
Lesbische Liebe als unerflltes Versprechen
Giulia ist eine willensstarke Persnlichkeit, die es versteht, sich durchzusetzen selbst bei Dingen, die ihr zuwiderlaufen. So geschieht es auch, als ihre Mutter sie im Alter von zehn Jahren bittet, sich der drei Jahre jngeren Christi, der Enkelin einer Nachbarin, anzunehmen. Was zunchst als notwendiges bel beginnt, wendet sich schnell zu einer Beziehung, die immer wieder die Grenzen einer Freundschaft auf unterschiedlichste Weisen infrage stellt und Giulias ganzes Leben ber begleitet.
Der knapp 500 Seiten starke Debtroman «Das Schweigen meiner Freundin» (Amazon-Affiliate-Link ) von Giulia Baldelli (in der bersetzung von Elisa Harnischmacher) beginnt damit, dass der 60-jhrigen Protagonistin gleichen Vornamens nur noch drei Monate zu leben bleiben ein Ausgangspunkt, der sie dazu anregt, an den Ort ihrer Jugend zurckzukehren. Dort lsst sie in einsamer Stille die Beziehungen Revue passieren, die ihr Leben am meisten beeinflussten.
Die Dreiecksgeschichte, die sich daraus ergibt, dass der junge Mattia direkt in Cristis Herz springt, erffnet eine bisexuelle Perspektive auf ein Schema, das zeitlos bleibt. Doch das queere Potential dieses Blickwinkels bleibt im Roman unausgeschpft. Stattdessen reiht sich ein Schicksalsschlag an den nchsten.
Der finanzielle Abstieg einer Familie
Bereits in den Jahren der Kinderzeit stellt der Roman eine Verbindung zum gesellschaftlichen Zeitgeist Italiens um die Jahrtausendwende her. Der kleine, katholisch-konservativ geprgte Ort, in dem Giulia und Cristi die Sommer ihre Kindertage verbringen, bleibt nicht unberhrt von den politischen und finanziellen Umbrchen, die die italienische Wirtschaft zwischen 1991 und 1994 prgen.
Dass weder Cristis Oma noch Cristi selbst lesen und schreiben knnen, ist nur eine der vielen feinen Nuancen, die den Unterschied zwischen Armut und Arbeiter*innen-Klasse verdeutlichen. Denn Cristis Legasthenie reicht nicht aus, um den niemals ruhenden Klatsch und Tratsch der Dorfgemeinde in Schach zu halten. Cristis alleinerziehende Mutter, die den Erzhlungen der Dorfbevlkerung nach selbstschtig den Mnnern hinterherjagt, um sich ein besseres Leben zu ermglichen, lsst ihr Kind jedes Jahr whrend der Sommermonate bei der Gromutter.
Obwohl Cristi eine eigensinnige, freiheitsliebende Figur ist, bleibt es Leitmotiv, dass sie, der Mnner wegen, wie aus dem Nichts bei Giulia abgestellt wird selbst als Cristis Gromutter und Mutter lngst verstorben sind.
Sehnsucht nach Identifikation und Begehren
Giulias Jugend hingegen wird durch die Wirtschaftskrise und den finanziellen Abstieg ihrer Familie berschattet. Die Arbeitslosigkeit ihres Vaters, die ihn seither schwer belastet, fhrt zu einer Depression. Das Haus mit dem Aprikosenbaum im Garten, das Giulias sicheren Hafen im Kindesalter bildete, muss verkauft werden. Dass der Erls den Grundstein fr ihr Jurastudium legt und Spoiler dafr sorgt, dass sie es sich mit noch nicht einmal ganz 30 Jahren zurckkaufen kann, bleibt trotz ihres Scharfsinns unreflektiert.
Die tiefe Hingabe, die Giulias Leben neben ihrem Ehrgeiz, das Haus zurckzukaufen, prgt, ist ihre Liebe zu Cristi. Diese Liebe entwickelt sie bereits in ihrer Kindheit und sie verfolgt sie mit mindestens ebenso viel Zielstrebigkeit. Die Sensibilitt, mit der Giulia schon in jungen Jahren den Duft von Cristis Haut wahrnimmt, und die Gefhle, die der erste gemeinsame Kuss am Fluss in ihr auslst, zeichnen eine lesbische Liebe, die weder naiv noch unschuldig wirkt. Sie erscheint ganz bewusst und weit entfernt von kindlichen Versuchen.
Mit der Sehnsucht nach Identifikation und Begehren berhrt der Roman die Tiefen sapphischer Zuneigung. Gerade deshalb irritiert, dass Mattia ins Leben der beiden Mdchen tritt und Cristis Herz fr sich gewinnt. Denn mit der Liebe kommt auch die Eifersucht, die das Spannungsfeld zwischen Giulia, Cristi und Mattia aufbaut. Zwar wird hier angesprochen, dass unterschiedliche Begehrensformen nebeneinanderstehen knnen, doch die Besonderheiten dieser verschwinden im narrativen Muster der Dreiecksgeschichte.
Womit der Titel «Das Schweigen meiner Freundin» hlt, was er verspricht, ist, dass Cristi Giulia gegenber so wortkarg bleibt, dass sie selbst ihre groen Gefhle nicht erwidert. Die intensive Liebesbeziehung der beiden Frauen in ihren frhen Zwanzigern gleicht einer emotionalen Achterbahn. Diese wird zwar lebhaft dargestellt, erfllt jedoch kaum mehr als das Stereotyp eines studentischen Alltags. Das bleibt auch so, selbst oder gerade als Mattia wieder in ihr Leben tritt.
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