«Wenn wir auf die Perspektiven der Marginalisierten verzichten, geht uns als Gesellschaft viel verloren»
Herr Brosda, Sie haben Kulturstaatsminister Weimers Anweisung zur gendergerechten Sprache heftig widersprochen. Warum?
Aufgabe der Kultur- und Medienpolitik ist es, die Freiheit von Kunst und Medien zu schtzen und die Rume dafr freizuhalten, dass sie sich entfalten und entwickeln knnen. Kultureinrichtungen sprechen nicht in staatlichem Auftrag, auch dann nicht, wenn sie staatlich gefrdert werden. Sie sind frei und mssen frei bleiben, und das bezieht sich aus meiner Sicht nicht nur auf die Inhalte, die sie zeigen, sondern auch darauf, wie sie ihr Publikum ansprechen mchten. Weimers Empfehlung fr Kultureinrichtungen droht diese Freiheit einzuschrnken.
Aber auch in Hamburg gab und gibt es ja auch Versuche durch politische Initiativen, gegen gendergerechte Sprache vorzugehen. Wie betrachten Sie diese Vorhaben in Ihrer eigenen Stadt?
Ich bin immer wieder fasziniert davon, wie sehr sich einige darber aufregen knnen, dass andere versuchen, eine Sprache zu verwenden, die mglichst alle einbezieht. Ich wrde mir wnschen, dass wir da alle etwas gelassener und offener werden. In der Hamburger Verwaltung jedenfalls gab und gibt es keine bindenden Vorschriften zur Verwendung von Genderstern oder anderen Sonderzeichen. Dass Initiativen darauf mit Verboten reagieren wollen, sagt viel darber aus, wie diese Debatte momentan gefhrt wird. Ich finde, alle sollen so sprechen und schreiben, wie sie es fr richtig halten. Es ist nicht die Aufgabe staatlicher Institutionen, vorzugeben, wie sich Sprache zu entwickeln hat oder wo der Fortschritt enden soll. Sprache verndert sich stndig. Sie entwickelt sich dadurch, dass wir sie sprechen. Und diesem Prozess sollten wir einfach mal vertrauen und sehen, wohin er uns in Sachen gendersensibler Sprache fhrt.
Nun wrden einige jedoch sagen, es gibt ja wichtigere Themen als ein Gendersternchen. Aber warum ist gerade dieses Thema so wichtig?
Das Thema ist wichtig, aber auch hochgradig emotional aufgeladen. Diese beiden Aspekte sollten man aber trennen. Wichtig ist die Beschftigung mit gendersensibler Sprache deshalb, weil sich in ihr eine sich ndernde Sichtweise auf uns als Gesellschaft zeigt: Mit der Abkehr vom generischen Maskulinum verschaffen wir allen nicht-mnnlichen Personen Sichtbarkeit. Mnner dominierten lange alle Bereiche des ffentlichen Lebens. Das ndert sich glcklicherweise, und mit der Verwendung des Gendersterns oder anderen Formen gendersensiblen Sprachgebrauchs machen wir das auch in der Sprache deutlich.
Die Aufregung, mit der die Debatten ber das Gendern gefhrt werden, kann ich nicht nachvollziehen. Aus meiner Sicht spricht nichts gegen einen entspannten Umgang mit der Sprache. Wie gesagt: Ich finde, dass alle so sprechen und schreiben sollten, wie sie mchten. Und als offene, vielfltige Gesellschaft sollten wir es auch aushalten knnen, dass nicht alle anderen so sprechen, wie wir es selbst fr richtig halten, ohne uns gleich in Verbotsdebatten zu verirren.
Aber sehen Sie denn einen Kulturkampf von rechts in der heutigen Gesellschaft? Auch einige in Ihrer Partei formulierten dies ja so in den letzten Monaten
In den vergangenen Jahren ist deutlich geworden, dass rechte und rechtspopulistische Krfte das Feld der Kultur zunehmend fr sich beanspruchen und dort die Deutungshoheit gewinnen wollen. Sie haben erkannt, welch groe Bedeutung die Diskussion kultureller Fragen haben kann, weil damit Themen verhandelt werden, in denen es oft im Kern darum geht, wie wir als Gesellschaft zusammenleben und auf welche gemeinsamen Werte wir uns dabei verstndigen wollen. Mit verschiedenen Strategien versuchen rechte Akteur*innen, Debatten zu beeinflussen, aber auch die Kulturpolitik fr ihre Zwecke zu nutzen und beispielsweise Frdermittel an die Bedingung zu knpfen, dass kulturelle Angebote das Heimatgefhl strken oder die regionale Identitt frdern. In den USA sehen wir aktuell, wie weit das gehen kann, zum Beispiel an der Einflussnahme Donald Trumps auf die Museen und seinem Versuch, die Geschichte der USA auf eine ganz bestimmte Weise erzhlen zu lassen. Fr unsere Demokratie kann das zu einer ernsthaften Gefahr werden, der wir gemeinsam entgegentreten mssen. Und zwar indem wir zeigen, um wie viel attraktiver eine Gesellschaft ist, deren Kultur offen und vielfltig, freiheitlich und demokratisch, solidarisch und inklusiv ist.
