Als die Lesben zu den Waffen greifen
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Als die Lesben zu den Waffen greifen

Die Revolution wird nicht kommen, sie ist schon lngst geschehen, als dieser Film beginnt. «Born in Flames» setzt zehn Jahre nach dem «social democratic war of liberation» ein, der friedlichsten Revolution der Welt, wie es ein Nachrichtensprecher anlsslich der Festlichkeiten zum Jubilum beschreibt. Im Central Park hlt ein Schwarzer Brgermeister (Bill Tatum) eine Rede, spter wird der weie sozialdemokratische Prsident (Walter Scheuer) die Einfhrung von Hausfrauengehltern verknden, die der unsichtbaren weiblichen Arbeit Rechnung trgt, die zu Hause verrichtet wird. Das Personal wurde in gewisser Weise ausgetauscht in diesen Vereinigten Staaten von Amerika, wo der soziale Wandel erst mal warten muss, bis die Wirtschaft stabil genug ist. Die Hoffnung scheint in rhetorischer Hinsicht abgeschafft, gekmpft wurde ja schon! Um Fortschritt soll es jetzt gehen, das ist klar, um Toleranz und Gleichheit unter den Geschlechtern, whrend das nachrevolutionre New York City der 1980er Jahre entgegen der Parteiparolen vllig gestrig wirkt: Catcalling auf der Strae, bergriffe in der U-Bahn, rassistische wie sexistische Diskriminierung am Arbeitsplatz. Fr wen es angesichts dessen berhaupt etwas zu feiern gibt, wer von welchen Vernderungen profitiert und wem blo die dystopische Wirklichkeit bleibt: Das ist der Ausgangspunkt von «Born in Flames».

Als Science-Fiction wird der Film von Lizzie Borden gerne bezeichnet, weil er eine Gesellschaft in einer nicht eindeutig benannten Zukunft zeigt. Nur so alternativ zur Reagan-ra, wie diese Realitt als Gedankenspiel auf den ersten Blick funktionieren mag, funktioniert sie eben nicht und das ist gleich der erste Witz bei Borden. Zu seiner Genre-Zuordnung verhlt sich «Born in Flames» mindestens ironisch-subversiv, mit heutigem Blick mischt sich der in ihm angelegte Afrofuturismus mit einer gehrigen Portion Afropessimismus ob dem Gefhl der Ausweglosigkeit und der Lnge, mit der bestimmte Auseinandersetzungen gefhrt werden. Nicht die Befreiung von Frauen, sondern die Befreiung von allen macht Borden zum Gegenstand ihres Films. Mit diesem Traum von einer intersektionalen Bewegung und von einer Revolution, die statt einer einmaligen Aktion ein Umdenken meint, das auch die Knste und die Medien miteinschliet: Darin entwickelt Borden eine Utopie, die mehr als 40 Jahre nach der Verffentlichung des Films immer noch kraftvoll daherkommt.

Queerfeministische Schutztrupps

Im Befreiungskrieg soll eine Frauenarmee mit von der Partie gewesen sein. Gegrndet hat sie Adelaide Norris (Jean Satterfield), die eine Abendschule besucht und tagsber auf der Baustelle arbeitet. Mit Basketbllen und Knutschen vertreibt sich die 24-jhrige Dyke die Zeit, ihre Vorlieben haben die Herren vom FBI schon ausfindig gemacht. Unter deren Beobachtung steht Adelaide genauso wie die anderen Mitglieder der vorrangig lesbischen, Schwarzen Gruppe. Ausgestattet mit Fahrrdern und Trillerpfeifen verhindern sie Vergewaltigungen auf offener Strae, pbeln in der Metro zurck, organisieren Kinderbetreuung. Jene Schutztrupps werden medial als Selbstjustiz verurteilt. Zu wenig Analyse der Zusammenhnge wrde die «women’s army» betreiben, schreiben derweil die drei weien Feministinnen mit den Brillen und Ponyfrisuren in ihrer Zeitung (Becky Johnston, Pat Murphy, Kathryn Bigelow). Sie distanzieren sich von der Vereinigung und werfen ihr im selben Zuge vor, nicht aggressiv genug zu sein, um als terroristisch zu gelten. Ohnehin sei doch seit der Revolution schon Vieles besser geworden, seufz.

Aus 1.000 Frauen besteht die Armee, die Anfhrerinnen der einzelnen Zellen wechseln sich regelmig ab, sodass die Polizei nicht mehr nachvollziehen kann, wer aktuell an der Spitze steht. Nachdem Adelaide von einer Reise in die Westsahara zurckkehrt, auf der sie eine feministische Bewegung bei der Waffenbeschaffung untersttzt hat, wird sie festgenommen und stirbt hinter Gittern. Was als Suizid verkndet wird, ist fr Zella (Flo Kennedy), Hillary (Hillary Hurst) und weitere Weggefhrtinnen ein klarer Fall von Mord. Sie suchen nach Hinweisen und fordern Aufklrung, diskutieren untereinander, wie sich die Gefahr umgehen lsst, dass der Tod instrumentalisiert wird. Unterdessen erfolgen mehr und mehr Aktionen im ffentlichen Raum, aus Feind*­innen werden Kamerad*­innen. Whrend einer Rede des Prsidenten wird das World Trade Center gestrmt und dessen Antenne gesprengt, um die Regierung am Weitersenden zu hindern.

