«Es macht mir nichts aus, als queerer Regisseur gelabelt zu werden»
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«Es macht mir nichts aus, als queerer Regisseur gelabelt zu werden»

Den norwegischen Regisseur und Autor Dag Johan Haugerud (60) kannten bis vor Kurzem auerhalb Skandinaviens nur wenige. Mit seiner queeren Trilogie «Oslo Stories» gelang ihm ein schlagartiger internationaler Durchbruch.

«Sehnsucht» hatte seine Premiere im vergangenen Jahr bei der Berlinale, und «Liebe» war der erste norwegische Film seit Jahrzehnten, der im Wettbewerb von Venedig lief. Dann der Hhepunkt: «Trume» gewann mit dem Goldenen Bren den Hauptpreis der diesjhrigen Berlinale.

Diesen Frhling kamen die drei Filme innerhalb weniger Wochen in die deutschen Kinos. Den Anfang machte im April «Liebe» ber einen schwulen Pfleger, der seiner Kollegin ein Loblied aufs Cruising singt und sie damit inspiriert. Anfang Mai folgte «Trume» ber eine Schlerin, die sich Hals ber Kopf in ihre Lehrerin verliebt. Heute startet nun auch «Sehnsucht» in den Kinos ber zwei Schornsteinfeger, die einander von queeren Erlebnissen erzhlen.

Zu den Kinostarts nahm sich der Regisseur Zeit, mit queer.de zu sprechen.

In einem Artikel sagst du, dass ein Film ber ein Thema nie reicht. Deshalb hast du drei Filme ber Beziehungen und Sexualitt gedreht. Hast du jetzt das Gefhl, das reicht?

Nein, wahrscheinlich nicht. Es ist so individuell, wie wir mit Sexualitt und sexueller Identitt umgehen, auch in verschiedenen Altersgruppen. Es gibt also viele Mglichkeiten, Geschichten ber Sexualitt zu erzhlen. Man knnte wahrscheinlich noch mehr Filme ber diese Themen machen. Was ich vielleicht auch tun werde.

Die «Oslo Stories» sind eine Trilogie, aber jeder Film steht gleichzeitig unabhngig fr sich selbst. Die Art der Erzhlung ist ziemlich unterschiedlich, und jeder Film sieht anders aus. Aber du hast mit derselben Crew gearbeitet. Wie schwierig war das?

Es war eine Herausforderung, weil es fr die Kamerafrau Cecilie Semec und mich sehr wichtig war, dass die Filme sich sehr unterschiedlich anfhlen und aussehen. Wenn man einen Film verffentlicht hat und am nchsten arbeitet, will man nicht, dass er genau wie der letzte ist. Man mchte, dass das Publikum etwas ganz anderes bekommt. Wir haben also wirklich hart daran gearbeitet und verschiedenes Equipment, Objektive und Kameraeinstellungen ausprobiert und in der Vorproduktion eine Menge Proben gemacht, um drei verschiedene Looks zu bekommen. Das war schwierig. Aber es war interessant. Meistens. (lacht)

Du hast «Liebe» im Sommer 2022, «Trume» im Winter 2022 und «Sehnsucht» im Frhsommer 2023 gedreht. Das klingt hart. Wie anstrengend war das, nicht nur krperlich, sondern auch, was Inspiration und Ideen angeht?

Das war gar nicht so schlecht. Denn wenn man das Gefhl hatte, dass man etwas nicht geschafft hat, denkt man, okay, vielleicht schaffen wir es ja im nchsten Film. Und dann gab es ja noch einen weiteren danach. Das hat es in gewisser Weise entspannter gemacht. Fr mich war das wie eine Art Zuckerbrot und Peitsche. Irgendwie hat es mir wirklich Spa gemacht. Es ist eine Menge Arbeit, aber wenn man nur einen Film macht, ist das auch eine Menge Arbeit.

Du hast also von jedem Film zum nchsten etwas gelernt und mitgenommen?

