Ivo singt bers Schwanzlutschen und Trump im Himmel
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Ivo singt bers Schwanzlutschen und Trump im Himmel

Ivo hat eine Idee, wie die Doku ber ihn beginnen knnte: Mit der Frage an sein Publikum, was es besser findet: In den Arsch oder in den Mund kommen. Die Anwesenden sollen abstimmen. Er meint das ganz ernst, trgt eine Art Iro, die Haare in der Mitte blondiert, metallene Stacheln ragen heraus. Er spricht die Filmemacherin Kristina Nikolova direkt an, doch sie entscheidet sich dagegen. Die Szene kommt erst fast am Ende ihres Filmes ber den bulgarischen Performer.

Ivo Dimchev, 1976 geboren, ist ein Superstar, weit ber seine bulgarische Heimat hinaus bekannt. Als Gesamtkunstwerk mischt er Drag, Theater, Performance und Musik, seine Songs bewegen sich zwischen Pop, Oper und Cabaret, gerne in Verbindung mit bulgarischer Folklore. Oder in seinen eigenen Worten: Es geht um «Liebe, Trennung, Essen, Alkohol, Genitalien, Prostitution und natrlich Jesus Christus.»

Eine Frau hat einen Orgasmus beim Konzert

Das ist mal frech, sexuell und provokant, dann wieder eher Mainstream. Ivos Gesang beschreibt Kevin Clarke als «auerirdisch, sirenhaft, verfhrerisch, geschlechtsunspezifisch und very queer». Ein «Extremknstler», urteilte die «Zeit» schon 2012.

Doch statt in Los Angeles oder Wien beginnt «In Hell with Ivo» mit Gesichtsmasken und in einem kleinen Wohnzimmer. Denn whrend der Corona-Pandemie gibt Ivo private Hauskonzerte in seiner Heimat, der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Eine ltere Frau ist sichtlich bewegt, sie sagt, erstaunlich direkt und angenehm schamlos, sie habe gerade einen Orgasmus gehabt.

Ivo Dimchev ist extravagant und feminin, lsst sich nichts sagen und tritt im Team gerne ganz schn bossy auf. Er mag es, die Diva in sich herauszulassen. Obwohl seine Kunst oft sexuell ist, ist sie nie platt, selbst wenn er bers Schwanzlutschen singt. Manche Botschaften sind stark und empowernd, andere eher unterhaltsam, und schaffen es doch, eine gewisse Tiefe zu entfalten: Die Frage ans Publikum, ob sie lieber mit Jesus in der Hlle oder mit Trump im Himmel wren etwa.

Detaillierte Mordfantasien beeindrucken Ivo nicht

Als schwuler und HIV-positiver Mann hat er es in Bulgarien nicht leicht. Sein Auftreten ist sein Markenzeichen, aber es bietet auch eine gewaltige Angriffsflche. Er liest krasseste Hasskommentare vor. Jemand schildert erschreckend detailliert, wie er ihn umbringen will. Eine Fantasie, die erschaudern lsst, Ivo aber beindruckt sie nicht zumindest uerlich.

Die Filmemacherin Kristina Nikolova hlt sich nicht mit biografischen Details des Knstlers auf. Sein Werdegang wird nicht beleuchtet, die abgebrochenen Opern- und Schauspiel-Ausbildungen, das Studium in Amsterdam, sein Engagement in Brssel, wo er einen Performanceraum erffnete, in dem junge internationale Knstler*innen prsentiert werden.

Gewalt im Elternhaus

Stattdessen verfolgt sie einen Direct-Cinema-Ansatz: Die Regisseurin beobachtet Ivo bei seinen Konzerten, bei Besprechungen, beim Versuch, in den USA Fu zu fassen. Vor dem Weihnachtsbaum am Rockefeller-Center singt er ein Loblied auf die Baniza, die bulgarische Variante eines Breks. Doch jemand vertreibt ihn von dort.

Es ist offensichtlich schwer, die Person hinter der Kunstfigur zu greifen. Es gelingt in wenigen Momenten, die dafr umso aufschlussreicher sind. Ivo meint etwa, jedes Kind werde diskriminiert, wenn es anders tickt als die Eltern das habe nichts damit zu tun gehabt, dass er schwul ist. Spter erzhlt er dann, dass sein Vater ihn geschlagen hat der streitet das ab.

Ivos Kunst knallt, der Film aber nicht

Seine Mutter sagt, Ivo sei die Liebe ihres Lebens, auf einem seiner Konzerte war sie aber noch nie. Stattdessen hre sie seine Songs bers Internet. Es ist ein offenbar schwieriges Verhltnis, eine Hassliebe.

«In Hell with Ivo» zeigt einmal mehr die groe Schwierigkeit von Dokus ber extravagante Knstler*innen: Der Film kann in seiner Machart kaum mit einer Person mithalten, die so wild, schrill, vielseitig und alles in allem extrem ist. Ivo Dimchevs Performances knallen, die Doku aber nicht. Sie gibt einen klitzekleinen Einblick in ein Knstlerleben, der neugierig macht, noch mehr zu entdecken, und der Ivos groen Mut anerkennt. Ihm aber als Person und als Knstler gerecht zu werden, das ist wohl kaum mglich.

Viele Dokus auch im Stream

Die Dokumentation feiert am 9. Mai 2024 ihre Weltpremiere beim DOK.fest Mnchen, Deutschlands grtem Dokumentarfilmfestival. Unter den 105 in diesem Jahr gezeigten Filmen ist die Queer-Quote jedoch bemerkenswert gering.

«In Hell with Ivo» ist Teil der Programmreihe «About Art» und kann auch online gestreamt werden. In derselben Reihe luft auch «We All Bleed Red» ber den Fotografen Martin Schoeller, dessen Projekte Einblicke in diverse und queere Lebenswelten erffnen.