
Die Lgen und Geheimnisse hinter der perfekten Fassade einer Vorstadt-Ehe
Wir leben nicht selten in Lcken, die uns andere hinterlassen haben, in unerfllten Trumen unserer Vorgnger*innen, in unrealisierten oder unrealisierbaren Mglichkeiten der Vergangenheit. Die Suche nach einem Glck, das schon andere gesucht hatten, und das erneut aufscheint, um sich erneut (nur anders) zu entziehen: Darin besteht die sehnsuchtsvolle Dynamik von Todd Haynes «Dem Himmel so fern», diesem Melodram aus dem Jahr 2002, das einen Teil seiner Sehnsucht daher bezieht, dass es ein postmodernes Pastiche, eine Imitation, eine Neuauflage eines alten sehnsuchtsvollen Melodrams ist: «Was der Himmel erlaubt» von Douglas Sirk aus dem Jahr 1955.
Diese «Lcke», die Sirk hinterlassen hat und die Haynes zu Beginn unseres Jahrtausends erneut erkundet, ist eine doppelte. Zum einen handelt es sich um eine unerfllt gebliebene Liebe in einer amerikanischen Kleinstadt der Fnfzigerjahre. In Sirks Film ging es um die krzlich verwitwete Cary Scott (Jane Wyman). Sie lebt allein in ihrem groen Haus, die Kinder gehen aufs College. Sie kriegt Avancen von reifen Mnnern aus dem Freundes- und Bekanntenkreis. Nur verliebt sie sich in ihren sehr viel jngeren Grtner, gespielt von Rock Hudson. Die beiden kommen sich nher und verursachen einen Skandal. Freund*innen wenden sich ab, sogar die eigenen Kinder. Fr einige Zeit scheint es, als mssten die Liebenden auf ihre Liebe verzichten. Bis es am Ende doch anders ausgeht. Die Genialitt des kitschigen wie beiend-ironischen Schlusses, in dem ein Reh eine Rolle spielt, besteht darin zu zeigen, dass es so, wie es am Schluss kommt, vielleicht doch nicht kommt oder eben «nur im Mrchen».
Cathy erwischt ihren Ehemann mit einem Liebhaber
Die Geschichte dieser unerfllten Sehnsucht wird von Haynes aufgenommen und variiert. Auch hier steht eine Frau im Zentrum, Cathy Whitacker (Julianne Moore). Sie lebt mit ihrem Mann Frank (Dennis Quaid) und ihren Kindern in einer idyllischen Kleinstadt namens Hartford. Die Autos sind riesig, die Rcke lang, die Farben prchtig. Doch die Ehe der Whitackers ist unglcklich, beide sind einsam und sehnen sich nach mehr. Cathy verliebt sich in ihren Schwarzen Grtner Raymond (Dennis Haysbert) ein Affront. Frank wiederum fhlt sich zu Mnnern hingezogen. Eines Nachts erwischt Cathy ihren Mann im Bro mit einem Liebhaber. Um die Ehe zu retten, begibt sich Frank in psychiatrische Behandlung: Homosexualitt gilt in dieser Gesellschaft als Krankheit, die geheilt werden muss. Cathy und Frank versuchen es erneut. Doch dann lernt er einen neuen Mann kennen. Am Ende scheitert die Ehe. Doch jene, mit denen Frank und Cathy eigentlich zusammen sein wollen, sind Menschen, mit denen sie nicht sein drfen.
Bei Sirk spielte Hudson, der selbst homosexuell war, einen gesellschaftlichen Auenseiter, der sich um die brgerlichen Gepflogenheiten der Kleinstadtgesellschaft nicht scherte und, wie Henry David Thoreau, im Wald hauste. Aber Hudson war wei und seine Filmfigur natrlich hetero. Wenn nun also die erste Lcke, die Sirk lie, jene der unerfllten Sehnsucht war, dann ist die zweite eine soziale: die Unterreprsentation von queeren und Schwarzen Personen in Hollywoodfilmen der Fnfzigerjahre. Bereits «Was der Himmel erlaubt» handelte von Anpassungsdruck, Bigotterie und Klatschsucht; in «Solange es Menschen gibt» (1959) kommt auch Rassismus dazu. Wie in diesem spteren Sirk-Film gibt es auch bei Haynes eine Schwarze Haushlterin, hier gespielt von Viola Davis.
