Ein queerpolitisches Sparprogramm
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Ein queerpolitisches Sparprogramm

Dass mit der Union im wahrsten Sinne des Wortes kein queerer Staat zu machen ist, das haben wir gewusst. Deshalb berrascht mich nicht, dass im Koalitionsvertrag (PDF) der nchsten Regierung nur zweimal das Wort queer vorkommt, wie uns Alfonso Pantisano (Queerbeauftragter in Berlin) auf Instagram mitteilt. berraschen kann mich nur, womit ich nicht rechne. Zu befrchten war ja bis Mittwochnachmittag, dass es nicht nur Stillstand, sondern Kahlschlag geben wrde.

Dass es nicht so gekommen ist, das ist auf jeden Fall ein Verdienst der SPD und mal ehrlich: Dank, wem Dank gebhrt. Dazu gehrt auf jeden Fall, dass das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) nicht abgeschafft wird, wie es noch im Wahlprogramm der Union hie. Es wird eine Evaluierung geben, aber die htte es so oder so gegeben, denn sie war bereits im SBGG festgeschrieben (sogar mit Termin) und wre in der neuen Legislaturperiode ohnehin fllig geworden. Ein paar Haken wurden trotzdem eingebaut. Ich komme darauf zurck.

Die goldenen Jahre der Ampelregierung

Wir werden die leider zu Ende gegangenen drei goldenen Jahre der Ampelregierung als kleines historisches Wunder erinnern, das wir, wenn berhaupt, so schnell nicht wieder erleben werden. Die wehmtige Erinnerung daran hat bei mir schon lngst angefangen. Nach der Prsentation des Koalitionsvertrags empfinde ich trotzdem Freude und Genugtuung, und zwar darber, dass unsere Gegner*innen und einige in der Community mit dem Koalitionsvertrag nicht serviert bekommen haben, womit sie fest gerechnet hatten. Knnte man Schadenfreude nennen, ist aber nur Gerechtigkeitssinn.

Und womit haben sie fest gerechnet? Zum Beispiel damit: «Union will Self ID abschaffen und das ist richtig!» Das war die berschrift eines Kommentars auf der Webseite der Initiative Queer Nations. Namen mssen wir wohl nicht nennen. Worber wir ebenso wenig berrascht sein knnen, weil dort schlielich nur gegen das SBGG gewettert wurde und was das doch fr eine groe Gefahr bedeute. Und weil dort beispielsweise schon immer gefordert wird, die Selbstauskunft in Fragen der Geschlechtszugehrigkeit durch die alte Gutachtenpraxis des Transsexuellengesetzes zu ersetzen. Lassen wir das, manches berholt sich von selbst mit einem Verfallsdatum, das schon von Anfang an abgelaufen ist.

Reform des Abstammungsrechts liegt auf Eis

Was aber ist denn im Koalitionsvertrag brig geblieben fr die queere Community? Immerhin: Das Bundesprogramm «Demokratie leben», mit dem zivilgesellschaftliche Organisationen gefrdert werden, bleibt. Das war der Union ein Dorn im Auge, was man an ihrer Anfrage (die original nach AfD roch) an die scheidende Bundesregierung mit den berhmten 551 Fragen zu NGOs unschwer ablesen konnte. Dennoch drfen wir gespannt sein, wie es monetr damit weitergeht. Denn das knnte ja noch ein Haken sein.

Bleiben wird auf der politischen Agenda ebenfalls die AGG-Reform: «Benachteiligungen und Diskriminierungen sind Gift fr gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung. Deshalb strken und verbessern wir den Diskriminierungsschutz.» Die Reform des Abstammungsrechts (wichtig fr Regenbogenfamilien und trans Eltern), das immerhin schon mal als Referentenentwurf der Ampelregierung existierte, liegt irgendwo versteckt auf Eis. Und von reproduktiver Selbstbestimmung ( 218) ist ebenfalls weit und breit nichts zu finden.

Zum Thema Sexarbeit und Prostituiertenschutzgesetz lesen wir dies: «Deutschland ist zu einer Drehscheibe beim Menschenhandel geworden. Die Opfer sind fast ausnahmslos Frauen. Im Lichte der Evaluationsergebnisse zum Prostituiertenschutzgesetz werden wir mit Untersttzung einer unabhngigen Experten-Kommission bei Bedarf nachbessern.» Wenigstens konnte ich vom sogenannten Nordischen Modell nichts finden.

Selbstbestimmung bleibt

Was unter dem Stichwort «geschlechtliche Vielfalt» zu finden ist, hrt sich nett an, klingt aber so unverbindlich, dass es am Ende vielleicht doch nur ein «nice to have» sein wird und Fehlanzeige herrscht ohnehin in Sachen Grundgesetz-nderung Artikel 3. Und dann folgt auch schon ab Zeile 3319 das SBGG: «Wir werden das Gesetz ber die Selbstbestimmung im Bezug auf den Geschlechtseintrag bis sptestens 31. Juli 2026 evaluieren. Wir wahren die Rechte von trans- und intersexuellen Personen. Bei der Evaluation legen wir einen besonderen Fokus auf die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, die Fristsetzungen zum Wechsel des Geschlechtseintrags sowie den wirksamen Schutz von Frauen.»

Womit dann gleich mehrere Haken an der Geschichte offensichtlich werden: Die Union strt der Zugang von Kindern und Jugendlichen zur Selbstbestimmung. Wissen wir. Und was wohl mit dem Schutz der Frauen gemeint ist? Steht da nicht schon genug grober Unfug im SBGG (Stichwort Sauna und Umkleide)? Muss der noch vermehrt werden? Da sind wir mal sehr gespannt, was der knftigen Regierung dazu einfallen wird. Spannend wird deshalb die Evaluierung zum Beispiel wer damit beauftragt wird und ob die Beauftragten wirklich sachlich und fachlich kompetent sein werden.

Der nchste Haken wird dann die nderung des Namensrechts sein. Wir erinnern uns an den Schock, den die Datenbermittlungspflicht im SBGG ausgelst hat, die im letzten Jahr berraschend im Sptsommer den Weg in den Gesetzentwurf fand. Alle Sicherheitsbehrden in diesem Land sollten bis hin zum Zoll von Namensnderungen erfahren. Die flog dann zwar wieder raus, aber meine Prophezeiung war, die kommt auf anderem Wege zurck und siehe da.

Woran zu erkennen ist, auch wenn dieser Koalitionsvertrag nur ein queerpolitisches Sparprogramm auflegt, wir werden es uns nicht leisten knnen, die nchsten Jahre uns zurckzulehnen. Nein, wir werden extrawach und extralaut sein mssen.