Sterben die Burrneshas aus, Kristine Nrecaj?
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Sterben die Burrneshas aus, Kristine Nrecaj?

Als Mdchen geboren, aber zum Mann gemacht: In lndlichen Gegenden Albaniens haben jahrhundertelang einzelne Mdchen und Frauen oder deren Eltern entschieden, dass sie die soziale Rolle von Mnnern annehmen. Sie heien Burrnesha: Das albanische Wort fr Mann, aber mit femininer Endung.

Die Tradition hat bis heute berlebt, auch wenn es immer weniger Burrneshas gibt. Die Filmemacherinnen Kristine Nrecaj und Birthe Templin haben jahrelang an einer Dokumentation ber sie gearbeitet. Jetzt kommt «Wo/men» ins Kino (Filmkritik auf queer.de).

Kristine Nrecaj hat sich Zeit genommen, um mit queer.de ber den Film zu sprechen.

Kristine, deine Dokumentation «Wo/men» war fr dich eine Herzensangelegenheit. Inwiefern?

Das hatte mehrere Grnde. Meine Eltern stammen aus dem Kosovo und sind Anfang der 1970er Jahre nach Deutschland ausgewandert. Jeden Sommer waren wir im Kosovo. Ich hatte eine Grotante, die eine Burrnesha war. Ich bin also mit diesem Begriff aufgewachsen, ohne genau zu wissen, was er bedeutet, aber ich sprte immer, dass damit etwas Starkes, etwas Besonderes verbunden war. Das wollte ich besser verstehen.

Gleichzeitig war es fr mich als Kind prgend, dass kaum jemand den Kosovo oder Albanien kannte alles wurde unter dem Begriff Jugoslawien zusammengefasst. Ich hatte das Gefhl, kein klares Herkunftsland zu haben, und mir fehlte ein Teil meiner Identitt. Deshalb bin ich immer wieder zurckgekehrt ich wollte die Geschichten von dort nach Deutschland bringen und diese zwei Seiten in mir verbinden. Das ist fr mich eine Art Lebensmission: beide Welten zusammenzubringen.

Wann hast du denn so richtig verstanden, was genau eine Burrnesha ist?

Meine Mutter hat oft davon erzhlt. Mein Grovater kam aus der Region Mirdita, einer katholischen Bergregion Albaniens. Seine Schwester meine Grotante war eine Burrnesha. Sie wollte nicht heiraten, sondern bei ihrer Familie bleiben. In Albanien verlsst man die Familie sehr jung, damals meist mit 15 oder 16, wenn man heiratet das kann sehr traumatisch sein. Fr viele Frauen bedeutet das Schmerz: Man wird aus dem vertrauten Umfeld gerissen, kennt den Ehemann nicht, lebt in einem fremden Haus. Auch meine Eltern kannten sich vor der Hochzeit nicht.

Es war etwas Besonderes, eine Burrnesha in der Familie zu haben. Es bedeutet groen Verzicht eine Frau, die sich entscheidet, fr ihre Herkunftsfamilie auf eine eigene Familie zu verzichten. Als ich begann, intensiver zu recherchieren und mit Burrneshas zu arbeiten, habe ich viel tiefer verstanden, was dahintersteckt. Und dass viele Frauen in westlichen Gesellschaften auch Burrneshas sind ohne dass sie auf eine Familie verzichten mssen.

Wie meinst du das?

Ich meine Frauen, die alles wuppen, die Verantwortung bernehmen fr die Familie, die Geld verdienen, die sich aber auch gleichzeitig um die Kinder kmmern, die ihren Mann stehen in der ffentlichkeit. Oder gerade Frauen, die ihre weibliche Seite in der ffentlichkeit unterdrcken mssen, weil sie in groen Firmen, Vorstnden sitzen und alles, was weiblich ist, belchelt wird, und das unterdrcken mssen. Und wenn ich in meinem patriarchalen Umfeld Respekt und Status will, unterdrcke ich meine Weiblichkeit. Ich glaube, das machen viele Frauen, auch um im ffentlichen Raum keine Angriffsflche zu sein. Aber wir kommen aus Mutter und Vater, aus weiblich und mnnlich, und wenn wir einen Teil negieren, dann kostet das sehr viel Kraft. Und alles, was weiblich ist, wird dem Mnnlichen unterstellt. Das verdeutlichen die Burrneshas sehr.

