Warum wir Judith Butlers «Achse des Widerstands» brauchen
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Warum wir Judith Butlers «Achse des Widerstands» brauchen

Kaum meldet sich Judith Butler zu Wort sind auch schon die blichen Verdchtigen am Start und wettern gegen das Hassobjekt Gendertheorie, die sie «Gender-Ideologie» nennen, um doch nur zu beweisen, dass sie nicht richtig lesen knnen. Butler htte wahrlich intelligentere Kritiker*innen verdient. Aber so ist das eben im Leben wir suchen uns unsere Feinde nicht aus.

Worum geht es? Butler antwortet in der «London Review of Books» auf Trumps Dekret Nr. 14168. Das ist das Dekret, mit dem der US-Prsident uns die reproduktive Biologie erklrt. Es gebe nur die zwei «biologischen» Geschlechter Frau und Mann, die entweder groe oder kleine Zellen zum Zwecke unserer Fortpflanzung produzieren.

Fein, wer hat eigentlich die Funktionsweise unserer menschlichen Vermehrung angezweifelt? Aber es geht ja auch um was ganz anderes und das stellt Butler in dem Artikel zu Recht ausfhrlich und in aller Deutlichkeit klar. Denn es geht, wenn wir so wollen, um eine Ausbrgerung der trans Community aus der Geschlechterordnung, um eine dauerhafte Abschiebung ins Reich der Fiktion. Und es geht darum, mit dem «biologischen Geschlecht» die gesellschaftlich konstruierten Geschlechterrollen aufrechtzuerhalten.

Wie umgehen mit der Zwei-Geschlechter-Debatte?

Ich mchte die Gelegenheit nutzen, um ein paar strategische Gedanken loszuwerden, wie wir mit der Zwei-Geschlechter-Debatte umgehen sollten, die eigentlich keine Debatte, sondern ein Dogma ist. Gleich ob Debatte oder Dogma sie hngen uns so oder so wie Scheie am Hacken, um es recht unfein, aber durchaus passend auszudrcken. Die Frage bleibt, wie aber machen wir begreiflich, dass trans Krper auch biologisch sind und binr keineswegs das Gegenteil von trans bedeutet? Ich habe diese Frage in meinem Essay «Auerhalb oder innerhalb der Binaritt?» zu beantworten versucht.

Doch zunchst ein Blick in die «London Review of Books», wo wir Butlers Antwort vom 21. Mrz unter dem Titel «This is Wrong» finden. Butler benennt als einen Antrieb in Trumps Politik die berwindung der Rechtsstaatlichkeit. Er will die Grenzen autoritrer Macht austesten durch Verngstigung und Verunsicherung. Zweifeln wir daran? Wohl kaum. Es ist keine neue Erkenntnis, aber wir sollten in diesem Zusammenhang auch verstehen, dass die Zweigeschlechtlichkeit nur eine vorgeschobene Debatte ist, denn es geht um viel, viel mehr.

Die «Verteidigung von Frauen vor Extremismus der Gender-Ideologie und Wiederherstellung der biologischen Wahrheit in der Bundesregierung», so der Titel der Durchfhrungsverordnung 14168, sie funktioniert als Teil der politischen Taktik, sie ist Ablenkung und dient zugleich der Stimmungsmache. Denn natrlich werden die meisten Menschen sagen: Ja, es gibt nur Frau und Mann, und diejenigen, die sich trans und nichtbinr nennen, kamen irgendwann eindeutig weiblich oder mnnlich auf die Welt und das sollen sie bleiben. Und schon sitzen jene mit in dem Riesentanker namens «biologische Wahrheit».

Dass wir auch eine Wahrheit verkrpern, wird dann abwechselnd als Bedrohung oder als Witz gesehen. Das heit, unser kleines Boot hat gegen den Riesentanker keine Chance. Darum gehen wir auch zuverlssig baden, wenn wir in diese Diskussion einsteigen und beispielsweise ber die Vielfalt in der Natur sprechen, wo immer es um Chromosomen, Keimdrsen, Genitalien und Hormone geht so redlich das alles gemeint sein mag. Um ehrlich zu sein, geht das ebenso an der trans Wirklichkeit vorbei wie Trumps «biologische Wahrheit».

Eine nicht wahrnehmbare Dimension des Geschlechts

Zunchst noch ein Blick in Butlers Antwort an Trump: Rekapituliert wird, wie die transfeindliche «Party» in den letzten Jahren in den USA in Schwung kam, die mit Trump einen spten Partygast erhielt, wie Butler bemerkt. Dass ihm transfreundliche Gerichtsurteile, die es glcklicherweise auch gibt, ein Dorn im Auge sind, muss nicht erklrt werden. Also warnt er im Dekret vor «Fehlinterpretationen» gewisser Gerichtsurteile. Gemeint ist damit eine Entscheidung des Supreme Court von 2020 im Fall Bostock gegen Clayton County. Es entschied, die diskriminierende Behandlung von trans Personen kann «rechtlich als Diskriminierung aufgrund des Geschlechts angesehen werden». Genau das will das Dekret boykottieren.

