
Katholische Rituale als Ausdruck queeren Begehrens
Auf dem zentralen Werk der Ausstellung sind zwei von goldenen Heiligenscheinen umrahmte Mnner in roten Kardinalsroben zu sehen. Zwischen ihnen ragt eine tropfende Wachskerze empor, der sich beide mit erotischer Hingabe widmen: Sie umgreifen den Kerzensschaft und lassen ihre Zungen darber gleiten. Das lgemlde nennt sich «La Venida del Seor»: Der Titel lsst sich einerseits als «Die Ankunft des Herrn» bersetzen, wobei andererseits der spanische Begriff «Venida» in der Umgangssprache auch als Bezeichnung fr «Orgasmus» oder «Ejakulation» verwendet wird. Ein anderes Gemlde zeigt zwei sich beim Beten aneinanderschmiegende Nonnen, die in andchtiger Haltung gemeinsam auf Hfthhe eine Madonnenstatue umklammern gerade so, als handle es sich dabei um einen sexuellen Fetisch.
Die Bilder sind zweifellos provokant und explizit, obwohl sie keine nackte Haut zeigen. Dennoch machen sie unmissverstndlich und ohne Umschweife deutlich, dass es hier recht deftig zur Sache geht und die religisen Rituale lediglich als Vorwand fr die fleischliche Lust dienen. Beide Motive gehren zu einer neun Gemlde umfassenden Werkserie des queeren Knstlers Fabin Chirez, der religise und sexuelle Ekstase verbindet und damit die Bruche des Katholizismus als einen Ausdruck queeren Begehrens inszeniert.
Ausstellung in der ltesten Kunstakademie Amerikas
Mag man beim ersten Anblick der Bilder an Illustrationen fr schwule oder lesbische Trivialliteratur denken oder vermuten, dass man es mit einer Ausstellung in einer auf ein queeres Zielpublikum spezialisierten Off-Galerie zu tun hat doch dem ist nicht so. Tatschlich handelt es sich beim Veranstaltungsort um die die lteste Kunstakademie Amerikas.
Die 1781 gegrndete Academia de San Carlos gehrt heute zur Nationalen Autonomen Universitt Mexiko (UNAM). Sie befindet sich in prominenter Lage von Mexiko-Stadt und gilt als eine der bedeutendsten kulturellen Institutionen des Landes. Seit jeher nimmt sie eine Schlsselrolle in der Kunstgeschichte Mexikos ein: als Ort fr den Austausch zwischen Tradition und Moderne. So jedenfalls lautet das Selbstverstndnis der altehrwrdigen Akademie und wenn man so will, nimmt Fabin Chirez mit seiner Ausstellung einen roten Faden der mexikanischen Kunstgeschichte auf. Sein Stilmittel der eindeutigen und leicht verstndlichen Botschaften, der unverblmten Gestik und der Polemik mag manche an den Agitprop der Muralistenbewegung in den 1920er Jahren erinnern, als Diego Rivera und David Alfaro Siqueiros mit ihren plakativen Wandbildern die Ideen der Revolution propagierten.
Demos und Messen vor dem Ausstellungsort
«Die Werke von Chirez sprechen fr sich und bedrfen keiner Erklrung», heit es folgerichtig im einfhrenden Text auf einer Tafel die Bilder seien eine bewusste Provokation und «ein Schlag ins Gesicht» all jener, die sich mit den traditionellen Moralvorstellungen von Kirche und Gesellschaft verbunden fhlten. Auf der Ausstellungserffnung erklrte Chirez hingegen, es gehe ihm nicht vorrangig darum, Kontroversen zu erzeugen. «Vielmehr mchte ich einen Raum fr Diskussionen schaffen, wie Symbole neu interpretiert werden knnen.» Dabei fhlte sich der 37-jhrige Knstler fr seine neue Serie von klassischen europischen Kunstwerken wie Gian Lorenzo Berninis «Die Verzckung der Heiligen Teresa», Fra Angelicos «Verkndigung» und El Grecos «Die Unbefleckte Empfngnis» inspiriert.
Wie zu erwarten war, lie die Emprung im streng katholischen Mexiko nicht lange auf sich warten. Vor dem Ausstellungsort kam es zu Demonstrationen, manche Glubige hielten sogar Messen ab. Eine «Vereinigung Christlicher Anwlte» behauptete, die Ausstellung verletze die Wrde christlicher Menschen und sammelte zur Untersttzung knapp 9.000 Unterschriften eine Zahl, die in einer Millionenmetropole wie Mexiko City jedoch nicht unbedingt einschchternd wirkt. Mehr als 130.000 Follower*innen kann Chirez allein auf seinem Instagram-Kanal vorweisen. Und so lie sich auch die Academia San Carlos von den Forderungen nach einer Schlieung nicht beeindrucken noch bis zum 7. Mrz ist dort die nach dem Hauptwerk benannte Ausstellung «La Venida del Seor» zu sehen.
Proteste gegen queeres Zapata-Portrt von Chirez schon 2019
Es sei daran erinnert, dass Fabin Chirez mit einer khnen Darstellung des Nationalhelden Emiliano Zapata im Jahr 2019 schon einmal Entrstung entfachte. Die damalige Ausstellung fand im «Palacio de Bellas Artes» statt einer weiteren bedeutenden Kulturinstitution von Mexiko-City. Chirez zeigte den meist hypermaskulin abgebildeten Revolutionr in femininer Pose auf einem sexuell erregten Schimmel reitend und vllig nackt, abgesehen von einem pinken Sombrero und schwarzen High Heels. Von den zahlreichen ffentlichen Debatten und homophoben Protesten abgesehen, strmten damals rund 200 Bauern das Museum, um lautstark und teilweise unter der Androhung von Gewalt die Entfernung des Gemldes zu fordern (queer.de berichtete). Obendrein bekam Chirez noch juristischen rger mit den Nachfahren Zapatas, die dessen Erbe verunglimpft sahen. Doch das Gemlde blieb bis zum Ende der Ausstellungslaufzeit an seinem Platz.
Es gab von vornherein auch Untersttzung und Gegendemonstrationen, vor allem von queeren und feministischen Gruppen abgesehen davon, dass sich mit der Aktion der Bekanntheitsgrad von Fabin Chirez enorm erweiterte. Fr seine Auseinandersetzung mit Gender, Sexualitt und der Dekonstruktion von Mnnlichkeit hat er sich inzwischen weit ber die Grenzen Mexikos hinaus einen Namen gemacht.
Links zum Thema:
Mehr Infos zur Ausstellung auf der Homepage der Academia San Carlos:
Homepage von Fabin Chirez
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