Was der Regenbogenkiez bei einem Mord zur Sache tut
Ein brutaler Mord findet mitten in Berlin-Schneberg statt. Eine Boulevardzeitung schreibt, dass der Tatort mitten im Regenbogenkiez liege. Obwohl der Mord an der lteren Frau im Jahr 2023 mutmalich nichts mit den vielen dortigen Schwulenbars oder mit Queerfeindlichkeit zu tun hat, whlt die Zeitung diese gngige Bezeichnung fr das Viertel rund um den Nollendorfplatz.
Warum also erwhnen, dass der Fall im Regenbogenkiez passierte? Ein Leser fand das diskriminierend und beschwerte sich beim Deutschen Presserat. Dieses Gremium zur Selbstkontrolle von Print- und Online-Medien prfte die Beschwerde, ob sich bei der Berichterstattung an die ethischen Regeln des Pressekodex gehalten wurde. Nach Ziffer 12 darf niemand wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehrigkeit zu einer ethnischen, religisen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden. Das Lokaljournalismus-Forum «drehscheibe» berichtete Ende letzten Jahres erstmals ber den Fall.
Mehrere Zeitungen nannten den Regenbogenkiez
Um welche Zeitung es genau geht, wollte der Presserat wie immer in solchen Fllen nicht mitteilen. Es gibt aber sowohl in der «B.Z.» als auch im «Berliner Kurier» Artikel zu dem Mord, in denen jeweils im letzten Absatz der Regenbogenkiez genannt wird. «Der Tatort liegt mitten im Regenbogenkiez im Ortsteil Schneberg, einem Zentrum der Berliner LGBT-Szene. Eine Mordkommission ermittelt», schrieb etwa die «B.Z.» Auch die «Berliner Zeitung» erwhnte den Regenbogenkiez, sogar im Titel ihres Textes. Die «B.Z.» gehrt einem Tochter-Verlag von Axel Springer, der «Berliner Kurier» und die «Berliner Zeitung» gehren zum Berliner Verlag.
Nun neigen Boulevardbltter dazu, reierisch oder suggestiv ber Geflchtete, queere Menschen, arme Leute oder andere marginalisierte Gruppen zu schreiben. Deswegen ist es super, dass es die Mglichkeit von Beschwerden beim Presserat gibt. Und gerade in Zeiten von erstarkenden rechtsextremen Parteien gilt es wachsam zu sein, wie queere Menschen und Orte im ffentlichen Diskurs geframed werden zum Beispiel ein Viertel wie der Regenbogenkiez.
Die reine Erwhnung ist nicht diskriminierend
In diesem Fall wurde aber nicht suggeriert, dass der Mord etwas mit den Besucher*innen des Kiezes zu tun hat. Auerdem stand der Absatz ganz am Ende, nicht am Anfang des Textes. Was aus journalistischer Sicht (das Wichtigste und Neueste nach oben) und Aufmerksamkeitsspanne von Leser*innen einen Unterschied macht.
Eine vergleichbare Ortsbeschreibung wrde auch an jedem anderen Tatort vorgenommen, etwa durch Formulierungen wie «an der Luxusmeile Kurfrstendamm» oder «im Hamburger Rotlichtviertel St. Pauli», argumentierte zudem die Zeitung. Es handele sich um eine wertfreie, informatorische Ortsangabe.
Es ist tatschlich nicht unbedingt diskriminierend, den Tatort so zu kontextualisieren. Die Redaktion htte aber auch einfach «Nollendorfkiez» schreiben knnen wie das Portal «t-online». Dann wissen auch alle in Berlin, und wahrscheinlich darber hinaus, was gemeint ist.
Der Beschwerdefhrer hingegen drfte mit der Entscheidung des Presserats nicht zufrieden sein: Die acht Mitglieder waren sich «uneins», inwieweit die Nennung daneben war. Drei von ihnen fanden, dass die Passage «nichts zum Verstndnis des Sachverhalts beitrgt und geeignet ist, die LGBT-Community zu diskriminieren». Drei weitere sahen in der Nennung «lediglich eine sachliche Beschreibung der Tatort-Umgebung». Zwei weitere Mitglieder enthielten sich. Damit wurde die Beschwerde als unbegrndet abgewiesen.
Gewalt im Regenbogenkiez muss Thema sein
Abgesehen davon reiht sich der geprfte Artikel trotzdem ein in die Texte, die ber den Regenbogenkiez im Zusammenhang mit Kriminalitt berichten. Leider ist diese Ecke der Hauptstadt wirklich nicht nur fr seine vielen Treffpunkte der berwiegend schwulen Szene, sondern auch fr Gewalt bekannt. Der Straenstrich mit Fllen von Zwangsprostitution ist um die Ecke, es kommt zu Diebsthlen und Raubberfllen. Der Kiez zhlte jahrelang zu den «kriminalittsbelasteten Orten» wie der Alexanderplatz oder das Kottbusser Tor.
Vor allem aber haben queerfeindliche Angriffe wie Beleidigungen und Krperverletzungen im Jahr 2023 laut einem Bericht der Organisation «Camino» besonders in Schneberg und Mitte zugenommen.
Darber braucht es genauso viel mediale Berichterstattung wie ber die anderen Formen von Gewalt im Kiez. Damit sich die Berliner Politik womglich doch noch gezwungen sieht, Frdergelder fr Prventivprojekte wieder bereitzustellen, anstatt sie zu streichen.
Links zum Thema:
Die Entscheidung des Deutschen Presserats als PDF