Deshalb verfiel jetzt die Trump-Regierung auf die Samen- und Eizellen. Sie sollen «der unvernderliche Unterschied zwischen Frau und Mann sein», so Trumps Politik, und somit «eine nicht wahrnehmbare Dimension des Geschlechts», wie Butler wiederum anmerkt. Damit soll dem Gerichtsurteil der Boden entzogen werden, indem trans Menschen weiter und sozusagen diskriminierungsfrei ihre trans Weiblichkeit beziehungsweise trans Mnnlichkeit abgesprochen werden kann.

Butler versucht bemerkenswert ruhig und sachlich zu argumentieren und vor allem verstndlich zu bleiben. Dennoch, es ist vergeblich, weil es die Adressaten gar nicht erreicht. Trotzdem muss dagegengehalten werden, allerdings ohne uns im «biologischen Geschlecht» zu verheddern. Meine Antwort ist inzwischen: Ja, gewiss gibt es mit Frau und Mann zwei Geschlechter. Und wo ist jetzt das Problem?

Ebenso klar erkennt Butler, wie hier cis Frauen im Namen eines angeblichen Feminismus als Opfer von trans Frauen instrumentalisiert werden. «Die vermeintlich feministische Absicht der Erklrung wird durch die Tatsache widerlegt, dass trans Mnner nicht einmal eine Erwhnung wert sind.» Die Rache richtet sich allein gegen trans Frauen. Aber Sicherheit und Wohlergehen der Frauen schtzt man nicht, so Butler, «indem man einer anderen Gruppe Wrde, Sicherheit und Wohlergehen vorenthlt». Genau das geschieht gerade.

Untersttzung fr Butler aus dem Feuilleton

Der Soziologe Finn Mackay, selbst trans, stand Butler zur Seite, als er in der Zeitung «The Guardian» kommentierte: «Mehr als 30 Jahre nach ‹Gender Trouble› muss Butler immer noch erklren, nie gesagt zu haben, dass das Geschlecht keine Rolle spielt.» Niemand bei Verstand leugnet anatomische Fakten, und schon gar nicht Butler, aber aus ihnen ist weder ableitbar, dass trans Krper nicht ebenso ein Fakt sind, noch dass sie etwas ber Geschlechterrollen aussagen.

brigens hat Butler gerade im letzten Jahr ein neues Buch herausgebracht: «Who’s Afraid of Gender?». Finn Mackay empfiehlt es wrmstens und kann sich Butlers Forderung, eine «Achse des Widerstands» zu bilden nur anschlieen. Auch Adrian Daub empfiehlt dieses Buch in der «Wochenzeitung» (WOZ) und erinnert, dass es sich bei der Gender-Debatte um einen reaktionren Diskurs handelt, «der mit dem Nimbus einer Wissenschaftlichkeit spricht».

Unser Grundproblem bleibt, dass wir nicht wissen, warum es trans gibt. Und das nutzt die Transfeindlichkeit schamlos aus, von wem auch immer sie betrieben wird. Das sogenannte biologische Geschlecht ist dann stets die billigste Waffe gegen uns, ob mit oder ohne Keimzellen, hinter der zugleich die kulturelle bermacht der Heteronormativitt steht, um uns zu sagen: Euch gibt es nicht.

Hat eure Biologie auch ein Gehirn?

Um nichts anderes als die Entwertung unserer Krper und die Infragestellung unserer menschlichen Echtheit geht es. Hier mit Argumenten dagegenzuhalten, erscheint mir sinnlos. Fr mich gibt es an dieser Stelle nur eine Gegenfrage: Hat eure Biologie auch ein Gehirn? Nein, hat sie eben nicht. Aber wer trans ist, hat nun mal ein Bewusstsein, trans zu sein. Erklrt mir erst mal, wie das zustande kommt, dann knnen wir auch ber kleine und groe Zellen sprechen und was sie mit trans zu haben.

Dass sich einige in der trans Community dem Dogma der zwei Geschlechter anschlieen, ist mindestens peinlich. Weil sie doch wirklich wissen sollten, worum es bei trans geht. Dass sie damit auch die Kampagne befeuern, trans Frauen seien gefhrliche Monster und eine Bedrohung fr cis Frauen, nenne ich allerdings pervers. Sie vergessen, dass sie von Trump, Putin und Orbn genauso rausgeschmissen werden aus der Gesellschaft wie die Community im Ganzen.

Ich wette, dass die wenigsten, die Butler verteufeln, Butlers grundlegende Werke zur Gendertheorie wirklich gelesen haben, sondern immer nur, was andere an Verdrehungen und Missverstndnissen reproduzieren. Denn das ist auch so eine Krankheit unserer Zeit, das Wissen aus zweiter und dritter Hand und was man so vom Hren-Sagen wei. Das Nicht-Wissen ist Trumpf, weil es ja auch nur um die hassgeleiteten Tiefschlge gegen uns geht, um bloe Affekte.

Um nicht falsch verstanden zu werden, meine Gesprchsverweigerung in Fragen «biologisches Geschlecht» ist kein Aufruf zum Pessimismus, obschon mir klar ist, dass unsere Gegner*innen gar keine Argumente hren wollen. Ebenso klar ist mir, wir haben Verbndete und Menschen, die auf unserer Seite stehen, ob aus Menschenfreundlichkeit oder aus Vernunft oder aus berzeugung. Wir brauchen noch mehr Bndnisse und gerne Butlers «Achse des Widerstands».