Vierzig Jahre «Golden Girls»: Eine Wahlfamilie jenseits heteronormativer Rollenbilder
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Vierzig Jahre «Golden Girls»: Eine Wahlfamilie jenseits heteronormativer Rollenbilder

Das mitternchtliche Zusammenkommen am Kchentisch ist das heilige Sakrament der «Golden Girls». Wie ein roter Faden zieht sich das Motiv durch die TV-Serie: eine Sitcom, die von vier lteren Damen in einer Wohngemeinschaft erzhlt. Die Schauspielerinnen Beatrice Arthur als Dorothy, Estelle Getty als Sophia, Rue McClanahan als Blanche und Betty White als Rose verkrpern dabei vier unverwechselbare Persnlichkeitstypen, die sich zu einer Wahlfamilie zusammenschlieen: eine Kombination, die fr die Entstehungszeit der Serie revolutionr ist und der queeren Community als Idealbild fr ein selbstbestimmtes, freies Leben jenseits heteronormativer Rollenbilder dient vor allem schwulen Mnnern. Den Ausschlag dafr liefert der scharfzngige, selbstironische und zugleich liebenswerte Humor, der sich zudem durch bertreibung auszeichnet.

Ein Hhepunkt jeder Folge sind die abendlichen Kchenszenen, in denen die vier Protagonistinnen die Eindrcke des Alltags noch einmal Revue passieren lassen: Erfahrungen, Hoffnungen und Sorgen, die meist mit Sex, aber auch mit familiren, gesundheitlichen oder beruflichen Angelegenheiten zu tun haben. Es geht um gegenseitige Untersttzung, um das Spenden von Trost, um die Selbstvergewisserung als Individuen in einer Gemeinschaft und sehr hufig kommt dabei ein im Khlschrank gehorteter Ksekuchen auf den Tisch.

Queere Dekonstruktion des christlichen Abendmahls

Es fllt nicht schwer, das Cheesecake-Ritual als queere Dekonstruktion des christlichen Abendmahls zu lesen anstelle einer Hostie ist es der Ksekuchen, der geteilt wird. Dorothy erscheint dabei als Hohepriesterin, meist gehllt in ein weites, mehrlagiges und mitunter wallendes Gewand, wobei sie die anderen in ihrer majesttischen Krperhaltung nicht nur physisch, sondern auch moralisch und intellektuell zu berragen scheint. Fr jede Situation hat sie eine treffende und stets sarkastische Pointe parat: mit tiefer Stimme, schiefem Blick und hochgezogener Augenbraue.

Dorothys Mutter Sophia nimmt dagegen den Part einer kleinen dmonischen Figur ein: In Folge eines Schlaganfalls uert sie sich stets unverblmt, ja fast blasphemisch zum jeweiligen Thema, wobei sie ihre wenig schmeichelhaften Ansichten nicht selten mit einem diabolischen Grinsen unterlegt. Die mit beiden Hnden fest umklammerte Handtasche dient dabei als Requisit einer vermeintlichen Harmlosigkeit. Doch auch wenn die aus Sizilien eingewanderte Sophia die Befindlichkeiten ihrer Mitbewohnerinnen uerst strapaziert, kommt sie damit immer durch.

Die aus den Sdstaaten stammende Blanche wiederum gibt sich als selbstbewusste Snderin, die ihren Krper zum Tempel der Lust stilisiert selbst beilufige Bemerkungen ber mnnliche Attribute bringen ihr Blut in Wallung. Dabei bewegt sie sich stets geschmeidig, fast katzenhaft, mit wiegenden Hften und einer Hand am Dekollet. Blanche steht schon von Beginn der Serie an fr eine feminine Sexpositivitt, lange bevor der Begriff berhaupt populr wird. Dass sie ihr Alter leugnet, mindert die Wirkung nicht und im Verlauf der Serie lernt sie, immer wrdevoller mit dieser Frage umzugehen.

Rose hingegen ist die ewige Novizin: die Hnde meist im Scho, mit staunendem Blick, weit aufgerissenen Augen und vorgebeugtem Oberkrper. Sie nimmt jedes Wort fr bare Mnze, und trotz ihrer Redseligkeit ber ihren Herkunftsort St. Olaf wird Rose fr ihre Naivitt und Gte hoch geschtzt.

Eine schwule Hauptfigur wurde wieder gestrichen

Die Figuren sind so przise ausgearbeitet, dass sich ihre Wesenszge in den meisten Dialogen schon nach wenigen Momenten offenbaren. Nur allzu deutlich wird das etwa in einer Cheesecake-Szene, in der Dorothy, Rose und Blanche ber ihre allererste sexuelle Erfahrung sprechen. Dorothy berichtet, dass mit ihrem Liebhaber Stan bereits nach drei Sekunden alles vorbei war ihre darauf folgende Schwangerschaft sei der einzige Beweis dafr gewesen, dass berhaupt etwas passierte. Rose hingegen bekennt, dass sie der Anblick des Geschlechtsteils ihres Gatten in der Hochzeitsnacht sehr berraschte kannte sie doch bis dahin nur den entsprechenden Anblick von Hengsten und Bullen auf ihrer heimatlichen Farm. Blanche wiederum wei nicht mehr genau, ob ihr erster Mann nun Billy, Bobby oder Ben war.

