
Wie passen queere Liebe und Islam zusammen?
Es ist nicht einfach, queer und muslimisch zu sein. Dies macht der vorliegende Sammelband deutlich. Im Vorwort schreibt die frhere Rechtsanwltin und Frauenrechtlerin Seyran Ateş, dass in der queeren Szene Gesprche ber Moscheebesuche und Spiritualitt teilweise verpnt seien. Denn «Links- und Modern-Sein schloss den Glauben an Gott aus», so Ateş. So werde glubigen Menschen oft «im linksliberalen Umfeld mangelnder Verstand zugeschrieben wird».
Trotzdem hat die Frauenrechtlerin die Ibn Rushd-Goethe Moschee in Berlin mitbegrndet. Diese Moschee steht nicht nur fr einen modernen und liberalen Islam, sondern ist auch ein spiritueller Safe Space fr queere Muslim*innen. Im Zuge der Kampagne «Liebe ist halal» wurde dort ein ffentlichkeitwirksames Zeichen gesetzt. Als erste Moschee weltweit hissten die Berliner 2022 die Regenbogenfahne (queer.de berichtete).
«Die weltweiten Reaktionen waren teilweise unertrglich hasserfllt. Aber die gute Nachricht ist, dass uns viele Menschen aus der Community in islamischen Lndern wahrgenommen haben», betont Ateş. Die Gemeinde in der Ibn Rushd-Goethe Moschee richtete die Anlaufstelle «Islam und Diversitt» ein. Fast tglich melden sich dort queere muslimische Menschen. Auch Lehrer*innen und Sozialarbeiter*innen von Schulen suchen um Rat, da sie mit einer islamisch begrndeten Queerfeindlichkeit und Gewalt in Schulklassen zu tun haben.
Anlaufstelle «Islam und Diversitt»
Aus der Anlaufstelle «Islam und Diversitt» ist das neue Buch «Liebe ist halal (Amazon-Affiliate-Link )» entstanden. Es soll Orientierung bieten und das Thema aus mehreren Blickwinkeln beleuchten. Das Buch soll auch eine wissenschaftliche Basis fr eine queer-muslimische Bewegung bilden. «Queer und muslimisch zu sein, bedeutet, zwischen den Identitten navigieren zu mssen, vor allem, wenn diese im direkten sozialen Umfeld als unvereinbar angesehen oder kategorisch abgelehnt werden», schreiben Carolin Leder und Tugay Tugay Sara in der Einleitung fr das Buch.
Der Sammelband setzt sich mit dem Thema aus einer wissenschaftlichen und biografischen Perspektive auseinander. Diese Kombination ist gut gelungen. In mehreren Beitrgen beschftigen sich verschiedene Autor*innen aus wissenschaftlicher Sicht mit sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitten im Islam. Anschlieend erzhlen queere Menschen in sehr persnlichen und berhrenden Texten ber ihr Leben. Sie berichten von Erfahrungen der Ausgrenzung und Gewalt, von Identittskonflikten, aber auch von Wegen des Empowerments. Diese Texte sollen anderen queeren Muslim*innen Mut machen und zeigen, dass Islam und Queerness keine Gegenstze sind. Lobenswert ist, dass in dem Buch viele unterschiedliche sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitten vorkommen.
«Habe mein Bestes getan, mich zu verstellen»
In «muslimisch, kurdisch, trans» schreibt Berfin elebi, dass sie sich in der frhen Kindheit vor der Familie verstellen musste. Als sie einmal als Kind der Mutter ihre lackierten Ngel zeigte, sei die Mutter wtend geworden «und hat mir sofort verstndlich gemacht, dass das unmglich fr einen Jungen sei.» Wenn ihr Vater das mitbekme, wrde er sie bestrafen. In der Schule sei ihr die Frage «Bist du schwul» oft gestellt worden. Fr sie sei diese Frage traumatisch gewesen. «Ich habe mein Bestes getan, mich zu verstellen, so dass mir niemand anmerkt, dass ich homosexuell bin.» Daher habe sie ihre Gestik und Mimik stndig reflektiert, um mehr in die Rolle eines typischen Mannes zu passen. Spter habe sie ihre Liebe zu Dragqueens entdeckt und ein Paralleleben gefhrt.
