Wie ein schwuler CDU-Abgeordneter versuchte, nicht in einem Roman vorzukommen
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Wie ein schwuler CDU-Abgeordneter versuchte, nicht in einem Roman vorzukommen

Der Roman «Die Konsequenz» (1975) des schweizerischen Schriftstellers Alexander Ziegler (1944-1987) war schon als Roman ein Beststeller. Zwei Jahre spter wurde der Roman kongenial und ebenfalls erfolgreich verfilmt. Im Gegensatz zu dem provokanten Film «Nicht der Homosexuelle ist pervers» (1971) von Rosa von Praunheim kam «Die Konsequenz» eher leise daher und trug ebenfalls viel zur Enttabuisierung von Homosexualitt bei.

ber den Roman und den Film wurden schon viele Artikel publiziert. In diesem Artikel mchte ich den Fokus auf einen CDU-Abgeordneten legen, der im Roman und Film vorkommt. Das wollte er jedoch verhindern und bot Alexander Ziegler sehr viel Geld dafr an, damit dieser die Textpassagen streicht.

Die Hintergrnde zum Autor Alexander Ziegler

Wer sich mit Alexander Ziegler beschftigt, merkt schnell, wie autobiografisch «Die Konsequenz» ist. hnlich wie auch seine Romanfiguren wurde auch Ziegler als Jugendlicher in eine Besserungsanstalt gesteckt und 1966 wegen einer Beziehung zu einem 16-Jhrigen zu einer mehrjhrigen Haftstrafe verurteilt. Spter wurde er Chefredakteur der Schwulenzeitschrift «Du & Ich» (1971-1979) und zeigte sich hier uerst streitbar. In der Kieling-Wrner-Affre (1983/84) sorgte er fr Irritationen auch in der Szene, weil er dem damaligen Verteidigungsminister Manfred Wrner Beweise fr die Homosexualitt von General Kieling vorlegen wollte. Fr Ziegler war dieses Outing wohl eine wichtige schwulenpolitische Aktion, auf andere wirkte es so, als wolle er der Politik einen schwulen General ans Messer liefern.

Zieglers Roman «Die Konsequenz» (1975)

In seinem autobiografischen Roman «Die Konsequenz» landet der homo­sexuelle Schauspieler Martin Kurath wegen eines sexuellen Verhltnisses mit einem Jugendlichen im Gefngnis. Dort lernt er den 16-jhrigen Thomas Manzoni kennen. Thomas und Martin verlieben sich und ziehen nach Martins Entlassung aus dem Gefngnis in eine gemeinsame Wohnung. Um den noch minderjhrigen Thomas von Martin zu trennen, erwirkt sein Vater die Einweisung in eine schweizerische Erziehungsanstalt. Aus der Schweiz flchtet er nach Deutschland. Um eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis fr seinen Freund in Deutschland zu bekommen, wendet sich Martin Kurath an einen schwulen CDU-Bundestags­abgeordneten.

Clemens Krauthagen in dem Roman «Die Konsequenz» (1975)

Dieser schwule Bundestags­abgeordnete trgt im Roman (Fischer, 1975, hier 1982, S. 220-238) den Namen Clemens Krauthagen. Die Romanfiguren Martin Kurath und sein Freund Thomas Manzoni hatten Clemens Krauthagen 1971 kennengelernt. Bei einem nchtlichen Umtrunk mit mehrere Flaschen Sekt bot Krauthagen dem Freundespaar das Du an. Der Umtrunk wurde beendet, als «Krauthagen pltzlich privat wurde».

Krauthagen wird als eine schwule Klemmschwester beschrieben, die im Bundestag 1969 sogar gegen die Reform des 175 und damit gegen die Legalisierung von Homosexualitt unter erwachsenen Mnnern gestimmt hatte. Er gab zunchst vor, den beiden mit einer deutschen Aufenthaltserlaubnis helfen zu wollen und schlug ein mehrtgiges Treffen in seinem zweiten Wohnsitz im Schwarzwald vor. Dort angekommen, stellt er ihnen Richard vor. Einen jungen Mann mit «weichen Gesichtszgen», den Krauthagen als sein «Mdchen fr alles» bezeichnet mit der besonderen Betonung auf «alles». Weil Krauthagens Ehefrau viel unterwegs war, lebte er «oft wochenlang alleine mit Richard» in seinem Haus.

