
Ein queerer Herrscher: Die subversive Mnnlichkeit des Echnaton
Die Idee war, ihn zu einer schwulen Ikone zu stilisieren zur ersten Galionsfigur der Emanzipationsgeschichte, die so gesehen ihren Anfang bereits im Altertum htte. Echnaton: ein exzentrischer Pharao und Freidenker, der eine bis dahin nie dagewesene religise, kulturelle und soziale Revolution von oben angezettelt und seinen jngeren Geliebten Semenchkare gegen alle Widerstnde zum Mitregenten eingesetzt hat. So in etwa hatte Derek Jarman, der Grndungsvater des New Queer Cinema, den Handlungsbogen fr ein geplantes Filmprojekt skizziert, das bis zu seinem Tod 1994 jedoch nie realisiert wurde.
Bei dem bereits in den 1970er Jahren dafr ausgearbeiteten Skript handelte es sich freilich um eine knstlerische Zuspitzung, fr deren Plausibilitt einige selektiv ausgewhlte Fundstcke aus der Historie eingesetzt und dabei frei interpretiert wurden.
ber Echnaton gibt es viele Spekulationen
hnliche Mutmaungen um Echnatons Sexualitt gibt es indes zuhauf beflgelt durch seine geschlechtlich fluiden Darstellungen in der Kunstgeschichte. Kolossalstatuen zeigen ihn nackt, mit unbestimmbaren Geschlechtsorganen. Auf Reliefs ist er mit schweren Lidern, vollen Lippen und weichen Krperumrissen abgebildet in grtmglichem Kontrast zu den kriegerischen und heroisch-verklrten Abbildern seiner Vorgnger. Eine Bste im Luxor-Museum zeigt ihn mit weiblicher Brust.
Davon abgesehen sind sich Historiker*innen einig, dass der Pharao whrend seiner Regierungszeit mit jahrtausendealten Konventionen bezglich Kunst, Religion und gesellschaftlicher Ordnung brach.
Alles, was Echnatons geschlechtliche Identitt betrifft, seine sexuelle Orientierung oder die Rolle Semenchkares an seiner Seite, gilt hingegen als umstritten: War der sptere Co-Regent wirklich Echnatons Liebhaber oder doch eher ein Sohn Echnatons aus einer auerehelichen Beziehung? Oder verbirgt sich hinter Semenchkare das Pseudonym von Echnatons Gemahlin Nefertiti (Nofrete), die sich zur Machtbeteiligung einen mnnlichen Namen geben musste? Mit jedem neuen Fundstck, das die Archologie aus den sprlichen berresten von Echnatons gegrndeter Hauptstadt Achet-Aton zutage frdert, schieen neue Spekulationen ins Kraut.
Sind Echnaton und dipus identisch?
Der Nachwelt bietet sich Echnaton jedenfalls als ideale Projektionsflche fr die schillerndsten Hypothesen an. So wird der Pharao als erster Verfechter eines monotheistischen Glaubens hufig mit Moses in Verbindung gebracht. Whrend Sigmund Freud davon berzeugt war, dass Moses der Aton-Priesterschaft Echnatons angehrte, glauben andere wiederum, dass es sich bei beiden um ein und dieselbe Person handelt.
Genauso plausibel wie unbewiesen ist eine andere populre Theorie, der zufolge Echnaton mit der mythologischen Figur des dipus identisch ist. Verwiesen wird dabei auf die allzu enge Mutterbindung von beiden, auf Echnatons sinnbildliche Ermordung des Patriarchats und die namentliche bereinstimmung ihrer beider Heimatstdte, das griechische und das gyptische Theben. Das Auftauchen einer Sphinx in einem griechischen Mythos wird in dieser Lesart als ein Wink mit dem Zaunpfahl verstanden.
Philipp Glass› Oper feierte 1984 Urauffhrung in Stuttgart
Kein anderer als Philipp Glass wurde von der Stuttgarter Oper dazu beauftragt, den Echnaton-Mythos musikalisch zu dramatisieren. Im Jahr 1984 fand dort die Urauffhrung statt. Der Komponist widerstand den Verlockungen des allzu Spekulativen und berlie es den historischen Fundstcken, fr sich selbst zu sprechen in einer Kunstform, die sich als musikalische Archologie bezeichnen lsst. Er wendet dabei einen besonderen Kniff an, indem er auf eine dialogische Dramaturgie des Geschehens verzichtet und stattdessen ausschlielich berlieferte Texte sprechen lsst: Begleitet vom Orchester, erklingen diese Stimmen in den jeweiligen Originalsprachen: das Totenbuch, Echnatons Sonnenhymne, ein Bibel-Psalm sowie Briefe und Inschriften auf Stelen. Am Ende wird sogar aus einem zeitgenssischen Reisefhrer zitiert. Der geheimnisvolle Semenchkare, dessen Identitt in der Forschung letztlich ungeklrt bleibt, kommt in der Oper nicht zu Wort und bleibt ein Geheimnis.