Die soziale Lcke wird gefllt
Doch in Sirks Zeit wre es undenkbar gewesen, die Liebesbeziehung zwischen einer weien Frau und einem Schwarzen Mann darzustellen, oder auch Homosexualitt direkt zu reprsentieren. Es gibt bei Sirk eine wunderbare Szene mit Wyman und Hudson im Auto, in dem er zu ihr sagt, sie msse endlich «ein Mann» werden, um ihr eigenes Leben zu leben und ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Ob er wirklich wolle, dass sie ein Mann sei, scherzt Cary (Wyman). Und Hudson entgegnet mit einem vieldeutigen Lcheln: Natrlich nur in diesem einen Sinne.
Was dank Hudsons Subtilitt und Sirks Ironie filigran «zwischen den Zeilen» stand oder dort hineingelesen werden konnte, wird von Haynes zu einem spteren Zeitpunkt explizit gemacht: Die soziale Lcke wird gefllt. Aber dabei bleibt eine andere, melodramatische. Ein halbes Jahrhundert spter mag Haynes zwar die Welt der Fnfzigerjahre um Homosexualitt und Beziehungen zwischen Menschen verschiedener Hautfarben ergnzen knnen. Doch das Glck der Figuren bleibt deswegen noch lange nicht realisierbar. Die Lcke wird nicht wirklich geschlossen, die Vergangenheit nicht wirklich erlst. Was bleibt, sind die Sehnsucht und einmal mehr ein Mangel.
Kleinstadtidylle aus Rot-, Gelb- und Kastanientnen
Mit diesem Mangel restauriert Haynes die gesamte Bilderwelt von Douglas Sirk, seine Stoffe, Lichter und Farben. Vor allem das Herbstlaub aus Sirks prchtigem Technicolor-Film, in dem sich die Jahreszeiten abwechseln, lsst auch Haynes durch seinen Film wehen eine Bilderbuchwelt, eine Kleinstadtidylle aus Rot-, Gelb- und Kastanientnen. Gerade diese wunderschnen und doch schon sterbenden Bltter sind das Zeichen einer Restauration dessen, was beinahe verwelkt ist: Whrend sich bei Sirk die Jahreszeiten ndern, halten sich die Bltter bei Haynes ganz lang. Und mit ihnen erhlt sich der ganze Kosmos der Fnfzigerjahre.
Hier spielt sich alles im Verborgenen ab, auch fr die Zuschauer*innen des Films. Zentrale Ereignisse wie Franks Begegnungen mit anderen Mnnern werden nur kurz angerissen, angedeutet und ausgespart. Dasselbe gilt fr die Begegnungen zwischen Cathy und Raymond, in denen nichts passiert, was ber eine kurze Berhrung oder eine Hand auf der Schulter hinausginge. ber Sex («und, wie oft msst ihr mit euren Mnnern ins Bett steigen?») reden Cathy und ihre Freundinnen hchstens beim Daiquiri-Krnzchen. Und wenn Cathy ihren Mann im Bro erwischt (er muss mal wieder «lnger arbeiten»), geht alles sehr rasch eine schnelle, schiefe Einstellung gengt, um zu zeigen, dass die Dinge ins Rutschen geraten. Dann sind die Eheleute auch schon zu Hause, in ihrem Wohnzimmer, mit viel Distanz zwischen sich. Und ohne wirklich zu thematisieren, was gerade passiert ist.
Eine berzeichnete Vorzeigewelt
Auch in dieser Hinsicht belsst Haynes eine Lcke, erhlt die Diskretion des alten Melodrams das bezglich seiner expressiven, erotisierenden sthetik im brigen sehr viel weniger brav ist als der Film von Haynes. Es gibt in diesem Film das enorme Bedrfnis, nichts zu stren, als wolle er nichts sein als eine Spiegelung und Wiederholung von Sirk. Doch genau durch diese Wiederholung ndert sich alles. Reflexionen im Spiegel gibt es schon bei Sirk: diese wertvollen Momente, in denen eine Familie im Spiegel erscheint, als sei sie in diesem Bild zum letzten Mal vereint denn das Spiegelbild ist nie die Realitt, sondern nur ihre Illusion, ihr Verlust. Oder die Momente, in denen sich jemand in seiner Einsamkeit erkennt, wie Cary Scott in der Scheibe ihres Fernsehapparates, den sie zu Weihnachten bekommt eine umwerfende Szene. Die Erscheinung eines Bildes im Spiegel ist bei Sirk stets ein Moment, der die Figuren erkennen lsst, was vergangen oder nie gewesen ist, verschwunden oder nie prsent war.
