entdeckte Gedichte einer antiken Lyrikerin mit Namen Bilitis aus dem Altgriechischen ins Franzsische bertragen, wird dieses Werk als Pseudobersetzung betrachtet. Die bis dahin unbekannte Dichterin, die Lous dem Umkreis der Sappho zuordnet, hat wohl nie gelebt. Die Lieder sind in drei Abschnitte unterteilt, von denen jeder eine Phase von Bilitis‘ Leben reprsentiert.
Eine der Szenen, die die offen lesbische Knstlerin Jeanne Mammen fr die Farblithographien vorgesehen hat, ist der Eifersucht gewidmet. In der Kunst ist diese bemerkenswerte Bildkomposition die erste bis heute bekannt gewordene szenische Interaktion zur Eifersucht bei einem gewhnlichen (nicht-gttlichen oder nicht-mythologischen) gleichgeschlechtlichen Paar. Eine kniende Frau hlt die andere vom Weggehen ab und im Gestus des Umklammerns schildert Mammen das Gefhl von Unsicherheit und Verlustangst, das so charakteristisch ist fr diese schmerzhafte Emotion.
Herbert Rolf Schlegel, Portrt von W. K.
Herbert Rolf Schlegel stammte aus Breslau. Seine knstlerische Ausbildung erhielt er unter anderem in Dsseldorf und Kassel. Er war ein Vertreter der romantischen Version der Neuen Sachlichkeit. Sein Portrt zeigt W. K. aus Kln, der Literat und bersetzer war. W. K. liebte es, sich in Frauenkleidern und entsprechenden Schuhen zu bewegen, zumindest im privaten Bereich. So hat der Knstler W. K. auch dargestellt, wahrscheinlich im Jahr 1930. In der Mimik und Gestik wirkt die Person auerordentlich glcklich und strahlt dadurch wertschtzendes Selbstbewusstsein aus.
Das unten rechts signierte Gemlde ist eines der frhesten Beispiele der malerischen Wiedergabe von Dress Crossing, also der Fetischisierung des Tragens von Frauenkleidung und es ist sicherlich kein Zufall, dass dies ausgerechnet in den Jahren der liberalen Weimarer Republik geschah, dem ersten echten demokratischen Staat in Deutschland.
Im Hintergrund ist ein Bcherregal als Hinweis auf die Leidenschaft der portrtierten Person zu sehen. Nach mndlicher berlieferung besa W. K. eine umfangreiche Bibliothek queerer Belletristik. Einige der Bnde besitzt das Schwule Museum Berlin, in dessen Bestnden sich auch ein weiteres transvestitisches Portrt einer unbekannten Person befindet, das von Herbert Rolf Schlegel signiert ist.
Lotte Laserstein, Rckenakt (Madeleine)
Das in lfarbe ausgefhrte Gemlde mit dem Titel «Rckenakt (Madeleine)» zhlt zu den Vorstudien, die Lotte Laserstein fr das heute verschollene, lediglich fotografisch berlieferte Gemlde «Malerin und Modell» von 1956 anfertigte. Als eine der ersten Absolventinnen der Hochschule fr Bildende Knste in Berlin schloss sie ihr Studium der Malerei 1927 mit Auszeichnung ab. Frauen hatten in Deutschland erst ab 1919 die Erlaubnis erhalten, an einer Akademie zu studieren. Doppelportrts von Knstlerin und Modell hier noch in Vorbereitung, im fertigen Gemlde jedoch ausgefhrt sind ebenso charakteristisch fr Laserstein wie das vermeintlich ihren mnnlichen Kollegen vorbehaltene Sujet weiblicher Aktdarstellungen.
Ihr erklrtes Lieblingsmodell war ihre langjhrige Freundin Traute Rose, die sie 1925 kennengelernt hatte, und allgemein wird angenommen, dass beide eine lesbische Beziehung fhrten. Zwar gibt es (wie so oft in homophoben Zeitepochen) keine konkreten Dokumente, die Lasersteins sexuelle Orientierung wrtlich benennen. Lsst man jedoch die Kunstwerke fr sich selbst sprechen, so vermitteln sie eindeutig tief empfundene Zuneigung und gleichgeschlechtliches Begehren.
