Was heit «woke»? Eine Debatte ber Kse und Gesellschaft
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Was heit «woke»? Eine Debatte ber Kse und Gesellschaft

«Die Debatte ist in ihrer Absurditt kaum zu berbieten.» Das teilt ein Unternehmen mit, das in den vergangenen Tagen mit massivem Gegenwind und Bedrohungen umgehen musste nicht etwa wegen fehlerhafter Produkte, sondern allein wegen des Designs einer limitierten Verpackung, die in einigen Wochen schon wieder geplant aus dem Handel verschwunden sein wird.

Fr ihre Ksemarke Milram hatte die DMK Group mit Sitz in Bremen eine Sonderedition gestalten lassen und statt einer blichen Kuh-und-Weide-Optik Comics dreier Kunstschaffender gewhlt, die Menschen verschiedener Hautfarben darstellen. Ganz so, wie es in weiten Teilen Deutschlands aussieht.

Von Rechtsauen ging es schnell zur Sache. Der Vorwurf: Die Bildchen seien «woke», sie zeigten nicht die Gesellschaft hierzulande. Jedenfalls nicht die, die sie sich wnschten. «Es war das, was man klassischerweise als Shitstorm bezeichnet», analysiert Josef Holnburger, Geschftsfhrer des Centers fr Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas), das Radikalisierungstendenzen und Verschwrungserzhlungen im Netz untersucht.

Woher «woke» eigentlich stammt

Und dabei spielt auch wieder ein Wrtchen eine Rolle, mit dem man offenbar groe Aufregung generieren kann: «woke». Das sei inzwischen «schon zu einer Art Kampfbegriff geworden», so Holnburger.

Bis in die erste Hlfte des 20. Jahrhunderts lsst sich der Begriff (auch als Substantiv «Wokeness») zurckverfolgen damals noch mit einer klar positiven Bedeutung. In der Kultur der schwarzen US-Amerikaner und spter in der Brgerrechtsbewegung der 1960er Jahre hie woke sein: wachsam sein gegenber Rassismus. Im Kontext der «Black Lives Matter»-Bewegung ab den 2010er Jahren wurde der Begriff einmal mehr relevant.

Gleichzeitig wurde «woke» Anfang der 2020er Jahre von den Rechten in den USA und spter auch in anderen Lndern sehr stark verallgemeinert. «Woke wurde quasi zu einem allgemeinen Code fr alles, von dem diese Rechten meinen, das falsch luft in der Gesellschaft», sagt der Politikwissenschaftler Floris Biskamp. Er leitet an der Universitt in Tbingen ein Projekt ber die Grenzen des Sagbaren in politischen Diskursen.

Was «woke» heute heit

«Fast alle, die den Begriff verwenden, sind sich darber einig, dass er etwas Schlechtes beschreibt», so Biskamp. Wokeness werde einerseits als Chiffre fr bertreibungen bei Antirassismus, Sprachberlegungen und Identittspolitik genutzt, andererseits aber auch bei relativ harmlosen Dingen wie etwa aktuell der Kseverpackung. «Das Label «woke» findet Anwendung bei gemigter linker oder linksliberaler Politik im Mainstream genauso wie bei irgendwelchen randstndigen Verrcktheiten.»

Der Vorwurf von zu viel Diversitt ist nicht neu. Schon fter wollten Unternehmen mit bunter Werbung und Menschen verschiedener Hautfarben oder verschiedener sexueller und geschlechtlicher Identitten ein Signal dafr setzen, ihre Marke modern und jung erscheinen zu lassen.

Als etwa die Deutsche Bahn 2019 in einer Werbekampagne prominente Reisende mit Migrationshintergrund abbildete, sorgte der Tbinger Oberbrgermeister und damalige Grne Boris Palmer mit der Frage «Welche Gesellschaft soll das abbilden?» fr Kopfschtteln. Hintergrund war, dass die Bahn den dunkelhutigenFernsehkochNelsonMller und die trkischstmmige Moderatorin Nazan Eckes als Werbefiguren verwendet hatte.

Ein hnlicher Aufreger sollte vergangenes Jahr mit dem Trikot der deutschen Nationalmannschaft in Pink-Lila hergestellt werden (queer.de berichtete). Einigen missfiel die Farbwahl fr den mnnlich geprgten Sport. Das Design verwische die Geschlechtergrenzen und sei «woke». Doch das verfing offenbar nicht: Fr Ausrster Adidas wurde der Dress zum Verkaufsschlager.

Was hinter dem Wokeness-Vorwurf steckt

In der Regel entspinnt sich solch eine Debatte von ganz Rechtsauen. Eines der strategischen Ziele dabei: Aufregung generieren, um vermeintlich relevant zu bleiben. Protagonisten, die frh den Milram-Packungen zum Beispiel «anti-weie Propaganda» vorwarfen, leben davon, viel Aufmerksamkeit zu erhalten. «Das ist ihr politisches und konomisches Lebenselixier», sagt Politikwissenschaftler Biskamp.

Schei AfD und ihre Doppelmoral #Milram pic.twitter.com/nJm8hNSdvc

Der Milram-Hersteller verortet den Shitstorm «fast ausschlielich auf der Plattform X»: Dieser werde «durch Fake-Accounts und Bots verstrkt und klar aus dem rechten Spektrum gespeist inklusive AfD-Untersttzung».

Politikwissenschaftler Holnburger spricht von einer rechten Szene auf X, «die das Thema ganz stark bespielt hat». Ihm zufolge wollen die extrem Rechten alles, «was irgendwie nicht dem entspricht, was sie als Normalbild definieren», unsichtbar machen. «Es geht darum, neben Heterosexualitt und Weisein alle anderen gesellschaftlichen Erscheinungsformen zurckzudrngen», also etwa queere oder nicht weie Menschen.

Wie mit solchen Vorwrfen umgegangen werden sollte

Wenn ein Shitstorm dieser Art aufbraust, «kann und muss ein Unternehmen das aushalten, weil hier eine besonders aktive und laute Gruppe im Netz Stimmung gegen Minderheiten macht», so Holnburger. Die Firmen sollten weiterhin das tun, was den Tatsachen entspreche: die Gesellschaft in ihrer Vielfalt abbilden.

So liest sich auch das Statement des Milram-Herstellers: «Was in bestimmten Kreisen als ‚woke‘ diffamiert wird, ist schlicht ein Spiegel unserer Gesellschaft.»

Das Entscheidende, ob solche Debatten Fu fassen, sehen die Wissenschaftler Biskamp und Holnburger im Verhalten der demokratischen Parteien. Machen sich etwa Konservative und Liberale die Emprung von Rechtsauen ber eine angebliche Wokeness zu eigen und wenn ja, wie? Oder sagen sie einfach: «Nein, zu diesem Kse habe ich jetzt mal keine Meinung.»

Am Ende bleibt ohnehin die Frage: Wie viele Leute regen sich tatschlich auf, wenn sie nur zufllig dieser Packung im Supermarkt begegnen? Milram jedenfalls sieht auch zwei Wochen nach Einfhrung der Sonderauflage eine stabile Nachfrage: «Erste Rckmeldungen aus dem Handel besttigen: Die Edition luft unbeeindruckt vom digitalen Lrm.»