Diese Art von Humor ber 180 Episoden hinweg in sieben Staffeln lebendig zu halten, ist nicht nur das Verdienst der Schauspielerinnen, sondern auch von Susan Harris, die die Sitcom entwickelt und durch ihre Drehbcher bis zur letzten Staffel geprgt hat. Bereits in der Serie «Soap» hatte Harris mit der von Billy Crystal verkrperten Figur des Jodie Dallas einen der ersten schwulen Charaktere im amerikanischen Fernsehen etabliert. Auch fr die «Golden Girls» war ursprnglich eine ausdrcklich queere Hauptfigur vorgesehen: In der am 14. September 1985 im US-Sender NBC ausgestrahlten Pilotfolge gehrte Coco, der schwule Koch und Butler, als fnfter Mitbewohner zum Ensemble. Die Figur wurde jedoch unmittelbar danach aus dem Drehbuch gestrichen einerseits, weil ein Hausangestellter nicht zum Grundton der progressiven, selbstbestimmten Wohngemeinschaft passt, andererseits, um Sophia strker in den Vordergrund zu rcken.

Dorothy als Hauptidentifikationsfigur fr Schwule

Zudem zeigte sich schnell, dass jene spitzen Bemerkungen, die ursprnglich fr Coco vorgesehen waren, bei Dorothy ohnehin eine viel strkere Wirkung entfalteten. Der schwule Drehbuchautor Marc Cherry, der erst spter zum Team stie, erklrte einmal bei einer Podiumsdiskussion: «Jeder gute Witz, den man Beatrice Arthur in den Mund legte, wirkte irgendwie schwul.» Und so verwundert es kaum, dass Dorothy mit ihrem trockenen Humor zu einer Hauptidentifikationsfigur fr schwule Mnner mutierte eine Rolle, die Beatrice Arthur sehr genoss, wobei sie sich eigenen Bekundungen zufolge sehr an den jdischen Humor ihrer Heimatstadt New York erinnert fhlte. Ihre Figur kontrastiert effektvoll mit der temperamentvollen Blanche, deren hingebungsvolle Begeisterung fr Mnner ein ergnzendes Angebot zur schwulen Identifikation erffnet. Letztlich wurden jedoch alle vier Protagonistinnen zu queeren Archetypen einer Wahlfamilie jenseits heteronormativer Rollenbilder.

Der Erfolg der «Golden Girls» in der queeren Community beruht jedoch nicht nur auf der einzigartigen Figurenkonstellation, sondern auch auf Themen, die zum Zeitpunkt der damaligen Ausstrahlung als Tabu galten. Dazu zhlen nicht nur Armut, Einsamkeit und Sex im Alter sondern auch lesbische Sichtbarkeit, schwules Coming-out und die gleichgeschlechtliche Ehe. Dabei wird die Handlung von Nebenfiguren wie Dorothys lesbischer Freundin Jean oder Blanches schwulem Bruder Clayton angetrieben.

Es wre nun ein Leichtes, so manche Dialoge mit den Mastben heutiger Sensibilitten zu zerpflcken spiegelte der Humor doch aller Progressivitt zum Trotz gewisse Engstirnigkeiten, und Vorbehalte der 1980er Jahre in Bezug auf Krper und Identitt wider. Doch damit wrde man die Serie aus ihrem gesellschaftlichen und historischen Kontext reien.

Ein zeitloser queerer Klassiker

Letztlich mndete bei den «Golden Girls» alles, was von einem Teil der heutigen Generation leichtfertig als «Boomer-Humor» ausgelegt wird, in Akzeptanz, Vergebung und Nchstenliebe. Insofern sind Vergleiche der Ksekuchenrituale mit christlichen Praktiken beileibe nicht nur augenzwinkernd gemeint wobei die Serie zu ihrer Zeit den kirchlichen Gemeinschaften in mancher Hinsicht weit voraus war. Die Soziologin Isabella Caldart etwa betont in ihrem Essay «Stigmata» die Bedeutung einer Episode aus dem Jahr 1990, in der die Serie ein unberhrbares Zeichen gegen die Stigmatisierung von HIV-Betroffenen setzt und das Jahre, bevor Hollywood mit «Philadelphia» nachzieht.

Lngst gelten die «Golden Girls» in der queeren Community als ein zeitloser Klassiker, der auch nachfolgende Generationen begeistert. Dass ihre Resonanz bis heute anhlt, zeigt sich nicht zuletzt in den ppig ausgestatteten «Golden Gmilfs»-Playback-Shows im Berliner BKA-Theater. Hier treten Dragqueens wie Jurassica Parka als Dorothy oder Margot Schlnzke als Rose in schauspielerisch berzeugender berzeichnung wieder auf die Bhne als Ritual, das Nostalgie, ironische Brechung und zeitgenssische Aneignung zugleich ist. So werden die «Golden Girls» nicht nur gefeiert, sondern immer wieder neu verhandelt als Teil einer queeren Erinnerungskultur, die weit ber die 1980er Jahre fortwirkt.

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