Mit dem kontrast- und variatonsreichen Einsatz der repetitiven Strukturen seiner Minimal Music verdeutlicht Glass den Machtwechsel zwischen dem alten und neuen Regime. So ertnt whrend des Begrbnisses von Echnatons Vater ein von dem Chor der Priester stakkatoartig gesungener Text aus dem gyptischen Totenbuch begleitet von martialisch eingesetzten Perkussionsinstrumenten, um den archaischen Charakter des alten Reichs zu betonen. Zartfhlend und androgyn erscheint dagegen der mit einem Countertenor besetzte Echnaton, der unter der zurckhaltenden Begleitung von Streichern und Blasinstrumenten der Sonne als Ursprung allen Lebens huldigt.
Im Hintergrund ertnt kurz darauf wie ein Echo der vom Chor leise gesungene Psalm 104 in hebrischer Sprache. Dabei handelt es sich um das alttestamentliche Loblied auf den Schpfer, das inhaltlich den Worten Echnatons gleicht eine Anspielung auf dessen monotheistische Vorbildfunktion und Wirkung, auch lngst nach seinem Tod. In der Verkndigung des neuen Zeitalters an der Seite seiner Mutter Teje und seiner Gemahlin Nefertiti deutet sich die dipale Verstrickung Echnatons an.
Es ist bemerkenswert, dass Teje in der fr eine Mutterrolle unblichen Sopranstimme singt, whrend fr Nefertiti die deutlich weniger romantisch konnotierte Altstimme vorgesehen ist. Im Duett Echnatons mit seiner Mutter spiegelt diese zudem in einer Phrase dessen melodische Bewegung mit einer Verzgerung von einer halben Note und vermittelt so den Eindruck, ihn zu manipulieren.
Aktuelle Inszenierung an der Komischen Oper Berlin
Zu den Hhepunkten der Oper zhlt das Liebesduett Echnatons und Nefertitis. Echnatons Stimme bleibt meist hher als die seiner Gattin, die ihn zunchst zu dominieren scheint, um schlielich doch mit ihm immer wieder auf derselben Tonhhe zu verschmelzen: ein Sinnbild fr die Gleichrangigkeit der beiden Liebenden und fr eine Queerness, die zeitlos wie auch universell erscheint und gleichwohl nicht an moderne Kategorien und Festlegungen gebunden ist. Genau in diesem Sinne hat der Regisseur und ehemalige Intendant der Komischen Oper Barrie Kosky fr seine aktuelle Inszenierung starke, hochsthetische Bilder erschaffen, die fr sich sprechen und das Potential dazu haben, sich auf lange Zeit ins Gedchtnis einzubrennen.
Fesselnd geraten vor allem die Szenen mit dem aus Texas stammenden Schwarzen Countertenor John Holiday, dessen von Klaus Bruns entworfenen opulenten Kostme whrend der zweieinhalbstndigen Auffhrung mehrfach wechseln. Holidays Auftritt als Echnaton im tiefdekollierten Krinolinenkleid lsst den klassischen Reifrock mitunter ein Symbol fr ein ins Groteske verzerrte Frauenbild als ein Zeichen von Souvernitt und Machtbewusstsein erscheinen, und zwar jenseits aller Geschlechtszuschreibungen.
Dass Kosky seine Inszenierung nicht mit plakativ-gyptischer Symbolik berldt, kommt dem Stck zugute. So prsentiert er uns ein von Raum und Zeit los gelstes, meditatives Musiktheater, das man in jeglichem Sinne als minimalistisch bezeichnen kann. Ein Stck, das im Repertoire der Komischen Oper hoffentlich ber viele Spielzeiten erhalten bleibt.
Links zum Thema:
Mehr Infos zur «Echnaton (Akhnaten)»-Inszenierung von Barrie Kosky, Termine und Karten auf der Homepage der Komischen Oper Berlin
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