Was ist dran an den TERF-Vorwrfen gegen Gertraud Klemm?
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Was ist dran an den TERF-Vorwrfen gegen Gertraud Klemm?

Fr den September kndigt der sterreichische Leykam Verlag «die Sensation des Bcherherbstes» an: «Das Pen!smuseum». Darin sind Geschichten versammelt, «in denen Frauen aus ihrer Sozialisierung ausbrechen ein Befreiungsschlag, eine Offenbarung». Gut, das tun Frauen schon etwas lnger. Mit gutem Grund, wie wir wissen.

Nun ist jedoch unversehens aus der versprochenen Herbst-Sensation eine Sommer-Sensation geworden, freilich unbeabsichtigt und mit einer gewissen Peinlichkeit behaftet, nmlich sozusagen aus nacheilendem Gehorsam. Denn eine der eingeladenen Autor*innen wurde krzlich wieder ausgeladen und darf nun nicht ihre Sozialisierung als Frau offenbaren. Der Grund: TERF-Vorwrfe im Netz gegen sie. Damit betreten wir ein vermintes Feld.

Kritik an zwei Essays aus «Der Standard»

Als Beweismaterial gelten zwei Zeitungsbeitrge, verffentlicht 2022 und 2023 in der sterreichischen Tageszeitung «Der Standard». Also wohl schon lange bevor die jetzt ausgeladene Autorin vom Verlag eingeladen wurde, ihre Erfahrungen als Frau zusammen mit anderen zu teilen. Womit sich fr mich drei Fragen stellen:

Erste Frage: Wie gut kannte der Verlag beziehungsweise die Herausgeber*innen die geschasste Autorin? Denn angenommen, der Vorwurf trfe zu, so wre es ein Leichtes gewesen, den Ein- und Ausladungs-Zirkus zu vermeiden. So nach dem Motto «Na, die wollen wir doch bestimmt nicht». Zu vermuten bleibt indes eine Shitstorm-Panik.

Zweite Frage: Ihr Text fr das «Pen!smuseum» war ja wohl nicht der Grund fr den Rausschmiss, oder wie steht es mit dem Text im Rang einer Offenbarung immerhin Offenbarung?

Dritte und allerwichtigste Frage: Was ist dran an dem TERF-Vorwurf?

Eine wortstarke feministische Schriftstellerin

Die Autorin, um die es hier geht, ist keine Unbekannte. Im Gegenteil, Gertraud Klemm ist eine erfolgreiche, wortstarke feministische Schriftstellerin, bekannt weit ber die Grenzen der Alpenrepublik hinaus. Mehr als zehn Werke und ebenso viel Literaturpreise zeugen eindrucksvoll davon. Demnchst wird bei Matthes & Seitz ein neues Buch von ihr erscheinen mit dem vielversprechenden Titel «Abschied vom Phallozn».

Die Streitschrift pldiert, so ist in der Verlagsankndigung zu lesen (Besprechung auf queer.de folgt), fr eine Befreiung der Welt aus dem Wrgegriff des Patriarchats «ein kraftvolles Gedankenspiel ber matriarchale Inspiration». Da bin ich als patriarchatsgeschdigte trans Frau gerne dabei.

Gertraud Klemm ist keine TERF

Also noch mal die Frage gestellt: Ist Gertraud Klemm eine TERF? Meine kurze Antwort: Nein.

Der erste der oben genannten Zeitungskommentare entstand anlsslich des Frauentags 2022. Er enthlt eine saftige Beschwerde, geboren aus fr mich nachvollziehbarem Frust: «Wer ‚Frau‘ sagt, um ganz normale, nicht auszurottende Geschlechterungerechtigkeit zu verbalisieren, ist transfeindlich und am Binren festhaltend.» Und hier Frau durch FLINTA zu ersetzen, gehe an der Lebenswirklichkeit von cis-weiblichen Menschen vorbei, also an Mdchenmord, Sexualverbrechen oder Gender-Pay-Gap. «Eine heterosexuelle, teilzeitarbeitende Frau mit kleinen Kindern hat ganz andere Probleme als eine transsexuelle Sexarbeiterin.»

Was soll daran bitte nicht stimmen? Oder daran: «Denn whrend gestritten wird, macht das Patriarchat, was es immer macht. Frauen unterbezahlen, ihnen Haushalt und Kinder aufbrden, Gewalt ausben und Kriege anzetteln.» Das sollten wir eigentlich wissen und das hat mit Transfeindlichkeit nichts zu tun. Und auerdem gibt es neben der Beschwerde auch ein Angebot:

«Der Feminismus ist ein Staffellauf durch die Jahrhunderte; wollen wir uns auf den letzten Kilometern nicht lieber auf Gemeinsamkeiten konzentrieren, anstatt jede identittspolitische Sau durchs digitale Dorf zu treiben? Was uns eint, sind ganz lapidar menschenrechtliche Bedrfnisse.»