Ja, einerseits in technischen Dingen. Aber man lernt auch, wie man mit der Crew umgeht. Wenn man die Chance hat, gemeinsam an drei Filmen nacheinander zu arbeiten, lernt man sich sehr gut kennen, und dann wei man, wie man kommunizieren muss, um zum besten Ergebnis zu kommen.

Wenn man die Filme aufmerksam anschaut, merkt man, dass es nur eine Figur gibt, die in allen drei vorkommt: der Psychologe Bjrn, der in allen Filmen unterschiedlich prsent ist. Ist er dein Augenzwinkern fr diejenigen, die alle drei Film schauen?

Man muss bedenken, dass es eigentlich so gedacht war, dass «Sex» der erste Film ist, «Trume» der zweite und «Liebe» der dritte. Im ersten Film wird er nur erwhnt, im zweiten sieht man ihn ein bisschen mehr und im dritten hat er einen richtigen Charakter. Im Laufe der Filme wird er also zu einem echten Menschen mit eigenen Konflikten. Und als Psychologe ist er ein Vertreter der Therapeutensprache, die in jedem Film hinterfragt wird.

Was die Trilogie auerdem verbindet, ist die Stadt Oslo. Warum ist die Stadt so prsent, sogar in den Titeln?

Meiner Meinung nach muss man die Figuren in gewisser Weise aus den Orten aufbauen. Es bedeutet etwas, wo sie leben. Es sagt etwas Politisches aus, denn alle Stdte sind sozial ziemlich gespalten. Und diese drei Teile von Oslo, die in der Trilogie gezeigt werden, sind sehr unterschiedlich: In «Sehnsucht» ist es ein Teil von Oslo, wo gerade viel neu gebaut wird. Und in «Trume» haben wir einen alten Teil von Oslo und ein ganz neues Quartier, wo es eine Menge Kapitalinteressen gibt und in dem die reichen Leute leben. Und in «Liebe» haben wir das Rathaus, das eine Art nostalgischen Blick auf Oslo bietet.

In den Filmen geht es um Sex, einer heit sogar so, auch wenn der Titel in Deutschland warum auch immer zu «Sehnsucht» gendert wurde. Trotzdem sieht man nur ein einziges Mal, wie Menschen miteinander schlafen. Warum?

Wir haben so viel Zugang zu Bildern und Videos von Sex, dass man das nicht mehr wirklich braucht. Ich mchte, dass es in den Filmen mehr um Gesprche ber Sexualitt geht, genauso wie um die Sexualitt, die in unseren Kpfen stattfindet. Denn ich glaube, dass das ein groer Teil von Sexualitt ist. Wahrscheinlich denken wir sogar mehr ber Sex nach, als dass wir ihn haben.

Queerness ist ein groer Teil der drei Filme, aber es ist keine Queerness im herkmmlichen Sinne. Es geht um einen einem heterosexuellen Schornsteinfeger, der spontan schwulen Sex hat, um eine Teenagerin, das sich in ihre Lehrerin verliebt, und um eine erwachsene Frau, die sich vom schwulen Cruising inspirieren lsst. Wie hast du diese unkonventionellen Geschichten entwickelt?

Queere Themen sind sehr wichtig in meinen Filmen und meinen Bchern. Ich versuche auch immer, eine Perspektive zu finden, die ein bisschen anders ist als das, was wir schon kennen. Denn es gibt so viele Arten, queer zu sein, wie es queere Menschen gibt. Und es geht mir auch darum, die eher normativen Seiten von Queerness in Frage zu stellen. Ich wollte nie Coming-out- und Coming-of-Age-Geschichten machen, weil ich finde, dass ich schon so viele Romane und Filme darber gelesen und gesehen habe. Die sind ziemlich gut, also muss ich nicht noch einen machen.

Diese unkonventionellen queeren Storys machen deine Filme sehr zeitgem. Gleichzeitig hat man manchmal das Gefhl, dass trotz aller Vielfalt meist hnliche Geschichten erzhlt werden. Findest du es schwer, neue Geschichten zu schreiben?