«Von Montag bis Freitag war ich der brave Moslem und am Wochenende die Person, die ich wirklich bin», erzhlt Berfin elebi. Denn am Wochenende sei sie eine Dragqueen gewesen. Einmal habe sie ein Nachbar gesehen und davon Fotos an ihre Familie geschickt. Ihr wurde erzhlt, «wie falsch, egoistisch und ekelhaft ich sei. Mir wurden Therapien sowie Moscheebesuche nahegelegt». Doch sie habe gewusst, «dass ich niemals mein altes Leben wrde fhren knnen ohne tiefer in eine Depression zu rutschen», erklrte sie. Berfin elebi zog nach Berlin, um den Weg der Transition zu gehen. Heute setzt sich die Muslima in den sozialen Medien fr Sichtbarkeit von trans Personen ein. Im Laufe der Zeit habe sich ihr Verhltnis zur Familie gebessert. Doch mit vielen Familienmitglieder*innen habe sie keinen Kontakt mehr.
«Folgt euren Herzen und achtet auf eure innere Stimme»
Nicht einfach war auch der Weg fr Johanna Haupt, die in dem Buch Gedanken zu ihrer Weiblichkeit aufgeschrieben hat. «Es ist nicht leicht, transfeminin zu sein. Noch schwerer ist es, transfeminin und muslimisch zu sein und einen arabischen Hintergrund zu haben. Das ist meine Geschichte.» Sie rt allen queeren Personen: «Folgt euren Herzen und achtet auf eure innere Stimme.»
Das hat auch Marwa Khabbaz gemacht. Sie beschftigte sich erstmals mit 15 Jahren ber das Internet mit ihrer sexuellen Identitt. «Zuvor wusste ich nicht, dass es etwas anderes als hetero gibt. Ich merkte nach langer Selbstleugnung, dass der Traummann, der mir gedanklich suggeriert wurde, eigentlich eine Frau ist.» Doch das habe in ihr «die hchste Stufe des Ekels und der Scham» ausgelst. Denn gleichgeschlechtlich liebende Menschen seien von ihren Eltern und Familienmitglieder*innen als «krank und vom Teufel besessen» bezeichnet worden, schreibt Marwa Khabbaz in ihrem Text mit dem Titel «Hidden Identity». Ihr gelang es, sich von traditionellen Rollenbildern zu lsen und als Frau zu ihrer lesbischen Liebe zu stehen. «Heute bin ich stolz darauf, Teil der queeren Community zu sein.»
Radikalisierung in der Jugend
Anders verlief die Lebensgeschichte des queeren Aktivisten Tugay Sara, der sich in seiner Jugend radikalisierte. Er tat alles, um von seiner Homosexualitt geheilt zu werden. Weil die Gebete und das Fasten keine Heilung brachten, schloss er sich Hasspredigern an. Er spielte mit dem Gedanken, nach Syrien zu reisen und dort den Mrtyrertod zu sterben. Doch zum Glck konnte er in der Ibn Rushd-Goethe Moschee in Berlin zu sich selbst finden und seine sexuelle Orientierung annehmen. Er rt: «Kein Islamist, kein Extremist sollte einfach aufgegeben werden.» Denn hinter «der unertrglichen Ideologie stehen Menschen, denen eventuell geholfen werden kann».
Auch in den wissenschaftlichen Beitrgen geht es darum, wie sich Queer-Sein und Islam vereinbaren lassen. Carolin Leder thematisiert die «Notwendigkeit queer-muslimischer Bildung innerhalb der Sexualpdagogik». Sie betont, dass «die heute oft religis begrndete Queerfeindlichkeit, die auch queere Muslim*innen internalisiert haben», ein Produkt der Kolonisierung sei. Sie zitiert in ihrem Beitrag den islamischen Theologen Ali Ghandour, der betont, «dass im Koran keinerlei eindeutige Aussagen zu queeren Interaktionen getroffen werden». Der Islamwissenschaftler Arash Guitoo analysiert in dem vorliegenden Buch die rechtliche sowie gesellschaftliche Situation queerer Menschen in muslimisch geprgten Lndern.