Burrneshas faszinieren, weil sie berhaupt nicht in unsere westlichen Genderkonzepte reinpassen. Wie schwer ist es dir und deiner Co-Regisseurin Birte Templin gefallen, das zu bersetzen ganz wrtlich, was zum Beispiel Pronomen angeht, aber auch im bertragenen Sinn, damit es ein westliches Publikum versteht?

Fr die Burrneshas selbst war das berhaupt kein Thema. Sie machen sich keine Gedanken darber, ob man «sie» oder «er» sagt. Wir haben sie weiblich angesprochen, denn sie sehen sich auch biologisch als Frauen. Ihr Habitus und ihre soziale Rolle sind aber mnnlich konnotiert. Nur Bedrie fand es spannend, wenn Menschen dachten, sie sei ein Mann, und sie mit «er» ansprachen.
Wir haben bewusst nichts auf sie projiziert. Es ging uns darum, ihre Realitt zu zeigen nicht unsere Konzepte ber sie zu stlpen.

Denn mit Trans haben Burrneshas nichts zu tun, oder? Burrnesha zu sein, ist selbstgewhlt, oder?

Es gibt unterschiedliche Grnde. Manchmal entscheidet sich das Mdchen selbst fr diesen Weg. Manchmal treffen die Eltern die Entscheidung sogar vor der Geburt, wie bei Diana: «Egal was kommt, es wird als Junge grogezogen.»

Bei Sanie war es der Vater, der sie zu dieser Rolle hin erzogen hat. Sie bedauert heute, keine eigenen Kinder zu haben. Nur Bedrie sagt, sie hat sich von klein auf mehr als Junge gefhlt und wollte mehr mit den Jungs sein. Da gibt es Interpretationsspielraum, und wir wollten das bewusst offenlassen. Ich denke, sie wrde es nicht mgen, wenn man ihre Geschichte auf eine Aussage reduziert.

Eure Dokumentation zeigt, anders als andere fiktionale oder dokumentarische Filme davor, wie vielfltig Burrneshas sind, und dass es ein vielfltiges Konzept ist, das viel grer ist als das, was wir unter Mann und Frau verstehen.

Das ist auch die Erfahrung, die ich selbst gemacht habe: Im Gesprch mit den Burrneshas habe ich mich oft gefragt, was jetzt mehr weiblich, was mehr mnnlich ist. Irgendwann habe ich verstanden, dass mein Verstand stndig versucht hat, sie einzuordnen. Wir sind so trainiert, dass wir versuchen, Menschen in Boxen zu packen, vor allem wenn es um Geschlecht geht. Irgendwann habe ich gemerkt: Wenn ich das jetzt weiter mache, dann verpasse ich den Menschen, der vor mir sitzt, und ich lerne den Menschen gar nicht richtig kennen. Da hatte ich dann einen Aha-Moment: Dass wir mit unserem Verstand gar nicht fassen knnen, was es eigentlich ist.

Es gab ab etwa 2008 einen Medienhype um die Burrneshas. Inwieweit war euch das bewusst und wodurch wolltet ihr euch davon ganz bewusst abgrenzen?

Wir haben vor zehn Jahren mit der Recherche angefangen. Es gab Filme wie «Sworn Virgins» von 2015 und Beitrge in vielen Magazinen. Aber egal, was ich ber die Burrneshas gesehen und gelesen habe, wurde dem aus meiner Sicht nicht gerecht. Einen Artikel in «Cicero» fand ich nicht schlecht. Und das Buch «Women Who Become Men» der Anthropologin Antonia Young, die wirklich lange bei den Burrneshas war, wird ihnen gerecht. Mir war also wichtig, dass sich die Burrneshas zeigen knnen. Denn es gab in der Vergangenheit viele Enttuschungen: dass auslndische Medien sie belogen haben, dass ihre Beitrge verflscht wurden, dass irgendetwas erfunden wurde oder dass sie dann eine versprochene Aufwandsbeschdigung nicht bekommen haben. Deshalb war ganz wichtig, dass wir transparent sind und den Burrneshas erklren, was wir gerade machen und dass sie am Ende das Ergebnis zu sehen bekommen. Ich habe ihnen mein Wort gegeben das Ehrenwort ist in Albanien das wichtigste. Und dann haben sie mir vertraut und wir sind gemeinsam diesen Weg gegangen. Wir sind auch immer noch in Kontakt miteinander.

