Minas Ceylin über Identität, Musik und Freiheit – nach dem zweiten Deutschland-Konzert in Berlin
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Minas Ceylin über Identität, Musik und Freiheit – nach dem zweiten Deutschland-Konzert in Berlin

Nach dem ersten Auftritt in Deutschland setzt Minas Ceylin – eine der bemerkenswertesten Stimmen der queeren Musikszene aus der Türkei – seine kleine Europatour in Berlin fort. In der eindrucksvollen Heiligkreuzkirche bot der Künstler ein tief berührendes Konzert, das Musik, Poesie und Identität miteinander verwob. Zwischen ethnischem Pop, autobiografischen Texten und einer intensiven Bühnenpräsenz schuf Ceylin einen Raum, in dem Sichtbarkeit, Verletzlichkeit und Widerstand aufeinandertreffen durften.

Im Anschluss an das Konzert sprachen wir mit Minas Ceylin über trans Sein, Freiheit, Musik – und darüber, warum manche geplanten Konzerte leider nicht stattfinden konnten.

  1. Du hast heute dein zweites Konzert in Deutschland gegeben – was hat dieser Abend für dich bedeutet?

Dieser Abend war für mich mehr als ein Auftritt. Es war ein Moment des Gesehenwerdens, des Wahrnehmens. Als trans Künstler in einer Kirche zu singen – das ist etwas, das in meiner Vergangenheit undenkbar gewesen wäre. Und doch stand ich da, in Berlin, und habe meine Geschichte erzählt. Die Verbindung mit dem Publikum war tief, fast still – aber voller Verständnis. Genau dafür mache ich Musik.

  1. Wie erlebst du den Unterschied, als trans Künstler in Europa aufzutreten im Vergleich zur Türkei?

In der Türkei bedeutet Sichtbarkeit oft Gefahr. Jeder Auftritt, jede Aussage kann Konsequenzen haben. In Europa – zumindest an Orten wie Berlin – ist mein Sein kein Skandal, sondern Teil einer vielfältigen Gesellschaft. Es ist nicht alles perfekt, aber ich habe das Gefühl, dass ich hier erst einmal atmen darf. Musik zu machen, ohne mich ständig zu erklären oder zu verteidigen – das ist Freiheit.

  1. Welche Rolle spielt Musik in deinem Leben?

Musik ist meine Sprache. Sie übersetzt das, was ich nicht in Worte fassen kann – Schmerz, Freude, Wut, Hoffnung. Besonders als queere Person fehlen einem oft die richtigen Worte, oder sie werden einem genommen. Aber eine Melodie… die versteht jeder. In meinen Songs steckt mein Leben, aber sie gehören jedem, der zuhört und sich darin wiederfindet.

  1. Auf der Bühne hast du gesagt: „Existenz ist Widerstand.“ Was meinst du damit?

In einer Welt, in der trans Menschen immer noch täglich um Anerkennung kämpfen müssen, ist es ein Akt des Widerstands, einfach da zu sein. Meine Präsenz auf der Bühne ist nicht nur künstlerisch – sie ist politisch, ob ich will oder nicht. Ich sage damit: Ich existiere, ich erzähle, ich liebe. Und genau das ist heute ein radikaler Akt.

  1. Was sind deine nächsten Schritte? Wo kann man dich als Nächstes erleben?

Ich werde in den kommenden Tagen noch in den Niederlanden auftreten. Danach geht’s zurück nach Montenegro, wo ich an neuen Songs arbeite. Langfristig zieht es mich auch nach Großbritannien – dort entstehen gerade spannende neue Projekte. Aber ganz egal, wo ich bin – ich werde weiter erzählen. Meine Geschichte, unsere Geschichten. Denn wir alle erkennen uns in den Liedern der anderen.

  1. Einige geplante Konzerte deiner Europa-Tournee konnten nicht stattfinden. Was ist passiert?

Leider mussten einige Auftritte abgesagt werden – nicht aus künstlerischen oder organisatorischen Gründen, sondern wegen bürokratischer Hürden. Als Künstlerin aus der Türkei ist es nach wie vor schwierig, Visa für bestimmte Länder zu erhalten – vor allem, wenn man nicht in einem klassischen kommerziellen Rahmen arbeitet. Politisch betrachtet ist es paradox: Man redet über kulturellen Austausch und Diversität, doch gleichzeitig bleibt die Mobilität für viele Künstlerinnen aus bestimmten Regionen eingeschränkt. Es ist frustrierend, wenn nicht deine Kunst, sondern dein Pass über deine Sichtbarkeit entscheidet.