Beim Frhstck am nchsten Morgen fragte Krauthagen seine beiden Gste, ob «wir uns noch ein wenig entspannen» wollten. Er zog die Vorhnge zu, setzte sich zwischen das Freundespaar, zeigte (heterosexuelle) Pornos und legte seine Hand auf den Oberschenkel von Thomas, der aber in Ruhe gelassen werden wollte. Krauthagen bot dann zwar seine Hilfe an jedoch zu einem Zeitpunkt, als Kurath schon wieder abreisen musste. Spter bekam Kurath Post von seinem Freund Thomas aus Paris: «Krauthagen hat mir eine Aufenthaltserlaubnis besorgt, vorlufig fr zwlf Monate, doch er hat die Bedingung gestellt, da ich bei ihm bleibe als sein Freund». Aufgrund seiner Notlage nahm Thomas das Angebot an. Am selben Tag bekam er auch von Krauthagen einen Brief. Im «Interesse von Thomas» habe er sich in ihr «Privatleben eingeschaltet», weil Thomas Manzoni schlielich einen «vterlichen Freund» brauche. Einige Wochen spter bekam Kurath dann einen verzweifelten Anruf von seinem Freund, dass er sich von Krauthagen wegen «dessen Zudringlichkeit» getrennt habe. Danach stellte sich Thomas Manzoni den Schweizer Behrden, wurde wieder in eine Erziehungsanstalt eingewiesen und dort wie auch schon zuvor misshandelt. Das Buch endet mit einem Suizidversuch und einer Vermisstenmeldung vom 9. Mai 1974.

Zumindest ein «Gschmckle»: Die Bitte, fr 50.000 Mark das Buchkapitel zu streichen

Die erste Auflage des Romans «Die Konsequenz» sollte Anfang Juni 1975 erscheinen. Den richtigen Namen von Clemens Krauthagen musste Ziegler verschweigen, «weil ich () seine briefliche Drohung, er wrde mich bei einer ‚etwaigen Verffentlichung meiner Personalien nicht nur verklagen, sondern auch beruflich erledigen‘, ernst nehmen muss» (Einschub des Autors, S. 221). Der im Roman geschilderte Abgeordnete hatte ein Vorab-Exemplar bekommen und war sich nicht sicher, ob er trotz der Anonymisierung als Clemens Krauthagen nicht doch erkannt werden knne. In seinem Brief vom 5. Juni 1975 mit Briefpapier als Abgeordneter des Deutschen Bundestages machte er Alexander Ziegler folgendes Angebot: Die erste noch nicht ausgelieferte Auflage soll vernichtet werden. In der zweiten Auflage solle das ihn betreffende Kapitel (S. 220-238) gestrichen werden. Dafr werde er ihm 50.000 Mark zahlen (wrde heute einem Wert von rund 100.000 entsprechen) und auch die Kosten der Vernichtung der ersten Auflage bernehmen.

Alexander Ziegler ging auf dieses Angebot nicht ein, lie die Textpassage ber Clemens Krauthagen unverndert und verffentlichte auerdem ebenfalls anonymisiert diesen Brief in der «Du & Ich» (Juni. 1976). Im redaktionellen Begleittext nannte die «Du & Ich» diesen Brief, den Versuch «zu bestechen». Umgangssprachlich mag das stimmen. Im strafrechtlichen Sinne knnen jedoch nur Amtstrger bestochen werden. Auch eine Ntigung oder Erpressung beging der Abgeordnete nicht, weil er weder mit Gewalt noch mit einem «empfindlichen bel» droht. Sein Angebot hat ein Gschmckle, war aber nicht illegal.