Httest du diesen Film machen knnen, wenn du kein Albanisch sprichst?

Der Film wre auf gar keinen Fall so geworden, wie er jetzt ist. Fr Albaner bist du ein Teil der Familie, wenn du Albaner bist. Dass ich einen hnlichen Dialekt spreche, hat mir geholfen, diese Nhe aufzubauen. Mein Bruder hat die Kamera gemacht, und wenn Schwester und Bruder zusammenarbeiten, ist das immer ein gutes Zeichen. Und er hat verstanden, was gerade passiert, er konnte den geschtzten Raum als Kameramann mittragen.

Immer wieder rufen Medien aus, dass Burrneshas aussterben. Ist das wirklich so?

In den lndlichen Gegenden ist schon noch sehr traditionell in Albanien. Da ist als Mdchen das oberste Ziel zu heiraten und eine Familie zu grnden. In den Stdten ist jedes zweite Geschft ein Brautmodenladen und im Sommer finden berall Hochzeiten statt, das ist total crazy. Ich kann mir vorstellen, dass es gerade in den lndlichen Gegenden Mdchen gibt, die sagen, dass sie mit einem Mann nichts anfangen knnen und nicht heiraten wollen und die bei ihren Eltern bleiben um als Burrnesha zu leben, aber weniger in der ganz traditionellen Hinsicht, um die Familie zu erhalten. Aber auch Albanien ffnet sich. Es gibt eine LGBT-Community in Albanien und auch in Prishtina.

Du hast den Film gemeinsam mit der Filmemacherin Birthe Templin realisiert. Wie habt ihr zueinander gefunden?

Birthe hatte eine Fotoausstellung ber Burrneshas gesehen und war total fasziniert. Eine gemeinsame Freundin hat uns dann miteinander verbunden, weil ich gerade an einem Drehbuch ber Burrneshas gearbeitet habe. Wir haben schnell gemerkt, dass wir begeistert sind. Wir sind dann auf eigene Kosten nach Albanien gereist. Unsere Kinder waren in der Zeit in der Kita, jetzt sind sie Teenager. (lacht) Das Projekt ist ganz organisch gewachsen. Aber uns war natrlich nicht bewusst, dass es so lange dauert. Wir haben anfangs so viele Absagen bekommen, bis wir einen Trailer finanzieren konnten. In der Zeit gab es auch immer mehr Bewusstsein dafr, dass es weibliche Perspektiven auf der Leinwand braucht, das hat uns als Frauenteam Rckenwind gegeben, denn mit Katrin Springer hatten wir auch eine Frau als Produzentin. Aber wir hatten immer auch eine gewisse Naivitt. Aber die braucht man manchmal auch, sonst macht man gewisse Dinge nicht. Und ich muss auch sagen, dass ich die Zeit brauchte, um der Mensch zu werden, der bentigt wird, um diesen Film zu machen.

Nach der langen Zeit ist das Thema aber fr dich noch nicht abgeschlossen.

Ich habe wieder angeknpft an meine ursprngliche Idee und berarbeite das Drehbuch ber eine Burrnesha, genannt Besa, die aufgrund einer Blutsfehde als Mann lebt. Im Film geht es um Vergebung und darum, sich von einschrnkenden Gedanken freizumachen. Ich habe eine Produktionsfirma gefunden und will das Drehbuch im Herbst beenden, nchstes Jahr mit den Castings anfangen und wahrscheinlich 2028 drehen.