Genderpluralismus im Islam
Die Ethnologin Susanne Schrter zeigt in ihrem Beitrag, dass im Islam nicht alles einheitlich geregelt ist und dass in einigen islamisch geprgten Regionen auch ein Genderpluralismus existiert. Denn «der Islam hatte sich, wie alle Weltreligionen, im Verlauf seiner Ausbreitung auerhalb seines Entstehungsgebietes an lokale Sitten und Gebruche angepasst und war mit ihnen Verbindungen eingegangen». Als Beispiele dafr nennt die Ethnologin die Xanith im Oman, die «geschworenen Jungfrauen» in Albanien und die bugis auf der indonesischen Insel Sulawesi. So kennen die bugis fnf Geschlechtsidentitten.
Neben Frauen und Mnner gibt es dort auch maskuline Frauen, feminine Mnner und die sogenannten «bissu». Dabei handelt es sich laut Schrter um «geschlechtlich ambivalente Ritualexperten und Schamanen». Die Ethnologin zitiert in ihrem Beitrag auch javanische Freund*innen, wonach «Homosexualitt und Transgeschlechtlichkeit schon immer ein fester Bestandteil ihrer Kultur gewesen» seien und gewhnlich akzeptiert werden, wenn niemand darber sprche.
Geschlechtsangleichende OPs als «alternativlose Pflicht»
Die Juristin Donja Hodaie behandelt in dem Buch den «Umgang der Theokratie im Iran mit trans Personen». Denn im Iran sind geschlechtsangleichende Operationen erlaubt. «Allerdings ndert die rechtliche Anerkennung nichts an der Stigmatisierung und sozialen Ausgrenzung von trans Personen sowohl durch die Gesellschaft als auch durch ihre Familien», erklrt die Juristin. Oft verlieren trans Personen ihren Job «und trans Frauen knnen ihren Lebensunterhalt lediglich als ‹Ehefrau auf Zeit› bzw. durch Prostitution bestreiten».
Laut Donja Hodaie leben trans Personen im Iran vor allem trans Frauen «in Armut und werden sexuell ausgebeutet». Zudem seien mit der geschlechtsangleichenden Operation «hohe Kosten verbunden, auch wenn der Staat dies teilweise subventioniert». Problematisch sei auch, dass trans Personen im Iran als krank eingestuft werden und die geschlechtsangleichende Operation «als alternativlose Pflicht dargestellt» werde. Die wissenschaftlichen Beitrge enden mit dem Exkurs des Autors, Psychiaters und Psychoanalytikers Sama Maani zum Thema «Frauen im Iran», die er als vergessene Heldinnen bezeichnet.
Deutsche Islamkonferenz: Eine Schande
Der Sammelband zeigt, wie vielfltig Queer-Sein im Islam sein kann. Doch leider wird vieles in Deutschland nicht umgesetzt. Denn die Deutsche Islamkonferenz tut sich mit dem Thema schwer. Die Islamkonferenz soll eigentlich den Dialog zwischen dem deutschen Staat und den in Deutschland lebenden Muslim*innen frdern. Doch die Einrichtung «scheitert weiterhin daran, liberalen Muslim*innen eine Stimme zu verleihen», wie Tugay Sara in dem Buch schreibt. Zwar werden Vertreter*innen der Berliner Ibn Rushd-Goethe Moschee regelmig zur Konferenz eingeladen, doch sie bekommen nur die Rolle von passiven Zuschauer*innen zugewiesen. «Das ist im Hinblick auf die Tatsache, dass unsere Moschee die einzige liberale Moschee in Deutschland ist, eine Schande», schreibt Tugay Sara.
Dem ist nichts hinzuzufgen. Somit gibt es bei diesem Thema noch viel Handlungsbedarf.
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