Wie wichtig ist denn gerade die queere Community fr Hamburg? Die Kulturszene der Stadt, aber auch das Alltagsleben wurde ja nun seit gut hundert Jahren auch von Queers mitgeprgt. Mit Corny Littmann gab es sogar den ersten offen schwulen Prsidenten eines groen und legendren Fuballvereins, dem FC St. Pauli
Hamburg hat eine vielfltige und lebendige queere Community, die nicht nur die Kultur mitprgt, sondern auch das Leben der ganzen Stadtgesellschaft. Corny Littmann und andere Queers, die in der ffentlichkeit stehen, tragen viel zu Reprsentation und Sichtbarkeit bei. Das halte ich nach wie vor fr wichtig. Dass das wirkt, sieht man zum Beispiel an dem Modell der Hamburger Ehe, mit der sich die Hansestadt schon frh fr die rechtliche Gleichstellung queerer Paare eingesetzt hat. Aber auch darber hinaus brauchen wir alle Perspektiven, sowohl in der Kultur als auch in der Gesellschaft. Das umfasst alle marginalisierten Gruppen. Wenn wir auf ihre Perspektiven verzichten, geht uns als Gesellschaft viel verloren. Daran mssen wir zusammen weiterarbeiten, damit Hamburg auch in Zukunft eine vielfltige und offene Stadt bleibt.
Aber je attraktiver eine Stadt wird, desto teurer wird sie ja auch In Berlin etwa haben queere, aber auch nicht-queere Clubs und Treffpunkte seit der Pandemie wirtschaftlich zu kmpfen. Einige mussten schon schlieen, weitere folgen. Wie kann in Hamburg verhindert werden, dass queere Orte, aber auch die Hamburger*innen, ob queer oder nicht, aus der Innenstadt verdrngt werden?
Auch in Hamburg spren die Clubs die Folgen der Corona-Pandemie noch immer. Hinzu kommen allgemeine Preissteigerungen die wirtschaftliche Lage ist nicht einfacher geworden, keine Frage. In Hamburg gehrt die Clubkultur zur DNA der Kulturstadt, deshalb verstrken wird gerade die Frderung fr Livemusikclubs. Auch Standortthemen waren in den letzten Jahren wichtig. Vor dem Hintergrund einer sich verndernden Stadt mussten fr einige Clubs neue Standorte gefunden werden, was in den meisten Fllen auch gut gelungen ist.
Aber nicht nur die Clubs sind wichtige Orte, die wir unbedingt in den Zentren unserer Stdte brauchen. Fr die queeren Communitys wird im Herzen Hamburgs ein neuer Ort entstehen, der auch ein neuer Treffpunkt werden soll: der Denk-Ort fr sexuelle und geschlechtliche Vielfalt, an der Ecke Neuer Jungfernstieg / Lombardsbrcke. Die Hamburger LSBTIQ*-Communitys haben das Projekt initiiert, die Stadt setzt es jetzt in enger Abstimmung mit ihnen um. Bei einem knstlerischen Wettbewerb wurde das Kunstwerk «Pavillon der Stimmen» vom Studio Other Spaces ausgewhlt, das in den nchsten Monaten errichtet werden soll, als sichtbarer Raum fr Respekt und Anerkennung von Vielfalt. Ich hoffe, wir knnen mit dem Denk-Ort einen Beitrag dazu leisten, dass Hamburg ein Ort fr bleibt, in dem alle willkommen und sicher sind. Das halte ich gerade in dieser Zeit, in der eine Regenbogenflagge zum Politikum wird und es wieder mehr Anfeindungen und Angriffe gegen queere Menschen gibt, fr sehr wichtig.
Hamburg gilt ja je her als die liberalste, weltoffenste und kosmopolitischste Stadt Deutschlands. Woran liegt das eigentlich?
Das hat einiges mit der Geschichte der Stadt zu tun. Als Hafenstadt war Hamburg ber Jahrhundert ein Zentrum des internationalen Handels, in dem nicht nur Waren, sondern auch Menschen aus vielen Teilen der Welt und unterschiedlichen Kulturen aufeinandertrafen. Menschen, die hier leben, haben durch den Hafen und Handel schon immer raus in die Welt geguckt und dabei gleichzeitig dem eigenen Land den Rcken gekehrt. Vielleicht prgt das genauso sehr wie der Umstand, dass durch das «Tor zur Welt» auch viele Menschen hinein in die Stadt kamen, die das Zusammenleben in Hamburg in den letzten Jahrhunderten mitgeprgt haben.
Aber man darf sich nichts vormachen: Auch in der Hamburger Stadtgeschichte gibt es bis in jngere Tage hinein viele unschne Beispiele dafr, dass es mit der Toleranz und der Liberalitt dann doch manchmal nicht so weit her ist. Selbstverstndlich ist gar nichts. Immerhin: Heute leben in Hamburg Menschen mit vielen unterschiedlichen Herknften in Freiheit und Vielfalt miteinander. In Gesprchen stelle ich immer wieder fest, dass es auch zum Selbstbild vieler Hamburger*innen gehrt, weltoffen und tolerant zu sein. Das sind hier Werte, auf die wir uns als Stadtgesellschaft verstndigen knnen.
Und last but not least noch die wichtigste Frage fr alle echten Hamburger*innen: Jubeln Sie mehr mit dem HSV oder mit St. Pauli?
Als gebrtiger Gelsenkirchener kenne ich darauf nur eine Antwort: Schalke 04!
