Warum hast du 109 schwule Heilige erfunden, Bjrn Koll?
14 mins read

Warum hast du 109 schwule Heilige erfunden, Bjrn Koll?

Bjrn, wie, um Gottes willen, kommst du auf die Idee, mit «Unholy» ein Buch ber schwule Heilige zu schreiben?

Schwule Heilige gab es doch schon immer, ihre Geschichten wurden nur vergessen bzw. es war nach einer ppstlichen Enzyklika im Jahre 1891 einfach verboten, darber zu schreiben oder die Bilder zu besitzen. Damals wurden alle Spuren vernichtet und wir verdanken es einem groen Zufall, dass 109 Heiligenbilder berlebt haben. Zuerst waren die Bilder in einem Koffer im Vatikanischen Archiv versteckt, wurden dann 1945 nach einem Diebstahl durch die Nazis in Bukarest in der 42-bndigen rumnische Karl-Marx-Gesamtausgabe aufbewahrt, um nach der Auflsung der Bibliothek des Berliner Instituts fr Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands ber einen Antiquittenhndler auf meinem Schreibtisch zu landen. Es war der chinesische Diplomat Ki Peng, der dazu wertvolle Tipps geben konnte und

Ich unterbreche dich hier mal. Knntest du es bitte mit einer etwas ernsthafteren Antwort versuchen?

Der italienische Knstler F.G. Borghi erstellt groartige Zeichnungen am Computer, und schon lange verfolge ich sein Werk. berhaupt ist es wirklich spannend und aufregend, was in dieser Szene gerade im schwulen Kontext entsteht. Ein Teil von Borghis Werken arbeitet mit Elementen von Heiligen- oder Andachtsbildern des 19. Jahrhunderts und kombiniert diese mit mnnlichen Aktdarstellungen. Dadurch entsteht eine ziemlich brisante und aufregende Mischung, die fr mich aber auch eine Eroberung unbekannten Terrains ist. Selbstverstndlich kennt die Kunstgeschichte solche Dekonstruktionen, aber im schwulen Kontext ist das doch eher selten. Sicherlich hatte Borghi beim Erstellen der Bilder seine ganz eigenen Fantasien am Laufen. Er hat mir dann aber freie Hand gegeben, mich bei den Texten selbst auszutoben.

Kannst du ein bisschen beschreiben, was du mit «austoben» meinst?

Da gab es dann zum Beispiel ein Bild von zwei sich kssenden Mnnern mit Heiligenschein, der eine mit einer fetten Erektion und der andere mit schwarzen Flgeln vor dramatischem Himmel. Fr mich wurden das der heilige Quentin und Silvester, die anno 160 in Smyrna (heute Izmir) in der Tempelprostitution als Hierodulen, also sogenannte heilige Diener, arbeiteten. Die sind als Heilige zustndig fr faire und selbstbestimmte Arbeitskonditionen aller Sexarbeiter. Frag mich jetzt bitte nicht, wie ich ausgerechnet darauf gekommen bin. Schon eher biografisch wren Gottfried und Waldemar, denn ich war mal Regie-Hospitant an der Deutschen Oper Berlin und kenne Wagners «Lohengrin» in- und auswendig. Der verschwundene Gottfried wird von mir als schwul erzhlt und er wollte mit seinem Freund Waldemar einfach mal ohne seine nrgelnde Schwester Elsa ein paar Tage Spa im Wald haben. Lohengrin ist natrlich bisexuell und dann sieht die ganze Geschichte halt ganz anders aus.

Hast du einen oder mehrere Lieblingsheilige?

Natrlich habe ich alle meine Heiligen gleich lieb, aber Connor und Carson, die beim Ficken (Entschuldigung fr das Wort) ins Schweben gerieten und sich Richtung Himmel erhoben, finde ich schon ziemlich gelungen. Auch Glckchen aus dem kleinen Ort Climax in Kentucky, der nach vielen Abenteuern leider von einem groen hungrigen Bren verspeist wurde, ist mir sehr ans Herz gewachsen. In den Appalachen kann man brigens beim Wandern immer noch seine Glckchen hren. Gerade auch nachts. Aber natrlich drfen wir auch nicht Konrad aus Perleberg oder den heiligen LSD oder Finnian, Kevyn, Lorcan, Lugh, Ronan und Siodo, die 1890 als erste Menschen den Sdpol erreichten, vergessen. Dann mag ich auch den heiligen Ole und den heiligen Stig, die als Fischer auf den norwegischen Lofoten arbeiteten, und natrlich auch Alois Ludwig Schumpeter, der schwule Onkel von Joseph Alois Julius Schumpeter.