Der «Rckenakt» von Madeleine entstand dann in Schweden. Als Jdin im nationalsozialistischen Deutschland verfolgt, verlie Laserstein im Winter 1937 ihre Heimat und emigrierte nach Stockholm. Dort lernte sie im ersten Kriegsjahr die konomin Margarete Jaraczewski, genannt Madeleine, kennen, die der Malerin Modell stand: Mit nacktem Oberkrper auf einem Sofa sitzend, sttzt sie sich mit dem rechten Arm ab, whrend sie einen Brief liest. Das rote Haar ist hochgesteckt und lsst freien Blick auf den weiblichen Rcken. Mit delikatem Pinselstrich und gedeckten Farben setzt Laserstein ihr Modell besonders sinnlich in Szene.
Jrgen Wittdorf, Gruppe mit Fahrrdern
Mit seinem Holzschnittzyklus «Fr die Jugend» schuf der Knstler Jrgen Wittdorf 1960-1962 eine homoerotische Arbeit, die als einzigartig in der Kunst der DDR dasteht. In ihr manifestiert sich die private Leidenschaft des Grafikers. In der qulenden Phase des persnlichen Eingestndnisses der eigenen Homosexualitt und noch vor seinem eigentlichen Coming out geschaffen, beruht die Intensitt der Bilder und der Vorzeichnungen auf der erotischen Leidenschaft Wittdorfs fr den mnnlichen Krper, die ihr einziges Ventil in der Kunst fand.
Eines der Zyklusbltter, die Gruppe mit Fahrrdern von 1961, zeigt fnf junge Mnner, die lssig im Kreis stehen und an oder auf ihren Rdern lehnen. Die mnnlichen Posen und Kleidungsstile werden in ihrer Unterschiedlichkeit feinsinnig durchdekliniert. Es gibt zwar Blicke, die einen der anderen Radfahrer treffen, aber keiner wird erwidert.
Diese scheinbar zufllige Konstellation hat Wittdorf mit Bedacht konstruiert. Obwohl die Gruppe so dicht beieinander steht, kommt es bewut zu keinerlei Berhrung. Das Bedrfnis nach Gruppenzugehrigkeit und die gleichzeitige Einsamkeit der Personen werden so unterschwellig und doch offensichtlich ins Bild gesetzt.
In seinen Vorzeichnungen hatte Jrgen Wittdorf die Modelle auch vllig unbekleidet an und auf ihren Fahrrdern stehen. Dieses Wissen unterstreicht die homoerotische Komponente seiner Arbeit. Die Studie zeigt drei junge Mnner, alle mit ihren Rennrdern wiedergegeben und in verschiedenen Stellungen und Ansichten. Es ist ein ungewhnlicher Anblick, denn weder im Alltag noch im Urlaub an der Ostseekste trifft man gemeinhin komplett nackte Menschen auf ihren Rdern an.
Alle Krperpartien einschlielich des Geschlechts mit der Schambehaarung sind detailliert ausgearbeitet. Nichts wird im Unklaren gelassen, alles gewissenhaft beobachtet. So offenbart die Zeichnung in ihrer Verdichtung einiges zu den damals, vor seinem Coming out, noch verborgen gehaltenen Gefhlsregungen Wittdorfs. Natrlich durfte und konnte dieses Begehren nicht in die ffentlichen Werke eines Knstlers Eingang finden, denn auch in der DDR gab es strafrechtliche Verfolgung gleichgeschlechtlicher Sexualitt. So verzichtete er bei der spteren Umsetzung der beiden linken Figuren mitsamt ihren Posen und Gesten in den Holzschnitt folgerichtig auf die attraktive Nacktheit der Mnner und kleidete sie an.
Gleichwohl ist die Zeichnung ein anschauliches Beispiel fr das zwar unterdrckte, doch zugleich sublimierte Verlangen des Knstlers. Im Winter 1962/63 wurde der Holzschnitt schlielich mit weiteren Blttern aus dem Zyklus «An die Jugend» auf der Deutschen Kunstausstellung im Albertinum Dresden vorgestellt. Die Freie Deutsche Jugend (FDJ) verlieh Wittdorf dafr im Januar 1963 ihren Kunstpreis, und der Zyklus erschien im selben Jahr als Grafikmappe in einer Auflage von 10.000 Exemplaren mit einem offiziellen Vorwort der FDJ.
Links zum Thema:
Digitaler Flyer zur Ausstellung «Wish you were queer. Un-Sichtbarkeit von LSBTI* in Kunst und Geschichte» im Museum im Prediger
Mehr zum Thema:
Un-Sichtbarkeit von LSBTI* in der Kunst Teil 1: Mittelalter und Renaissance (19.06.2025)
Un-Sichtbarkeit von LSBTI* in der Kunst Teil 2: Barock bis Romantik (12.07.2025)
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