Und mit Blick auf die nach wie vor verweigerte reproduktive Selbstbestimmung: «Sollten wir uns nicht gemeinsam auf all das konzentrieren, anstatt immer neue begriffliche Grben aufzureien?»

Klemm verweigert nicht das Gesprch

Fr den zweiten Zeitungskommentar vom 14. August 2023 gab die Barbie-Verfilmung Anlass. Auch das ist eine Beschwerde, nur zugespitzter in der Wortwahl als die vom Jahr zuvor. Wer will, kann das nachlesen und dann emprt oder wtend sein. Ich bin es nicht, weil mir auch hier ihr Frust nachvollziehbar erscheint und weil ich wahrnehme, dass Gertraud Klemm nicht das Gesprch verweigert, wie es TERFs tun:

«Es geht um mehr als darum, wer auf welches Klo geht. Es geht um die Inklusion und Verbesserung von Lebensrealitten von Inter- und Transpersonen, die legitime Forderungen sind. Es geht aber auch um Definitionshoheiten. Warum kann ein Individuum nicht Transfrau sein, ohne dass der Rest der Frauen zum privilegierten Cis-Frauen-Kollektiv wird?»

Und damit spricht Klemm auf jeden Fall etwas Wahres an. Denn die Community hat sich zu Recht gegen Fremdzuschreibungen gewehrt, um auf das Recht auf Selbstdefinition zu pochen. Wir wollten mit gutem Grund die Deutungshoheit ber uns. Seien wir aber doch bitte so sensibel und fair, dass wir nicht selbst praktizieren, was wir fr uns als Praxis ablehnen, nmlich Fremdzuschreibung. Hren wir auf, Menschen auf Krperteile und -funktionen zu reduzieren. Das machen schon seit jeher der Sexismus und die Misogynie.

Anerkennung ist keine Einbahnstrae

Und auch dies zur Erinnerung: Anerkennung ist keine Einbahnstrae. Daran hat sich seit dem preuischem Staatsphilosophen Hegel von vor zweihundert Jahren nichts gendert. Der war nmlich so klug festzustellen, dass Anerkennung ein sozialer Prozess zugrunde liegt, in dem Individuen sich wechselseitig als freie, autonome Wesen anerkennen und zugleich gemeinschaftsbildend ihr eigenes Selbstbewusstsein entwickeln. Kurz gesagt: Ich lebe mein Transsein nicht fr mich allein, sondern nicht zuletzt durch die anderen, und vor allem lebe ich es nicht gegen andere, sofern sie nicht der extremen Rechten angehren.

Ich spreche hier natrlich fr mich. Das ist vielleicht nicht unntig zu bemerken. Allerdings wei ich auch, dass ich nicht alleine stehe. Zu erinnern wre hier auch: Nicht die Binaritt ist das Problem, sondern ein Patriarchat, das Menschen wie mich nicht kennen will, und dazu eine Politik, die unsere Existenz radikal in Frage stellt. In meinem im Querverlag erschienenen Essay «Auerhalb oder innerhalb der Binaritt? Sind wir unsere Genitalien?» hatte ich Gelegenheit, dazu ein paar Gedanken zu entwickeln.

«Wenn sich Feminist*innen streiten, freuen sich alle anderen»

Mit der Binaritt hat brigens auch die US-amerikanische Historikerin und trans Aktivistin Susan Stryker kein Problem: Sie habe kein Problem «mit Leuten, die sich eindeutig als Mann oder Frau wahrnehmen. Ich habe ein Problem mit dem Zwang, entweder das eine oder das andere sein zu mssen und damit, dass man leidet, weil man von einem ins andere wechselt, und mit der Behauptung, dies seien die zwei einzig gltigen Formen des Menschseins.» Und selbst wenn wir Geschlecht frei leben knnen, gbe es immer noch Frauen und Mnner, und Stryker wrde sich immer noch als Frau definieren, «weil das zu mir passt und mich gut beschreibt, auch wenn ich anders lebe als andere in der gleichen Kategorie».

In einem Kommentar der Wochenzeitung «Die Zeit» zur Causa Klemm steht der schne und treffende Satz: «Wenn sich Feminist*innen streiten, freuen sich alle anderen.»