Zwei Schornsteinfeger erzhlen einander von queeren Erlebnissen
Sex und Sehnsucht knnen schon mal miteinander verwechselt werden. Sex als schnell verfgbare und ganz konkrete Ersatzbefriedigung, wohingegen die Sehnsucht diffuser ist. Meist wird erst danach klar, wonach man sich sehnte oder vielmehr: wonach nicht. Denn die Sehnsucht ist ja noch da, trotz Sex. Vielleicht ist sie sogar gewachsen.
Genau in dieses Spannungsfeld fallen auch die zwei namenlosen Schornsteinfeger, die sich bei der Arbeit etwas Ungewhnliches erzhlen: Der eine (Thorbjrn Harr) trumt immer wieder von David Bowie, dabei mag er die Musik des queeren Stars gar nicht. Aber nicht nur das: Der Snger habe ihn angesehen wie eine Frau.
«Nur» Sex oder doch eine echte Sehnsucht?
Der andere Schornsteinfeger (Jan Gunnar Rise) erzhlt ganz freimtig davon, wie er neulich Sex mit einem Kunden hatte. Der schwule Mann habe ihn danach gefragt, er sei daraufhin zuerst gegangen, dann aber doch zurckgekehrt. Schn, berwltigend, sogar sensationell sei es gewesen. Da schwingt natrlich auch die Symbolik Kaminkehrers mit: Er bringt abstraktes Glck und bekommt dafr ausnahmsweise auch mal was zurck.
War das «nur» Sex, wie er sich zunchst einredet, oder doch Ausdruck einer unterdrckten Sehnsucht? Er ist immerhin mit einer Frau verheiratet. Die findet den spontanen Sex ihres Ehemannes doch immer befremdlicher, als sie sich erst noch eingestehen will.
Aus Freude kann schnell Scham werden
Sie fragt ihn schlielich aus, will alle Details erfahren. Ihm ist das deutlich unangenehm. Er murmelt und stammelt vor sich hin wie ein Kleinkind, das erwischt wurde, wie es das Bonbonglas geleert hat: Einerseits Offenheit und Freude, die aber schnell zu Scham kippen knnen.
Die Prmisse von Dag Johan Haugeruds «Oslo Stories: Sehnsucht» weicht deutlich von den anderen beiden Teilen «Liebe» und «Trume» ab: Hier machen zwei hetero Mnner im weitesten Sinne queere Erfahrungen, die den einen mehr, den anderen weniger verwirren. Vor allem aber: Sie sprechen darber.
So eine Mnnerfreundschaft ist Utopie
In seiner gesamten Trilogie setzt der norwegische Filmemacher auf die Kraft und die Macht der Konversation. Besonders deutlich wird das aber in «Sehnsucht», nicht nur weil die zwei Mnner so ungewhnlich lange miteinander sprechen. Das Besondere ist die Offenheit, mit der zwei Heteros sich berhaupt ber Sex, Emotionen und Bedrfnisse austauschen. Diese aufrichtige Mnnerfreundschaft hat durchaus etwas Utopisches. Vielleicht nimmt sich ja der ein oder andere Zuschauer ein Beispiel an den Handwerkern.
Noch strker als in den zwei vorherigen Teilen schafft es Dag Johan Haugerud auerdem, durch unerwartet lustige oder absurde Momente zu unterhalten, manchmal richtig zum Lachen zu bringen. Das ist ein angenehmer Kontrast zu den Konflikten, welche die Mnner mit ihren Frauen bewltigen mssen.
Es wird ber Sex gesprochen, aber keiner gezeigt
«Sehnsucht» kommt in Deutschland als dritter Teil in die Kinos, in Norwegen aber war er zuerst zu sehen. Vielleicht war die Geschichte von Heteros, die die Normwelt vorbergehend verlassen, als Auftakt hierzulande doch zu gewagt. Dazu passt auch, dass der Originaltitel von «Sex» zu «Sehnsucht» gendert wurde und damit schon eine Interpretation vorgibt, statt die Tatsache zu beschreiben.
Wobei das Besondere ja ist, dass die zwei Schornsteinfeger und spter er mit seiner Frau die ganze Zeit ber Sex sprechen, der Akt selbst aber nie zu sehen ist. Es gebe schon genug Bilder von Sex, findet Dag Johan Haugerud, da knne er in seinem Film getrost darauf verzichten. Ob es schon genug schwule Sexszenen mit Heteros gibt, sei zwar dahingestellt, grundstzlich behlt er aber natrlich Recht.
Hetero-Grenzen aufweichen
Und dennoch ist die visuelle Gestaltung spannend. Die Kamera (Cecilie Semec) fngt die zwei Mnner hufig erst in langen Einstellungen und von einer groen Distanz ein und zoomt dann zu ihnen. Das wirkt voyeuristisch, die zwei Mnner, die ihre cis-hetero Komfortzone verlassen, stehen unter kritischer Beobachtung.
«Oslo Stories: Sehnsucht» ist sicher der ungewhnlichste der Trilogie, ist gleichzeitig aber auch der mit dem hchsten Anspruch: Es geht darum, die starren Grenzen heterosexueller, verheirateter Mnner zu erkunden und aufzuweichen. Das verspricht eine enorme Freiheit hat aber auch Verletzungen zur Folge. Wer bereit ist, da mitzugehen, und diese Freiheit zu gestalten, kann nur profitieren. Es wartet eine Welt, in der idealerweise die eigenen Sehnschte bewusster werden und weniger Verwechslungsgefahr besteht.
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