Das Interview in der «Du & Ich» (1976)

Es wirkt schon etwas bizarr, dass ausgerechnet dieser CDU-Politiker der Redaktion der Homo­sexuellenzeitschrift «Du & Ich» (Juni. 1976, S. 8-11) ein Interview gab und dabei sein Verhalten und sein finanzielles Angebot zu rechtfertigen versuchte. Das Interview erschien unter der berschrift «Darf ein Politiker ’schwul‘ sein?» und seine Identitt wurde mit «Herr X.» anonymisiert. Dass sich der Politiker zu diesem Interview bereiterklrte, lag wohl auch an dem auf ihn ausgebten Druck und dass er nach eigener Aussage seit September 1975 mit «unverschmten Fragen bombardiert» wurde. Dieses Interview ist auerdem vor dem Hintergrund zu sehen, dass Alexander Ziegler zu dieser Zeit Chefredakteur dieser Zeitung war, auch wenn er das Interview offenbar nicht selbst fhrte.

Zunchst stellte der Politiker «fest, da der Autor (Ziegler) hchst private Begebenheiten, die auerdem mehrere Jahre zurckliegen, breit ausgewalzt, teilweise verdreht und nicht nur mich, sondern auch meine Partei lcherlich gemacht hatte». «Herr X.» befrchtete nun, in dem Buch erkannt zu werden, weil die literarische Figur des Clemens Krauthagen nur «bis zu einem gewissen Grad verschlsselt» wurde. Mit dem Angebot von 50.000 Mark habe er nicht versucht, Ziegler «zu bestechen», sondern nur «an seine Vernunft appelliert». Die negative Darstellung sei schlielich nur eine «persnliche Rache» Zieglers, obwohl er sich doch fr seinen Freund nur «menschlich engagiert habe». Darauf angesprochen, dass er junge Menschen gerne auf Auslandsreisen mitnimmt und finanziell untersttzt, gab «Herr X.» nur zu, dass er sich «in Gesellschaft junger Menschen wohlfhle».

Auf die Rolle der CDU angesprochen, gab «Herr X» an: «Meine Parteifreunde htten bestimmt nichts gegen meine homophilen Neigungen einzuwenden. Einige von ihnen wissen darber Bescheid, andere nicht.» Seinen politischen Feinden wolle er jedoch kein Material liefern, und auch die Durchschnittsbevlkerung «habe fr sowas kein Verstndnis».

Offenbar im Kontext mit Herrn X. ist auch die Stellungnahme von Helmut Kohl zu sehen, der als Vorsitzender der CDU (1973-1998) Alexander Ziegler am 3. Juli 1975 mitteilte: «Ich kann ihnen versichern, da kein Politiker der CDU aufgrund seiner privaten Neigungen diskriminiert oder benachteiligt wird». Auch Herr X. versicherte, dass Helmut Kohl «bestimmt nichts gegen Homo­sexuelle» habe, aber bis es zu einem gesellschaftlichen Umdenken msse ein homo­sexueller Politiker seine Homosexualitt eben geheim halten.

Der Film «Die Konsequenz» (1977)

Der Erfolg des Films «Die Konsequenz» (1977, hier online) lag nicht nur am Mut des Produzenten Bernd Eichinger und Wolfgang Petersen (Regie und Drehbuch), sondern auch an dem bekannten Schauspieler Jrgen Prochnow (auch bekannt aus seiner spteren schwulen Rolle in «Der Schrei der Liebe») als Martin Kurath. Positiv berraschte auch der 17-jhrige Neuling Ernst Hannawald, der fr diesen Film von Wolfgang Petersen entdeckt wurde und die Rolle des 16-jhrigen Thomas Manzoni sehr glaubhaft verkrperte. Leider hielt auch das Prdikat «wertvoll» den Bayerischen Rundfunk nicht davon ab, die Erstausstrahlung in der ARD am 8. November 1977 zu boykottieren. Heute ist «Die Konsequenz» ein frhes, wichtiges und berhrendes Stck schwuler Filmgeschichte.

Der Abgeordnete Clemens Krauthagen wurde von Alexis von Hagemeister verkrpert. Die Filmszenen, in denen es um Krauthagen geht, sind rund zehn Minuten lang (1:08:45-1:19:00 Min.) und wie die meisten Szenen aus dem Roman im Film etwas verkrzt dargestellt. Von Richard, Krauthagens «Mdchen fr alles», bekommt man leider fast nichts mit.

