Wie sich die Anti-Sexarbeits-Bewegung radikalisiert
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Wie sich die Anti-Sexarbeits-Bewegung radikalisiert

Sexarbeiter*innen haben in der Politik oft keine guten Karten. Ablehnung, moralische Vorbehalte und Ressentiments spielen in Verhandlungen und Entscheidungen stets mit. Daran ndert auch nichts die Tatsache, dass wir ein sogenanntes Prostitutionsschutzgesetz haben und ein Land sind, in dem Sexarbeit (noch) legal ist.

Der krzlich vorgelegte Abschlussbericht zur Evaluierung des genannten Gesetzes weist eine Vielzahl an die Politik gerichtete Empfehlungen aus, darunter jene, die Bedrfnisse von Sexarbeitenden strker zu bercksichtigen und an die Lebensrealitten der verschiedenen Gruppen anzupassen (queer.de berichtete). Mit anderen Worten: Da gibt es deutliche Defizite. In den Stellungnahmen zeichnete sich eine klare Kritik an dem bestehenden Gesetz ab, verbunden mit der Forderung, es abzuschaffen, um endlich mit der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen ernst zu machen.

Die Erscheinungsformen von Sexarbeitsfeindlichkeit

Welcher Art die Defizite sind, darber wei die Autorin Ruby Rebelde bestens Bescheid. Sie ist selbst Sexarbeiterin und hat jetzt eine umfangreiche Studie, die zugleich Streitschrift sein will, unter dem Titel «Warum sie uns hassen» (Amazon-Affiliate-Link ) vorgelegt, erschienen in der Edition Assemblage. Rebelde geht all den Erscheinungsformen von Sexarbeitsfeindlichkeit nach, benennt «Ideologien, Allianzen und Journalismus fr die Welt ohne Prostitution», so der Untertitel.

Die Autorin schreibt mit absolut nachvollziehbarer Wut gegen reaktionre Allianzen an, und das mit beeindruckender Sachkenntnis und Wissensflle. Aber es geht auch um nichts weniger als um einen Existenzkampf. Und Rebelde ist fest entschlossen, ihn nicht zu verlieren, schlielich geht es auch um ihre Existenz als eine selbstbestimmte Sexarbeiterin. Ihr Buch ist jedenfalls eine Form der Gegenwehr und die heit schlicht Aufklrung.

Schnittmengen mit der Anti-Queer-Bewegung

Was sie dabei zutage frdert, kommt einer trans Aktivistin wie mir nur allzu bekannt vor, denn offenbar gibt es bei jenen, die sich auf Sexarbeitsfeindlichkeit verstehen, groe Schnittmengen auch in Sachen Trans- und Homofeindlichkeit. Die Allianzen der Anti-Sexarbeits-Bewegung sind oft auch die Allianzen, die beispielsweise gegen das Selbst­bestimmungs­gesetz agieren und trans Frauen als Bedrohung fr cis Frauen inszenieren.

Zufall? Keineswegs, denn es handelt sich hier wie dort um die immergleichen reaktionren Ideologien, die Selbst­bestimmung mit unterschiedlichen Gewichtungen ablehnen gleich ob sexuelle, reproduktive oder geschlechtliche. Da finden nicht nur parteibergreifend alle politischen Farben zusammen, hinzu kommen kirchliche Gruppen und vermeintliche Feministinnen und eben der ganze Pool an Konservativen. Manchmal schaffen es fundamentalistische Gruppen, unter das Dach von groen Wohlfahrtsverbnden zu gelangen, um so Seriositt vorzutuschen. Die Namen und Vereine bilden eine lange Liste in Rebeldes Buch alles alte Bekannte.

Gleichsetzung von Prostitution und Gewalt

Die Anti-Sexarbeits-Bewegung habe an Fahrt aufgenommen und radikalisiere sich. Ihre Sprache nennt Rebelde entlarvend. Man spricht von einer «Welt ohne Prostitution» und meint eine «Welt ohne Prostituierte». Das klinge weniger feindselig, ist es aber zutiefst. Zur sprachlichen Taktik gehre auch die Gleichsetzung von Prostitution und Gewalt. «Die Behauptung», so die Autorin, «all das geschieht nur zu unserem Schutz, lenkt erfolgreich von der zentralen Frage ab: Autoritt oder Selbst­bestimmung? Oder: Wer hat sich zu fgen und wer verfgt ber wen?» Klar ist hier, dass die Gewalt nicht nur auf einer Seite zu finden ist.

Das Buch mit seinen rund 400 Seiten entstand aus der Analyse einer hochproblematischen, weil defizitren Berichterstattung in den Medien. Das beginnt schon beim Wording. Von Sexarbeit wird, wenn berhaupt meist nur in Anfhrungszeichen geschrieben. Es werde zwar immer wieder behauptet, man spreche mit Sexarbeitenden, aber da ist es nicht selten wie beim Thema trans, wo gerne Detransitioner zitiert werden, um trans zu diskreditieren. Bei der Sexarbeit sind Aussteiger*­innen sehr beliebt.

Kritik auch an der Berichterstattung von Medien

Anstatt nordisches Modell und Sexkaufverbot zu fordern, sollten endlich die Lebens- und Arbeitsbedingungen verbessert werden. Sexarbeitende brauchen Rechte, so Rebelde, und kein Sondergesetz. Der politische Druck der Anti-Fraktion wchst. Nur selten gehe es in Berichterstattungen um fundierte Recherchen und sachliche Einordnungen, sondern aus negativen Einstellungen werde eine Realitt konstruiert. Da findet man leider auch gengend serise Medien wie «Spiegel» oder Deutschlandfunk am Werk. In Rebeldes «Warum sie uns hassen» lsst sich alles genau nachlesen.

Ja, es ist ein Existenzkampf, den die Autorin und ihre Mitstreiter*innen fhren. Sie warnt aber auch und mit aller Berechtigung -, dass Sexarbeitsfeindlichkeit wie brigens auch Trans- und Homofeindlichkeit Teil eines viel greren Projektes sind. Man kann es nicht oft genug sagen. Die Abschaffung von Selbstbestimmung ist am Ende der Einstieg in die Abschaffung einer freiheitlichen Demokratie. Deshalb sieht Ruby Rebelde die Gefahr, dass «wir alle ber kurz oder lang in einer moralisch verkrusteten, autoritren Gesellschaft [landen], in der Ressentiments darber entscheiden, wer existieren darf».

So gesehen knnte das Buch nicht nur eine Aufklrung, sondern auch eine Anleitung zur Widerstndigkeit und zu solidarischem Handeln sein.

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