Lesbisches Kino, das vor Pathos keine Angst hat

Die Attentterin ist keine Unbekannte. Sheila McLaughlin («She Must Be Seeing Things», 1987) sprengt in Bordens Film den Weg frei fr ein lesbisches Kino, das vor Pathos keine Angst hat. Seine Premiere feierte «Born in Flames» im Forum bei den Internationalen Filmfestspielen 1983 in Berlin. Jahrzehnte spter erlebte der Film durch eine von den Anthology Film Archives restaurierte 35mm-Version mit weltweiten Vorfhrungen eine Neuentdeckung. Entstanden war der Film einst in einem Zeitraum von fnf Jahren mit einem geringen Budget, ein detailliertes Drehbuch von Borden und Ed Bowes gab es nicht. Stattdessen lud Borden Freund*­innen aus dem Aktivismus, der Kunst und den Medien zum Spiel vor der Kamera ein. Dialoge wurden improvisiert, die Dramaturgie entstand vordergrndig am Schnitttisch, von wo aus auch dokumentarisches Material von Demonstrationen, Polizeigewalt und aus Nachrichtensendungen eingeflochten wurde. Dass sich die prekren Entstehungsbedingungen in den Film eingeschrieben haben, ist gerade deshalb interessant, weil «Born in Flames» auch von den Zugngen zu Medien und der ungerechten Verteilung von Produktionsmitteln handelt.

Zeitungen, Bcher, Videos, Filme, das Plakat an der Wand, die Flyer in der Hand: Der Anschlag auf das Massenmedium Fernsehen am Ende kommt bei Borden nicht von ungefhr, denn Medien stehen in diesem Film stets in Konkurrenz zueinander und unter dem Verdacht der Einflussnahme auf diejenigen Zielgruppen, die sie jeweils auf unterschiedlichem Wege affektiv erreichen. Zwischen Agitation und Aufklrung, Verfhrung und Information, senden die politischen Stimmen bei Borden gegeneinander. Das passiert im Laufe des Filmes erst recht buchstblich, als Isabel von Radio Ragazza (Adele Bertei) und Honey von Phoenix Radio (Honey) sich einschalten. Beide Underground-Radiostationen wollen aus dem gesellschaftlichen Betubungsschlaf aufwecken, das Bewusstsein wachrtteln mittels Lied und Lyrik, Recht behalten beim Blick auf die Geschehnisse die so kommentiert werden, dass sich verschiebt, wie sie sich wahrnehmen lassen.

Die Revolution wird kommen

In «Born in Flames», mit seinem eigens fr den Film geschriebenen Titelsong von Red Krayola, ist Sound jedoch per se nichts, was Menschen notgedrungen miteinander verbindet. Obgleich es Szenen gibt, in denen gemeinsam gesungen oder gejammt wird, und regelmige Einspielungen von Tracks von Billie Holiday und Jimmy Hendrix den Film mobil machen, bleiben die Hr-Rume auffllig oft getrennt. Diese akustischen Abgrenzungen sind im Falle der zwei unabhngigen Radiostationen rassifiziert, wobei zu bemerken ist, dass die weie Isabel deutlich aggressiver auftritt als Honey. Wer bei Borden in welchem Rahmen wtend sein darf, wie sie auf unterschiedlichen Ebenen weibliche Wut inszeniert und wen sie aus dieser Weiblichkeit ausschliet, das bruchte wiederum einen separaten Text.

Dass Borden im Anschluss an eine Godard-Retrospektive entschied, Regisseurin zu werden, ist eine oft zitierte Anekdote. In «Born in Flames» wird mehr als sprbar, wie beeindruckt die Frau, die damals noch als Kunstkritikerin arbeitete, von «La Chinoise» (1967) and «Tout Va Bien» (1972) gewesen sein muss. hnlich wie der franzsische Filmemacher, der 2022 starb, prsentiert Borden in ihrem zweiten Film Ideen, mit denen es sich auseinandersetzen lsst. Die Deutlichkeit, mit der sie das macht, trgt aus heutiger Perspektive dazu bei, das «Born in Flames» an manchen Stellen wirkt wie die Karikatur eines bestimmten Stils von politischem Meta-Kino. Dennoch zeigt sich queeres Leben bei Borden in der Gleichzeitigkeit von Unterdrckungen als widerstndiges, lustvolles Leben, das nicht mde wird, fr eine Welt abseits der Depression durch die Oppression einzustehen und zu kmpfen. Und wer dabei nicht hilft, der soll geflligst Platz machen. Das kann es nicht gewesen sein. Die Revolution wird kommen. Wir mssten nur beginnen, uns zu organisieren.

Die Artikelserie «Queer Cinema Classics» wird gefrdert durch die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Sie erscheint parallel bei sissy und queer.de.

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