Kink ist Pride  und Kinder sollen das sehen!
9 mins read

Kink ist Pride und Kinder sollen das sehen!

Als ich vor rund zehn Jahren nach Berlin zog, besuchte ich dort das schwul-lesbische Stadtfest. Das Event, das jedes Jahr im Juli am Wochenende vor dem Berliner CSD stattfindet, ist ein fester Bestandteil der Events im Pride-Monat der deutschen Hauptstadt. Ich war gerade frisch aus dem lndlichen Luxemburg in die groe Weltmetropole gezogen. Ich betrachtete gerade die Auslage an einem Informationsstand, als etwas links von mir meine Aufmerksamkeit erregte.

Eine Mutter unterhielt sich mit einem Mann, der von oben bis unten in Leder gekleidet war. Neben der Frau stand ihr Kind, ich schtze so um die fnf Jahre alt. Und neben dem Mann sa ein Hund, den er an der Leine hielt, und bellte das Kind an.

Allerdings war der Hund kein echter Hund. Es war ein Mensch, ein Puppy-Player, der mit Hundemaske auf allen vieren vor dem Kind sa und es anbellte. Das Kind kriegte sich vor Lachen nicht mehr ein, whrend die Mutter sich locker weiter mit dem Mann in Leder unterhielt, so als sei es das Normalste der Welt. Der Hundemensch bellte, das Kind hatte einen herzerwrmenden Lachanfall, und Mutter und Handler unterhielten sich freundlich, whrend um sie herum das Trubeln und Treiben des Straenfestes weiterging.

Gesteigerte Sichtbarkeit und viele Vorurteile

Es war das erste Mal, dass ich mit Puppy-Play konfrontiert wurde. Das Erlebnis legte den Grundstein fr mein Interesse an diesem Fetisch, das spter in meinem soziologischen Essay ber die Entstehung von Pet- und Puppy-Play mnden sollte. ber die kommenden Jahre hinweg gewann der Fetisch rasant an Sichtbarkeit auch bei Prides in vielen europischen Stdten. Begleitet wurde diese gesteigerte Sichtbarkeit mit einer teils queer- und sexualfeindlichen, sowie stark mit falschen Vorurteilen behafteten Diskussion ber die Frage, ob Fetisch etwas auf dem Pride verloren htte.

Dabei wird (wen wundert es?) immer wieder das Kindeswohl ins Feld gefhrt vorzugsweise von Menschen, die wenig mit Pdagogik oder kindlicher Entwicklung am Hut haben. Und fast immer verraten diese Kommentare mehr ber die Fantasie der Menschen, die sie uern, als ber das, was Fetisch und Kink tatschlich sind.

Nehmen wir das Beispiel des Puppy-Players: Ein Kind sieht, wenn es einen Menschen mit Hundemaske erblickt, keinen Sex. Sondern eben genau das: einen Menschen, der eine Hundemaske trgt, der sich verkleidet. Und es hat daran Spa eben genauso wie das lachende Kind beim Berliner Straenfest. brigens, hnlich wie Kinder auch Spa an Menschen mit Hunde- oder anderen Masken beim Karneval haben. Nur dass es da keinen zu stren scheint. «Aber das ist doch was ganz anderes», hre ich bereits die Einwnde. «Das hat ja nichts mit Sex zu tun!» Und damit wren wir bereits bei den Vorurteilen.

Kinksters beim Pride fhren keine sexuellen Handlungen aus

Pet- und Puppy-Play, also Menschen, die sich als nicht-menschliche Tiere verkleiden, sind nicht per se sexuell. Ja, es stimmt, dass Pet- und Puppy-Play in BDSM-Kontexten entstanden sind. Allerdings haben sie seither ein teils losgelstes Eigenleben gewonnen. Es gibt mittlerweile viele Menschen, die Pet-Play komplett losgelst von Sexualitt praktizieren. Eine Studie von Darren Langdridge und Jamie Lawson von 2019 hat ergeben, dass es sehr unterschiedliche Motive fr Pet Play, die auch komplett losgelst von Sexualitt auftreten knnen, gibt. Dazu gehren zum Beispiel Entspannung, Flucht aus dem Alltag, therapeutische Vorteile, Spiel und Geselligkeit, Beziehungsaufbau oder Strkung eines Gefhls von Community. Und fr manche ist es auch mit ihrer Sexualitt verbunden. Und auch das heit nicht, dass sie es nicht ffentlich tragen drfen. Sexuelle Handlungen sind in der ffentlichkeit verboten. Aber Kinksters beim Pride fhren keine sexuellen Handlungen aus und wir drfen ihre Selbstdarstellung nicht mit sexueller Obsznitt verwechseln.

Gleichzeitig kann ich als Sexualpdagoge sagen, dass es mit Sicherheit nicht ausgeschlossen ist, dass es Menschen gibt, fr die ihre Karnevalsverkleidung auch eine sexuelle Komponente hat. Was wir also als sexuell wahrnehmen, hat weniger mit den tatschlichen Menschen in Verkleidungen zu tun, sondern viel mehr mit unseren eigenen Fantasien und Vorurteilen ber diese Menschen.

