Schwul? Muslim? Franzose?  Alles auf einmal
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Schwul? Muslim? Franzose? Alles auf einmal

Eine Gandoura ist eines der traditionellen Kleidungsstcke Marokkos und ganz Nordafrikas. Eine leichte Tunika, die bis zu den Kncheln reicht, meist einfarbig, oft mit charakteristischer Stickerei um den Kragen und die Brust nach unten, etwa bis zum Bauchnabel.

Doch Marouane Bakhti, Autor und Ich-Erzhler, trgt seine Gandoura einmal wie ein trgerloses Kleid. Sein Vater ohrfeigt ihn dafr, er wird zum «Monster der Mnnlichkeit, ein Monster aus einem idiotischen fremden Land mit einer ekelhaften misogynen Kultur». Ein Tag, der ihm die Augen ffnet.

Wozu sich festlegen?

Marouane Bakhti, geboren 1997, hat eine franzsische Mutter und einen marokkanischen, nach Frankreich eingewanderten Vater. Er wchst lndlich auf. Und er merkt schon frh, dass er schwul ist. Von auen entsteht der Druck, sich einer Identitt zugehrig zu fhlen. Was ist er denn nun? Muslim oder Franzose? Schwul oder Marokkaner? Doch der Autor und Journalist weigert sich, sich festzulegen. Wozu auch?

In seinem Buch «Wie man aus der Welt verschwindet» (Amazon-Affiliate-Link ) beschreibt er, wie ihn seine verschiedenen Identittsmerkmale zu einem Ganzen machen oder zumindest machen knnten, wenn es nicht immer wieder Fragen, Unsicherheiten, Verwerfungen gbe.

In der Schule angespuckt

Es beginnt damit, dass er der Provinz den Rcken kehrt, um «die tristen grnen Flecken auf den groen grauen Ebenen» hinter sich zu lassen, in Paris will er «die erotische Wste ausmerzen, in der ich so lange umherirrte». Er wuchs in einem homophoben Umfeld auf, wird in der Schule angespuckt, und dann fragt der Vater auch noch, wieso er Sport nicht so sehr mag wie die anderen Jungen.

Marouane Bakhti schreibt das alles lose auf, nicht chronologisch, sondern notizenhaft, fragmentarisch, mal in Erinnerungen, dann in Reflexionen, zwischendurch auch in Dialogen. Das ist anfangs gewhnungsbedrftig, und die ersten Seiten sollten nicht abschrecken. Denn «Wie man aus der Welt verschwindet» ist keine gewhnliche Lektre, aber eine, die lohnt.

«Mir gefllt die Vorstellung, dass sich die Leute in meinem Buch verlieren»

Denn auch wenn es schwer ist, sich dem Buch zu nhern, es bildet dennoch ein groes Ganzes. Das muss enorm viel Kraft gekostet haben. Die Fragmente zu schreiben, sei ein natrlicher Prozess gewesen, erzhlt er in einem Interview mit der «London Review of Books», doch die Zusammenstellung sei ein «Herkulesaufgabe» gewesen.

«Ich glaube nicht, dass ich schreibe, um verstanden zu werden. Mir gefllt die Vorstellung, dass sich die Leute in meinem Buch verlieren», ergnzt er. Und es ist gar nicht so unwahrscheinlich, dass sich viele Leser*­innen darin verlieren werden. Denn teilweise schweift er ab, schreibt unzusammenhngend, kommt dann in einen brachialen Gedankenstrom, findet auer- und ungewhnliche Metaphern und Symbole, schreibt vor Kraft strotzend, dass es einem entgegenschreit bemerkenswert ins Deutsche bertragen von Arabel Summent.

Der Versuch, religis zu werden

Er habe, so erzhlt er es, all die Fragmente ausgedruckt, vor sich ausgebreitet und dann zusammengesetzt. Dabei nutzt er zwei Fixpunkte als Skelett: zwei Todesflle in seiner Familie in Marokko. Dazu fgt sich der Rest des Textes wie eine Collage.

Marouane Bakhti beschreibt seine Identittssuche, zu der etwa auch gehrt, jede Nacht zu beten, um «der Religise in der Familie» zu sein. Bis ihn seine Cousins besuchen und ber seine falschen Gebete lachen. Sein Vater beherrscht sie selbst nicht, er konnte sie dem Sohn nicht richtig beibringen.

Mnner wollen den «Araber in mir»

Zur Suche gehrt auch, mit Frankreich zu fremdeln, dem Land, das die Heimat eines Teils seiner Familie kolonisiert hat. Und schlielich, Mnner zu treffen, die den «Araber in mir» begehren, an einem Bahnhof cruisen zu gehen, sich spter in S. zu verlieben wo der Autor dann angesichts der berforderung der Liebe ganz kitschig wird.

Marouane Bakhti hat eine poetische, komplexe Selbstannherung geschrieben, die viele Fragen stellt, nach Vershnung sucht, und dabei keine finalen Antworten gibt. Der Titel ist dahingehend vielleicht sogar missverstndlich. Denn es geht ums Ankommen mindestens genauso sehr wie ums Verschwinden.

Das ist nicht nur fr all diejenigen interessant, die sich hnliche Fragen stellen sondern fr alle. Oder, in den Worten von Susan Sontag: Literatur ist auch dafr da, um uns bewusst zu machen, «dass andere Menschen, Menschen, die anders sind als wir, wirklich existieren.»

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