Ein schwules Bilderbuch-Paar und der Schmerz, als ihm sein Kind genommen wird
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Ein schwules Bilderbuch-Paar und der Schmerz, als ihm sein Kind genommen wird

Mit der pinken Federboa muss es allen klargewesen sein. Die trgt Thomas als Kind um den Hals, whrend er «Shadows Of The Night» von Pat Benatar voller Inbrunst mittrllert: Der Junge ist schwul, aber das ist nicht so schlimm. Mit neun Jahren bekommt er von seinen Eltern eine Kamera geschenkt. Sie wird sein stndiger Begleiter, er fotografiert alles, was er vor die Linse bekommt.

Aus diesen Fotos besteht die Collage, mit der «The Mattachine Family» beginnt. So entsteht eine Kurzbiografie im dokumentarischen Stil. In vielen Fotos stellt sich die Hauptfigur Thomas als Ich-Erzhler vor: Mit dem Fotografieren verdient er heute Geld, und mit Oscar war er nicht einmal ein Jahr verheiratet, als das Paar den jungen Arthur als Pflegekind aufnahm. Dann der Schock: Der Junge soll zurck zur leiblichen Mutter.

Oscar denkt jetzt eher an seine Karriere als an Kinder

Solche Foto-Collagen nutzt die Tragikomdie immer wieder ein geschicktes Mittel, um Handlungen zu raffen und Thomas› Gedanken zu hren. Nach diesem Prolog beginnt die eigentliche Handlung: Nachdem das schwule Bilderbuch-Paar den Sohn verloren hat, ist es nicht nur tieftraurig. Thomas und Oscar sind sich auch uneins, ob sie sich noch einmal um ein Pflegekind bemhen sollen.

Oscar bringt gerade seine durch Hhen und Tiefen geprgte Schauspiel-Karriere wieder in Gang, muss dafr vielleicht sogar aus Los Angeles wegziehen. Er denkt also weniger an Kinder. Thomas jedoch lernt auf einer Party einen anderen schwulen Mann kennen, der dank Leih­mutter­schaft Vater wurde. Und seine beste Freundin Leah und deren Partnerin Sonia wnschen sich ja auch eigentlich ein Kind. Vielleicht sollten sie sich zusammentun?

Zwei makellos attraktive Hauptdarstellende

«The Mattachine Family» basiert auf der Geschichte von Regisseur Andy Vallentine und dessen Partner und Drehbuchautor Danny Vallentine. Ihre Tragikomdie kommt in einem typischen Netflix-Look daher: Viele Gegenlicht-Aufnahmen, der Farbton neigt ins brunliche Sepia, alles wirkt von der Sonne geksst, typisch kalifornisch.

Mit Nico Tortorella als Fotograf Thomas und dem argentinischen Schauspieler Juan Pablo Di Pace als Oscar hat der Film zwei makellos attraktive Hauptdarstellende. Beide gehren selbst zur queeren Community. Und obwohl wenn sie zum Overacting neigen, harmonieren sie. Auch die Nebenfiguren sind queer, divers und vor allem erkennbar authentisch und klischeefrei gestaltet, wenn auch nicht ins letzte Detail ausgearbeitet.

Was ist provokant?

Umso erstaunlicher ist, dass sich der Inhalt auf den ersten Blick heteronormativ anfhlt: Thomas merkt immer mehr, dass er unbedingt ein Kind mchte obwohl (oder weil?) es ihm noch so wehtut, Arthur verloren zu haben. Er will ein angepasstes Leben fhren.

Doch ganz so simpel ist es eben doch nicht. Es gibt da eine aufschlussreiche Szene, in der das Paar eine Ausstellung mit schwulen Schwarz-Wei-Fotografien besucht. Oscar kann damit nicht viel anfangen. Ein bisschen zu sehr im Habitus eines Lehrers erklrt Thomas ihm, dass Homosexualitt «im Kern provokant» ist. Doch genau das will Oscar eben nicht sein. Dabei liegt es nicht an ihm, sondern an der Mehrheitsgesellschaft, was die provoziert Schwule in Lederoutfits oder schwule Vter? Vielleicht hngen ja irgendwann Thomas› Foto seiner Kurzzeit-Regenbogen­familie in einem Museum.

Spter sagt Thomas dann die entscheidenden Stze zu Oscar: Heute knne er schwul und verheiratet und ein Vater sein all das sei berhaupt nicht mglich gewesen, als er sein Coming-out hatte. Die Mglichkeiten sind so viel grer, und jetzt, wo er sie kennt, will er sie nutzen.

Eine neue Perspektive queerer Wnsche

Es geht in «The Mattachine Family» also nicht zuletzt um all das, was queere Menschen sein knnen, was ihnen aber zu lange verwehrt geblieben ist oder noch immer verboten wird. Dabei wird auch deutlich, wie wichtig die queere Wahlfamilie ist, die sich dabei untersttzt.

Vor allem aber ist der Film dabei oft berraschend lustig. Es gibt ein paar herrlich unerwartete und witzige Dialoge und Wendungen. Der Film rutscht manchmal ins Kitschige, ist hier und da formelhaft und wirkt ein wenig wie ein Kondensat hnlicher Filme. Aber sonst trifft «The Mattachine Family» genau den richtigen Ton zwischen Ernst und Spa: Eine sommerliche Tragikomdie, die eine unverbrauchte Perspektive auf queere Wnsche erffnet.