Vom Sober-Aktivismus zum Debtroman: Ekaterina Feuereisen
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Vom Sober-Aktivismus zum Debtroman: Ekaterina Feuereisen

Sich selbst in eine psychiatrische Klinik einzuweisen, ist ein Schritt, der groen Mut bedarf weil er stigmatisiert, tabuisiert und im engen sozialen Umfeld vielleicht sogar auch emotional berbewertet wird. Genau darber spricht Ekaterina Feuereisen auf ihrem Instagram-Kanal, und zwar in einem Ton, der ob seiner Leichtigkeit untersttzt, statt zu beschweren. In ihrem Debtroman «Inventur der Erinnerungen» schlgt sie jetzt die ernsten Tne psychischer Gesundheit an.

Als Mental-Health- und Sober-Aktivistin teilt Autorin Ekaterina Feuereisen zusammen mit Comedian Jacky Feldmann Rezepte fr alkoholfreie Drinks, schreibt offen ber Alkoholmissbrauch, Depressionen und Borderline und ermutigt ihre Follower*innen, Hilfe in Anspruch zu nehmen. In ihrer Bio zhlt sie die Tage, wie lange sie bereits keinen Alkohol mehr konsumiert, was motiviert! Auch benennt sie beeindruckend przise, wie Alkoholkonsum nicht selten dazu benutzt wird, psychische und physische Anspannung zu regulieren.

Nchternheit als selbstbestimmter Akt der Frsorge

Spannenderweise ist der sogenannte Sober-Aktivismus selbst aus den Sozialen Medien heraus entstanden: Ursprnglich aus den USA und Grobritannien stammend, wurde er von Autor*innen, Therapeut*innen und Menschen, die ffentlich ber ihre Erfahrungen mit Nchternheit schrieben, zum Gegenentwurf einer gesellschaftlichen Normalisierung von Alkoholkonsum und einer ganzen Online-Bewegung. Dass die queere Community mageblich zum Erfolg der Bewegung beigetragen hat, ist lngst kein Geheimnis mehr. Und auch in Deutschland boomen Sober-Partys dank queerer Szene-Clubs wie dem SchwuZ in Berlin.

Ekaterina Feuereisen bertrgt diese Haltung in den deutschsprachigen Raum der sozialen Medien, wo sie Nchternheit als selbstbestimmten Akt der Frsorge vermittelt. Indem sie alternative Wege wie Sport und Malerei aufzeigt, schafft sie es, die tabuisierten Themen im ffentlichen Diskurs in neuen Tnen erklingen zu lassen solchen, die es bedarf, um die emotionalen Barrieren, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, niedriger zu gestalten.

Debtroman ber Depressionen und eine drogenabhngige Mutter

Vor dem Hintergrund scheint ihr nun im Haymon Verlag erschienener Roman «Inventur der Erinnerungen» (Amazon-Affiliate-Link ) schon fast wie ein gegenstzlicher Kontrast. Ganz unromantisiert erzhlt sie nmlich von einer jungen Frau, die mit Depressionen lebt und zugleich unter dem emotionalen Druck einer drogenabhngigen Mutter steht. Inmitten von Sehnsucht nach Nhe und dem Bedrfnis nach Abgrenzung kmpft sie um ein eigenes Gleichgewicht. Ausgetragen wird dieser innere Konflikt auf der Projektionsflche der Beziehung zu ihrer Partnerin Elif.

Schon auf den ersten Seiten verwischen Vergangenheit und Gegenwart. Whrend die Handlung berwiegend zwischen den Jahren 2017 und 2019 pendelt, verdichtet sich die «Inventur der Erinnerung» ber Flashbacks in die eigene Kindheit zu sich berlagernden Spuren. Dieses Verweben von Innenwelt und Auenrealitt ist ein Sujet, das Feuereisen bereits vor ihrem literarischen Debt praktiziert hat und das sie hier auf besonders eindrckliche Weise ausgestaltet.

Zerrissen von Abhngigkeit und Manipulation, zieht die Mutter sie immer wieder in alte Dynamiken, in denen die Protagonistin die Verantwortung fr sie bernehmen soll. Selbst die jngere Schwester baut mit ihrem Bedrfnis nach Harmonie zustzlichen Druck auf. Diesen inneren Kampf zwischen Geborgenheit und Abgrenzung bertrgt die Protagonistin zunehmend auf ihre lesbische Liebesbeziehung: Aus tiefer Zuneigung und Sehnsucht entstehen unter dem Einfluss psychischer Belastung immer grer werdende Wut, Missverstndnisse und unausgesprochene Bedrfnisse. Hier wird Nhe zum Risiko und Kommunikation zur Zerreiprobe.

Der Unterschied zwischen Zuflucht und Flucht

Halt sucht die Protagonistin schlielich in der Berliner Nacht, in der Stammkneipe, wo eine gute Freundin arbeitet. Doch der vermeintlich sichere Ort trgt gleichzeitig einen bitteren Beigeschmack: Der sichere Hafen der Gemeinschaft ist auch ein Schlupfloch, um sich in Alkohol zu flchten. Die Berliner Schaupltze wie Friedrichshain, die Warschauer Strae und die «Dachkammer» unweit des Boxhagener Platzes beschreibt Ekaterina Feuereisen dabei so lebendig, dass auch hier die Unterscheidung von Realitt und Fiktion verschwimmt.

«Inventur der Erinnerungen» ist Ekaterina Feuereisens poetisch-dsteres Debt ber psychische Krankheit, familire Prgung und den Weg zur Selbstfrsorge. Wer ihr auf Social Media folgt, erkennt nicht nur zwischen den Zeilen ihre Haltung wieder: die berzeugung, dass Alkoholmissbrauch ein destruktiver Regulationsprozess ist, der durch neue Muster ersetzt werden kann aber dass es hierfr wohlwollende Impulse braucht.

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