
Eine College-Serie mit schwuler Hauptfigur
Wer regelmig amerikanische Filme oder Serien schaut, ist wohlvertraut mit dem College-Genre: die groe Verunsicherung beim Start des ersten Semesters, die bizarren Rituale der einflussreichen Studierendenverbindungen, die ausschweifenden Partys, die beliebten Stars (sensationell gutaussehend und sportlich) und die verspotteten Auenseiter (Nerds, Queers, Dicke etc.), die erste Liebe und natrlich die verzweifelten Versuche, endlich Sex zu haben und alles, was dabei so schiefgehen kann.
In den letzten zehn Jahren oder so wurden diese einst rein heterosexuellen Geschichten immer hufiger mit queeren Charakteren und Handlungsstrngen angereichert. Meist als Nebengeschichten, etwa ber den schwulen besten Freund der Hauptfigur. Doch inzwischen kommt es schon mal vor, dass die Hauptfigur selbst schwul ist wie bei «berkompensation» (englischger Originaltitel: «Overcompensating»), einer neuen achteiligen Serie auf Amazon Prime.
Dazugehren bei den coolen Bros und Jocks
Benny (Benito Skinner, der die Story auch entwickelt hat) konnte sich schon als Kind nicht sattsehen, wenn «George of the Jungle» (1997) leicht bekleidet durch den Dschungel schwang. Doch hat er es bis heute verpasst, seiner Familie oder seinen Freund*innen mitzuteilen, dass er auf Mnner steht. Wohl auch, weil das als groer Sportstar zustzlich schwierig ist und er vom Typ her problemlos als Hetero durchgeht. Nun jedoch, zum Studienstart, ist er immer noch nicht out und will natrlich bei all den coolen Bros und Jocks an der Uni den bestmglichen Eindruck machen, um nur ja dazuzugehren.
Der Titel der Serie spielt dabei auf die wilden Verrenkungen und absurden Aktionen an, die Benny so veranstaltet, um sein Schwulsein zu verbergen und sich als erfolgreicher, viriler Hetero-Macker zu inszenieren. Zum Beispiel mit Carmen (Wally Baram), die ebenfalls gerade ihr Studium startet und sich ihrerseits im Kreise der kompetitiven College-Girls zu behaupten versucht. Die beiden mgen sich auf Anhieb, aber sehen sich unter dem Erwartungsdruck ihres Umfelds gezwungen, es wenigstens zu versuchen, miteinander Sex zu haben. Da beide darin keinerlei Erfahrung haben und Benny natrlich sexuell null interessiert ist, geht das zwar grndlich schief, wirkt von auen jedoch so, als habe es geklappt, was beiden erst mal etwas Luft verschafft.
Absehbare Story mit unterhaltsamen Umwegen
Dabei wre da eigentlich schon ein Typ, der Benny interessieren wrde: Miles (Rish Shah) studiert Film und versucht scheinbar auch, Benny nher kennenzulernen. Doch der ahnt schon, wohin das fhren knnte. Und obwohl er das ja eigentlich auch will, wrde es sich bei seinen Bros natrlich ganz schlecht machen, weshalb er Miles ausweicht und abblockt, wo er nur kann. Dabei ist nicht mal ganz klar, ob der berhaupt schwul ist oder einfach nur Anschluss sucht.
Ansonsten passiert in «Overcompensating» all das, was in diesen College-Geschichten immer passiert, allerdings sieht man dabei deutlich mehr nackte Haut als blich, insbesondere mnnliche. Die Story wirkt jedoch ziemlich absehbar, und man zweifelt nie ernstlich, dass Benny trotz der zahlreichen, durchaus unterhaltsamen Umwege auf eine erfolgreiche Selbstfindung und Selbstbehauptung zusteuert. Auch wenn sie so richtig vielleicht erst in der zweiten Staffel stattfindet, denn die erste endet mit einem massiven Cliffhanger.
Chaos und Schnheit des Coming-out
Der Komiker und Schauspieler Benito Skinner, der im kurzlebigen 2022er-Reboot von «Queer as Folk» eine Nebenrolle spielte, erklrte in Interviews, dass die Story von seinen eigenen Erfahrungen mit dem Coming-out im College inspiriert sei. «Ich war lange Zeit ziemlich durcheinander und wusste nicht mehr, wer ich war. Und gleichzeitig liegt im Chaos des Coming-out doch auch eine gewisse Schnheit etwa, wenn man nach und nach die Menschen findet, bei denen man sich sicher genug fhlt, sich zu ffnen.» Zudem gelang es Skinner, erstaunlich viele Stars fr Cameos zu gewinnen: von Kyle MacLachlan und Connie Britton ber Megan Fox und James Van Der Beek bis hin zu Bowen Yang, die sich bei ihren Kurzauftritten allesamt offensichtlich groartig amsiert haben.
Doch warum eigentlich macht es immer wieder Spa, diese College-Geschichten zu schauen, auch wenn man sie so oder hnlich schon x-mal gesehen hat? Worin liegt der Reiz, jungen, meist attraktiven Menschen bei ihrer chaotischen Selbstfindung unter verschrften Bedingungen zuzusehen? Vielleicht ist es die Erleichterung, dies schon hinter sich zu haben. Die Dankbarkeit, dass einem wenigstens die US-College-Experience erspart geblieben ist. Die nostalgische Erinnerung an die Freiheit, das Chaos und die scheinbar unbegrenzten Zukunftsmglichkeiten whrend der eigenen Jugend. «Overcompensating» bietet dies alles, und womglich reicht das ja schon.
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