Ich unterbreche hier mal wieder. Bist du selbst religis?

Nein, ich bin glcklicher Agnostiker. Ich fand die Beschftigung mit den offiziellen rund 16.700 katholischen Heiligen und Seligen als Studie eines kollektiven Gedchtnisses, das ja irgendwie auf unserer Welt rumwabert, aber sehr interessant. Und da haben dann meine erfundenen schwulen Heiligen auf einmal auch ihre Berechtigung, denn ihre Geschichten sind genauso hanebchen wie die katholische Realitt. Queering Religion, sozusagen. Am liebsten wrde ich meinen ganzen Bldsinn auch auf Wikipedia stellen. Wusstest Du brigens, dass die heilige Vorhaut, also der Teil von Jesus, der nicht in den Himmel aufgefahren ist, bis 1983 in Poitiers auf Prozessionen gezeigt wurde? Am 25. Dezember 800 tauchte die Vorhaut zum ersten Mal auf und wurde von Papst Leo III. an Karl den Groen verschenkt. Auch Katharina von Siena erhielt 1359 diesmal angeblich von Jesus persnlich eine Vorhaut, trug diese als Ring um den Finger und soll sich Augenzeugen zufolge ekstatisch am Boden gewlzt und die spirituelle Umarmung Jesu sehr genossen haben. Auch die Begine Agnes Blannbekin hat erzhlt, dass sie beim Abendmahl die Vorhaut in ihrem Mund spren konnte. 1421 wnschte sich Katharina von Valois von ihrem Mann, Knig Heinrich V. von England, die Vorhaut, da deren ser Duft eine gute Geburt garantierte. Das ist alles Teil europischer Geschichte, und da wird mein Zusammentreffen im Jahre 13 von Jesus und Hreodebeorht, einem Diplomatensohn, der auf die internationale Schule von Caesarea ging, schon nicht weiter stren. Da war Jesus brigens schon 18, denn er wurde eigentlich 4 vor Christus oder so geboren, aber das erklre ich jetzt mal nicht weiter.

Was ich aber nicht gemacht habe ist, diesen ganzen Kosmos von unertrglicher Gewalt der katholischen Heiligen zu bernehmen. Im Prinzip ist das ja alles ein einziges blutiges Gemetzel, und dem habe ich meine schwulen Heiligen nicht ausgesetzt.

Bei dir tummeln sich auffllig viele Heilige aus dem Osten Europas.

Du denkst da an den Heiligen Maksym von Poltawa? Das ist eine traurige Geschichte. Er lebte um 1640 mit seinen beiden Mnnern Doron und Kritikija als Wassermller in Poltawa, das ja heute in der Ukraine liegt. Damals gehrte die Region zu Polen-Litauen und war ein multireligiser Vielvlkerstaat mit Polen, Litauern, Deutschen, Letten, Esten, Ukrainern, Belarussen, Russen und Tartaren. Die drei waren supererfolgreich, weil sie das Mehl siebten, was einfach mal besser fr die Zahngesundheit war, weil dann keine Steine mehr im Brot waren. Bei einem Aufstand der orthodoxen Kosaken wurde dann der eine erschlagen und die beiden anderen in die Sklaverei nach Konstantinopel verkauft. Papst Alexander VII. htte sie freikaufen knnen, hat sein Geld dann aber lieber in die Kolonnaden auf dem Petersplatz gesteckt. Sehr traurig, die Geschichte.

Wohl war. Allerdings dachte ich eher an Igor, den heiligen Schwan von St. Petersburg.

Igor verdanken wir Tschaikowskis «Schwanensee». Seine Rolle wurde dann spter zu einer Odette, aber im Prinzip triumphiert immer noch die Liebe ber den Tod und das Gute ber Bse. Jedes Mal, wenn ein Kreml-Herrscher gestorben ist, wird deshalb im russischen Fernsehen «Schwanensee» in Dauerschleife gezeigt. Da hoffen wir natrlich alle auf eine baldige Wiederholung des Programms.