Nein, berhaupt nicht. Es gibt viele Geschichten ber Queerness, die im Film nicht so oft vorkommen. Und ich finde, dass es Coming-out-Geschichten immer noch braucht. Junge Leute mssen die sehen knnen und dadurch das Gefhl bekommen, dass es mehr Menschen wie sie auf der Welt gibt. Aber ich denke, dass man diejenigen, die schon lange geoutet sind, auch mal herausfordern kann: Wie sie ber sich selbst, ihre Rolle und ihren Platz in der Gesellschaft denken, und was es bedeutet, eine queere Person zu sein, nicht nur in der queeren Community, sondern in der ganzen Gesellschaft. Auerdem will ich zeigen, dass es einige Vorteile hat, schwul oder queer zu sein, die man der heterosexuelle Bevlkerung zeigen kann.

An welche Vorteile denkst du?

Man hat die Mglichkeit, die Gesellschaft in gewisser Weise von der Seitenlinie zu beobachten. Dadurch bekommt man auch eine andere Art von Verstndnis dafr, wie das Leben und die Gesellschaft funktionieren. Das ist ein sehr guter Aussichtspunkt, der fr die gesamte Gesellschaft ntzlich sein kann. Denn es ist oft schwer, sich selbst und sein eigenes Leben zu hinterfragen. Vielleicht braucht man also diesen Blick von der Seite.

Aktuell gibt es nicht nur, aber auch in der US-Filmindustrie dank Donald Trump so etwas wie einen Backlash. Minderheiten werden wohl weniger prsent sein, Disney scheint sich seinen Vorstellungen anzupassen. Deine Filme sind auf den ersten Blick nicht unbedingt politisch, aber verstehst du sie trotzdem als Statement zu den aktuellen Entwicklungen?

Ja, auf jeden Fall. Ich habe sie immer als politische Filme gesehen, weil sie versuchen, neue Gedanken zu prsentieren und die Normen und Konventionen zu hinterfragen. Und wenn man das tut, ist das politisch.

Das kann auch wirtschaftliche Folgen haben. Deine Filme wurden bereits nach Nordamerika verkauft, aber glaubst du, dass das in Zukunft schwieriger wird?

«Strand», der Verleih der Filme in Nordamerika, hat viele queere Filme in seinem Katalog. Vielleicht wird sich das ndern, das wei ich noch nicht. Aber ich denke, dass die Leute in den USA, die Trump nicht untersttzen, dagegen kmpfen mssen, und das tun sie wahrscheinlich schon, whrend wir hier sprechen. Wie sich das entwickeln wird, wei ich nicht. Aber im Moment sieht es ziemlich dster aus.

Deine Trilogie ist eine queere Trilogie. Ist es ein Risiko fr dich als Filmemacher, knftig nur noch als «der Regisseur der queeren Trilogie» gesehen zu werden?

Als ich meinen ersten Roman geschrieben habe, hat mich mein Lektor vor diesem Problem gewarnt. Er hat gesagt, wenn ich ihn als queeren Roman vermarkten wrde, wre ich ein Nischenautor, ein queerer Autor, und das wolle ich ja eigentlich nicht. Und das habe ich irgendwie immer bedauert. Denn es macht mir nicht viel aus, wenn ich ein Label habe, weil ich eben diesen queeren Blick auf die Gesellschaft habe. Und ich denke, das sollte auch kommuniziert werden. Ich habe also keine Angst davor, gelabelt zu werden.

Hat dich bei der Trilogie auch jemand gewarnt?

Nein, weil ich jetzt lter bin und den Produzenten klarmache, dass es mir nichts ausmacht, als queerer Regisseur gelabelt zu werden. Das spielt fr mich keine Rolle. Im Gegenteil, ich mag es. Das ist schn.

Das ist auch ein Privileg.

Auf jeden Fall. So sehe ich das auch.