Bis heute ist die Identitt von Clemens Krauthagen bzw. «Herr X» ungeklrt

Bei Zieglers autobiografischem Roman ist eine Trennung zwischen fiktiver Romanhandlung und tatschlichen Ereignissen nicht mglich. Wenn sich der Abgeordnete jedoch tatschlich so verhalten hat, wie es Ziegler beschrieb, geht es nicht nur um Machtmissbrauch, sondern auch um das bewusste Herbeifhrung einer Situation, die einen Machtmissbrauch begnstigt. Weil ich zunchst einmal davon ausgehe, dass sich der CDU-Politiker in hnlicher Form wie im Roman auch in der Realitt verhalten hat, htte ich ihn gerne geoutet, aber auch nach all den Jahrzenten kann leider nicht zweifelsfrei geklrt werden, welcher reale Politiker sich hinter Clemens Krauthagen bzw. «Herrn X» verbirgt.

Auch Elmar Kraushaar hatte fr seine taz-Kolumne «Der homo­sexuelle Mann» (25. August 2015) zu diesem mysterisen CDU-Abgeordneten recherchiert, konnte aber nur schreiben: «Der ‚Stern‘ enthllte ihn als ehrenwerten Hamburger Brger, ohne seinen Namen zu nennen. Auch die ‚Bild‘-Zeitung enttarnte ihn nicht, weil es sich bei ihm um einen Mann ‚aus dem eigenen Lager‘ handele, wie Ziegler mutmate».

Der Hinweis auf Hamburg ist ein Indiz, dass es sich dabei um den Hamburger CDU-Abgeordneten Dietrich Rollmann (1932-2008) handeln knnte. Ein ffentliches Outing von Corny Littmann (2mecs.de: «Eklat im Reichshof») wurde 1972 offenbar erfolgreich vertuscht, das heit, anwesende Journalisten wurden um Stillschweigen gebeten. Daran hielten sie sich auch, und der Tonbandmitschnitt der Veranstaltung wurde vernichtet. Es gibt allerdings auch einzelne Hinweise auf diesen Politiker aus dem Buch «Die Konsequenz», mit denen Rollmann nicht gemeint sein kann («lterer» Mann, kinderlos). Daher sollte auch die Mglichkeit mitgedacht werden, dass Ziegler in seinem autobiografischen Roman vielleicht in erster Linie einen stereotypen schwulen CDU-Abgeordneten darstellen wollte und sich nur in zweiter Linie an dem CDU-Abgeordneten orientierte, der sich nun angesprochen fhlte und vor 50 Jahren sehr viel Angst vor einer Verffentlichung hatte.

Ich hatte zunchst Hoffnung, eine nicht geschwrzte Kopie des Briefes in einem Archiv oder Nachlass zu finden. Einen Nachlass von Alexander Ziegler scheint es nicht zu geben. Das Archiv der «Du & Ich» ging ber den Jackwerth Verlag im Jahre 2012 in den Bestand der «Special Media SDL» («Siegessule», «L-Mag») ber, die mir jedoch mitteilten, dass sie aus dieser Zeit keine Archivmaterialien mehr besitzen. Fr diese Auskunft bedanke ich mich bei «Special Media SDL». Mein Dank gilt auch dem «Centrum Schwule Geschichte» in Kln fr die Recherchen u. a. in der «Du &Ich».

Die CDU gibt es nach wie vor, aber vermutlich wrde jeder Versuch scheitern, im Bereich der Schwulenpolitik zwischen der damaligen CDU und der heutigen CDU einen Vergleich herzustellen oder Parallelen zu erkennen. Nur bei einer Sache bin ich mir sehr sicher: Vor 50 Jahren htten viele Menschen sehr gestaunt, wenn sie erfahren htten, dass im Jahre 1998 ein eigener Verband fr Lesben und Schwule in der Union (LSU) gegrndet wurde.

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