Du lsst Harry und Sam aus New Orleans das American-Football-Spiel erfinden. Hat dir der potentielle rger aus russischen oder katholischen Kreisen nicht gereicht?

Ich habe ja keine Ahnung von Sport, aber wenn da mit Begriffen wie 8-Men-Box, Ejection, Fair Catch, Interception, Man Coverage, Personnel, Pick Six, Returner, Tight End, Vanilla Offense oder auch Wide Receiver operiert wird, mache ich mir natrlich schon so meine Gedanken. Der Rest ist typische Sdstaatendiskriminierung, denn natrlich wurde American Football zuerst vom heiligen Harry und heiligen Sam in New Orleans gespielt, aber in einer sanften Form und hufig nackt. Ist ja auch immer schn warm da unten. brigens waren auch Harry und Sam polydaktyle Menschen und hatten jeweils sechs Zehen an ihren Fen. Die Polydaktylie scheint unter schwulen Heiligen weit verbreitet zu sein und wurde auch bei Edward Nigma (auch E. Nigma) festgestellt. ber ihn wissen wir allerdings rein gar nichts. Er steht in den Bschen, Dnen, ffentlichen Toiletten, der Dampfsauna, dem Darkroom oder jedem anderen Ort der Welt. Bei Tag und Nacht. Mal fhrt seine Hand mit sanfter Kraft, mal lsst er sich selbst leiten, aber immer riecht er dabei verfhrerisch. Und ist das Ziel erst mal erreicht, winkt groe Belohnung.

Kannst du erzhlen, was es mit dem heiligen Emil auf sich hat?

Der heilige Emil war die Jugendliebe von Karl Marx, bevor dieser beschloss, eine Frau zu heiraten. Aus der gemeinsamen Zeit mit Emil stammt auch das verschollene Frhwerk «Der Sex», das mir mit unvollstndigen und mit sehr schlechten Fotokopien aus einem Moskauer Archiv vorliegt. Alle wesentlichen Karl-Marx-Zitate sind dort schon zu lesen: Radikal sein ist die Sache an der Wurzel fassen; ihre Hosentaschen zu ffnen, keine Fragen zu stellen und an die allgemeine Tugend der Menschheit zu glauben das dient ihren Absichten am allerbesten; Homo­sexuelle aller Lnder, vereinigt euch, und so weiter. Die Beziehung von Emil und Karl scheiterte dann. Emil wollte sich mit einer guten Idee selbststndig machen (es ging darum, Fahrrder mittels Gummireifen bequemer zu machen) und Karl verweigerte ihm das bisschen bentigte Startkapital, weil er meinte, dass ein Proletarier aus systemimmanenten Grnden auch ein Proletarier bleiben msse und keineswegs Kapitalist werden knne.

Hat dir knstliche Intelligenz beim Schreiben geholfen?

Leider nicht im Geringsten. Ich habe es versucht, aber sobald du bestimmte Wrter benutzt, wird es schwierig. Irgendwie knnte man die «Gemeinschaftsrichtlinien» sicher besser umgehen, aber dafr bin ich zu blde und auch zu faul. Und wenn ich ein Bild von einem muskulsen blonden Mann mit Glorienschein und Goldverzierungen habe, den F.G. Borghi aber vor einen Hintergrund gesetzt hat, der mich sehr stark an den ersten Anblick von Machu Picchu nach tagelanger Wanderung erinnert, dann hilft da keine knstliche Intelligenz. Fr mich wurde das der heilige Enrique, der zwischen 1532 und 1535 in Madrid auf der Plaza Mayor eine Demo organisierte, bei der er unbekleidet auf das Schicksal der Inkas und Azteken hinwies. Darber hinaus war Enrique Student der Wirtschaftswissenschaften und wies zu Recht darauf hin, dass die geplnderten ber 3,5 Millionen Kilogramm Silber und hnlich viel Gold mehr oder weniger nutzlos in Spanien verplempert wurden. Das frhkapitalistische System entwickelte sich nmlich in Mitteleuropa und eben nicht in Spanien. Jetzt soll aber nicht der Eindruck entstehen, bei den Heiligen ginge es immer nur um Sex und Geld.