Diesen melancholischen Moment restauriert Haynes und bewahrt ihn, indem er daraus das zentrale Bild seines Filmes macht. Und wenn es bei ihm kaum Spiegel gibt, dann weil sein Film selbst einer ist. Die Figuren leben nicht mehr im Inneren des Lichtes und der Farben, also in romantischen und immer schon gebrochenen Vorstellungen. Sie leben im «Auen» dieses alten und nunmehr gespiegelten Sirk’schen Melodrams, das zu einer mediatisierten Welt geworden ist glatt, intakt und unbewohnbar. Diese Welt ist eine berzeichnete Vorzeigewelt, eine knstliche Werbewelt, reine Fassade: Frank ist Werbefachmann, er und seine Frau sind sogar Figuren einer von ihm entworfenen Kampagne («Mr. & Mrs Magnatech»), whrend Cathy der Star eines Hausfrauenmagazins ist, fr das sie von einer aufdringlichen Journalistin stndig fotografiert wird.
Auf Frank wartet ein Leben und Lieben im Verborgenen
Fr Frank und Cathy gibt es zwei Mglichkeiten, sich zu diesem unbewohnbaren Habitat zu verhalten: bleiben oder gehen. Begleitet von der Frage, ob es in den Fnfzigerjahren wohl eher mglich war, als Mann die eigene Homosexualitt auszuleben oder als weie Frau einen Schwarzen Liebhaber zu haben. Was Frank betrifft, so wird er die schreckliche «Konversionstherapie» abbrechen und Hartford verlassen, in den Armen eines jungen Mannes. Letztlich steht er zu sich, aber dem Aufbruch haftet etwas Ambivalentes an. Was auf ihn wartet, ist ein Leben und Lieben im Verborgenen, ohne Haus, Job und Familie, in schummrigen Hotelzimmern und Pensionen. Glck oder Unglck wird er anderswo finden. Aber wo? Man denkt an William Lee, diese andere schwule US-amerikanische Figur der Fnfzigerjahre, den es in Luca Guadagninos Burroughs-Verfilmung «Queer» (2024) nach Mexiko verschlgt.
Im Gegensatz zu Frank wird Cathy nirgendwohin aufbrechen, whrend ihre Liebe wahrhaft unmglich scheint. Und doch gibt es auch hier einen Schritt nach auen, den nicht sie selbst, sondern Raymond macht. Bei einer Ausstellung moderner Kunst betrachtet und kommentiert er gemeinsam mit Cathy und unter den pikierten Blicken der weien Kleinstadtgesellschaft ein Gemlde von Mir: Moderne Kunst, sagt er sinngem, berfhre den sakralen Charakter der alten Malerei in Formen und Farben. Spricht er da nicht auch ber das Verhltnis von Haynes Film zu jenem von Sirk? Aber war nicht schon Sirks Film ein modernes Kunstwerk, dessen Emotion weniger seiner etwas kitschigen Handlung und den «sakralen» gesellschaftlichen Riten als seiner Form und Farbe entsprang?
Raymond ist derjenige, der auerhalb steht der weien Gesellschaft und am Ende auch der Schwarzen Community. Angesichts der Vorurteile bleibt er ruhig, sieht zu und kommentiert, sieht Mir richtig und spricht seinen Namen korrekt aus, im Gegensatz zu Cathy. Er bietet einer verzweifelten Cathy seine Hilfe an, er versteht, was mit ihnen passiert, und kann gleichzeitig nicht verstehen, warum ihnen das alles passieren muss. Er ist eine Figur von heute, eine moderne Figur, der wir glauben. Wie er selbst sagt: «Manchmal vertrauen wir den Menschen auerhalb unserer Welt am meisten.»
Die Artikelserie «Queer Cinema Classics» wird gefrdert durch die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Sie erscheint parallel bei sissy und queer.de.
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