Kink ist politisch

Egal ob Kleidung und Masken mit Wurzeln in der Fetisch-Community fr den Einzelnen nun auch eine sexuelle Komponente haben oder nicht. Sie sind immer politisch. Und gehren deswegen zum Pride dazu. Pride bedeutet, dass man die von auen auferlegte Scham bekmpft, sich selbst so akzeptiert, wie man ist, und diese Akzeptanz auch von der Gesellschaft verlangt. Pride ist deswegen politisch. Sexualitt ist politisch. Queeres Leben ist politisch. Und Kink ist ebenfalls politisch.

Menschen aus der Fetisch-Community haben seit Beginn der CSDs in den frhen 1970er Jahren stets fr die Rechte von LGBTI mitgekmpft. Whrend Drag im Jahr 2024 nicht mehr als Kink gilt (und trotzdem immer noch bekmpft wird), wurde es Mitte des 20. Jahrhunderts als sexuell abartig angesehen. Im Jahr 1969, als in New York die Aufstnde gegen queerfeindliche Polizeigewalt rund um die Stonewall-Bar losgingen, die den Grundstein fr die CSDs legten, gab es dort noch Gesetze, die «Cross-Dressing» verboten. Viele der fhrenden Kpfe der queeren Befreiungsbewegung, darunter die trans Sexarbeiterinnen Marsha P. Johnson und Sylvia Rivera, hatten Crossdressing-Vorwrfe in ihren Akten und galten nach der damaligen Definition als «kinky».

Die Leder-Community hat ebenfalls tiefe historische Wurzeln in der queeren Bewegung, die bis in die 1940er Jahre zurckreichen. Lederbars wurden in den 1950er und 1960er Jahren zu Safer-Spaces fr queere Menschen und schufen eine Ersatzfamilie fr queere Jugendliche, die von ihren Eltern verstoen wurden. Und als es dann 1969 zu eben jenen Stonewall-Aufstnden kam, war die Leder-Community mit dabei. Zu denjenigen, die bei den Stonewall-Aufstnden Hand in Hand gegen die Polizeigewalt kmpften und zu denen, die spter weltweit und auch hier in Europa gegen die HIV/Aids-Epidemie kmpften und dies auch heute noch tun gehrten viele Leder-Daddys, Menschen, die BDSM betreiben, sowie Dragqueens und -kings.

Ausgrenzung fhrt nicht zu wahrer Akzeptanz

Sie waren stets Teil der Bewegung. Der Versuch auch von Menschen innerhalb queerer Communitys, sie jetzt vom Pride auszuschlieen zeigt vor allem eins: Streit darber, wer sich als queer bezeichnen darf und wie queer wir auftreten drfen. Es ist Teil dessen, was im Englischen als «Respectability Politics» bezeichnet wird, eine Herangehensweise, die versucht, sich so nah wie mglich an die Cis-Heteronorm anzupassen, um doch ja bitte von der cis Heterowelt akzeptiert zu werden. Doch das fhrt nicht zu wahrer Akzeptanz. Es fhrt lediglich zu bedingter Akzeptanz, die jederzeit wieder weggenommen werden kann, wenn wir es wagen, «zu auffllig» aufzutreten. «Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber knnen die sich bei ihren Paraden nicht normal verhalten?» «Ich hab ja nichts gegen queere Menschen, aber mssen die sich immer so auffllig benehmen?»

Ich hab nichts gegen queere Menschen, aber Es ist das Nachgeben in und Fortsetzen des queeren Traumas der bedingten Liebe, die viele von uns bereits durch das Elternhaus erfahren haben: Liebe und Akzeptanz sind an die Bedingung geknpft, sich an eine vorgefertigte Lebensweise anzupassen. Viele von uns haben diese Normen verinnerlicht. Wir beurteilen uns selbst danach und kritisieren und grenzen andere aus, wenn sie sich nicht an sie halten. Das ist dieselbe Botschaft, die uns als Jugendliche Angst vor dem Coming-out gemacht hat. Doch das ist keine echte Akzeptanz, keine echte Liebe. Und Menschen, die das wirklich glauben, tun mir leid.

Das Traurige daran ist: Whrend wir manchmal selbst damit beschftigt sind, darber zu streiten, ob Kink und Fetisch zum Pride gehren, eignet sich die cis-heteronormative Welt die Codes und Kleidungsstile aus der Fetisch-Community an und macht sie langsam zur Mode fr alle. Tom of Finland hat mit seinen hypermaskulinen Zeichnungen die schwule Fetisch-Community mageblich geprgt und empowert. Robert Mapplethorpe hat diese Symbolik fr seine bahnbrechenden Fotografien aufgegriffen. Das wiederum hat die Modewelt inspiriert, von wo aus sich Codes und Symbole aus der Fetisch-Community in die Mainstream-Culture ausgebreitet haben. Ebenso durch die Village People und ihre Songs «Macho Man» oder «YMCA». Die gleichen Leute, die heute noch «Kein Kink beim Pride!» rufen, tragen morgen schon Outfits mit integrierten Harnessen, die sie bei H&M oder C&A eingekauft haben.

Ich frage deshalb: Wie viel von uns selbst sind wir bereit zu verwssern, um von der Gesellschaft akzeptiert zu werden einer Gesellschaft, die uns beschmt und stigmatisiert, whrend sie gleichzeitig Profit aus unserer Kultur schlgt?

Unser Gastautor Jeff Mannes ist Mitarbeiter von ICH WEISS WAS ICH TU (IWWIT), der Prventionskampagne der Deutschen Aidshilfe fr schwule, bisexuelle und andere Mnner, die Sex mit Mnnern haben. Der Text wurde auch auf queer.lu verffentlicht.