Sondern?

Es gibt auch den heiligen Taddeo aus Neapel, der nach dem Untergang von Pompei ganz selbstlos die Organisation der Hilfe fr die berlebenden organisierte und sein letztes Hemd und Hschen gab. Oder die glorreichen und heiligen Sieben aus So Paulo, die auf der Avenida Paulista ein Schwulenzentrum mit Sauna, Boxclub, Restaurant und Buchhandlung betrieben. Und natrlich der heilige Ursli von Einsiedeln, Erfinder des Aprs-Ski und zusammen mit seinem Freund Peter das Vorbild fr Johanna Spyris Erfolgsroman «Heidis Lehr- und Wanderjahre». Man mag es kaum glauben. Lauter tolle Vorbilder fr ein erflltes Leben. Da fllt mir auch der heilige Finn aus Portland ein, der nicht nur den Skorbut auf den Segelschiffen besiegte, sondern auch erfolgreich organisierte, wer mit wem wann schlafen durfte. Sehr, sehr wichtige Dinge. Nicht nur in der damaligen Zeit. Und dann gibt es natrlich auch Rahul aus Dakha, oder den heiligen Dylan aus Montreal, die sich vorbildlich fr die Entwicklung der Hygiene eingesetzt haben. Oder den heiligen Wilbur, ein Arzt aus Maine mit dem wichtigen Grundsatz: «Regeln, die fr uns gelten sollen, machen wir selbst!» Und selbstverstndlich warne ich bei Hugo Hirsch (HH) und Pietro Nicolo Pugliese (PnP) auch eindrcklich vor den Gefahren von High and Horny und Party and Play, denn das Schicksal der beiden Internatsschler und ihr Tod nach multiplem Substanzgebrauch bei einer Sexparty hat ja 1563 die ganze Welt erschttert.

Gibt es eigentlich irgendein Thema, das bei dir nicht vorkommt?

Ich bin vielleicht so wie die katholische Kirche auch etwas eurozentrisch, aber immerhin erklre ich, warum die Mission in Japan und China scheiterte, und konnte viele schwule Heilige in den drei Amerikas aufstbern. Nordafrika kommt vor, aber bei Zentral- und dem sdlichen Afrika habe ich mich hufig nicht getraut, Fantasien zu entwickeln. Aber sonst ersetzt das Buch vielleicht einen Teil der gymnasialen Oberstufe und bietet darber noch Einfhrungskurse in Wirtschaftswesen, Betriebswissenschaft, Philosophie und erzhlt endlich mal historische Zusammenhnge in nachvollziehbarer, prgnanter und korrekter Form. Wusstest du zum Beispiel, dass es der heilige Zivko aus dem serbischen Grocka (sprich Grotzka) war, der nach acht Venezianischen, vier Polnischen, zehn Russischen und acht sterreichischen Trkenkriegen in einer bewegenden und viel beachteten Rede mit dem Motto «Die Waffen nieder!» die Schrecken des Krieges aus Sicht eines schwulen Mannes beschrieb? Das wurde dann spter von einer neuen Generation Friedensaktivisten bernommen, aber Zivko ist noch immer die Symbolfigur der Friedensliebe des gesamten serbischen Volkes.

Darf man das alles einfach so behaupten oder berschreitest du damit Grenzen?

Grenzen werden ja heute verbal, gedanklich und tatschlich eher an ganz anderen Stellen berschritten. Da ist es vielleicht sogar unsere Pflicht dagegenzuhalten und ein bisschen Gte, Toleranz, Liebe und vor allem auch Spa und Humor zu verbreiten.

Bjrn, herzlichen Dank fr dieses Gesprch.

Hinweis in eigener Sache: Das Gesprch wurde in der White Rabbit Bar in Bangkok, 3 Si Lom Road bei ein paar Long Island Iced Teas gefhrt. Jeder hat fr sich selbst gezahlt.

Informationen zu Amazon-Affiliate-Links:
Dieser Artikel enthlt Links zu amazon. Mit diesen sogenannten Affiliate-Links kannst du queer.de untersttzen: Kommt ber einen Klick auf den Link ein Einkauf zustande, erhalten wir eine Provision. Der Kaufpreis erhht sich dadurch nicht.