
Stolz und queer in Brasilien
So viel Foto war noch nie. berall in Berlin sind im Laufe des Monat Mrz kleinere und grere Fotoausstellungen an genau 104 Ausstellungsorten zu besichtigen. Zu verdanken ist das EMOP, dem European Month of Photography. Einer dieser zahlreichen Kunstorte ja richtig, Kunstorte, denn Fotografie ist Kunst, was einige Zeit brauchte, um Anerkennung zu finden ist die Kominek Galerie im Stadtteil Prenzlauer Berg.
Die Galerie zeigt leider nur an den vier Freitagen im Mrz Fotos der britisch-polnischen Fotografin Kamila K. Stanley, deren Liebe zu Sdamerika ein ganz besonderes Projekt zu verdanken ist, nmlich «Tenho Orgulho». Das ist Portugiesisch und heit bersetzt «Sei stolz». Die Menschen, die Stanley fotografierte, gehren der brasilianischen queeren Community an.
Aufgenommen wurden die Fotos whrend Jair Bolsonaros rechtsextremer Regierung, die zum einen Trans- und Homofeindlichkeit in Brasilien sprbar ansteigen lie und parallel dazu die Umweltzerstrung durch das Abholzen riesiger Flchen des Amazonas-Regenwalds.
Eine beeindruckende Prsenz in den Portrts
Von der Gewalt gegen Menschen und gegen die Natur sehen wir in den Fotos allerdings nichts, stattdessen das genaue Gegenteil und das mit Absicht eine beeindruckende Prsenz in den Portrts, in denen das Motto «Sei stolz» in den unterschiedlichsten Klangfarben sthetisch ausbuchstabiert wird. Hier ist es ein lesbisches Paar im dunstigen Licht, das in die Kamera blickt, dabei eng aneinandergeschmiegt. Der feste Blick, der uns direkt trifft, verrt so gut wie nichts, auer vielleicht: Wir gehren uns und wir beschtzen uns einander.
Auf einem anderen Portrtfoto ist es ein Schwarzer Krper wie eine makellose antike Statue, der frmlich in den wei-blauen Himmel hineinragt. Der junge Mann geniet mit geschlossenen Augen ein rosafarbenes Eis am Stiel. So zurckhaltend und in sich ruhend das eine Foto den Stolz auf das So-wir-sind inszeniert, so unmittelbar prsent und dynamisch, vermischt mit ein wenig Selbstironie, kommt der Stolz in dem anderen Foto zur Geltung.
Auf einem weiteren Foto noch einmal ein Schwarzer junger Mann vor einer dunkelgrnen Bltterwand, beide Arme hochgestreckt, der eine Arm dabei berm Kopf angewinkelt und den anderen Arm greifend. Auch hier ein direkter Blick in die Kamera und so auf uns, die wir das Foto betrachten. Das blau-orange Top korrespondiert mit dem orangegefrbten Haar. Den Blick drfen wir sinnlich, auch gedankenversunken nennen. Hier wohl ein eher verhaltener Stolz, trumerisch-sinnlich.
Queere Wunsch-Fotos
Die Portrtierten bestimmten, wie sie portrtiert werden wollten. Die Fotografin erklrte das so: «Ich bin daran interessiert, die Handlungsfhigkeit innerhalb unseres Mediums neu zu berdenken, und ich wollte Portrts schaffen, auf die die Menschen stolz sind. Alle, mit denen ich zusammengearbeitet habe, spielten eine aktive Rolle bei der Gestaltung ihres Bildes: Ort, Styling, Pose und Beleuchtung. Es ging darum, wirklich zuzuhren, wie sie gesehen werden wollten.»
Diese Arbeitsweise ist ohne Frage verdienstvoll, weil erkennbar empowernd, und die Resultate beeindrucken allemal in ihrer Schnheit mit all den perfekten Krpern. Womit sich fr mich die Frage stellt: Wer wurde gesehen und wer bersehen? Denn sind wir alle nur jung und schn, um auf unsere Queerness stolz zu sein? Und noch etwas fiel auf: Stanley arbeitet viel fr die Mode-Branche. Vergleicht man diese Fotos mit denen aus dem Projekt «Tenha Orgulho» zeigt sich eine sehr hnliche, fast identische sthetik.
Natrlich faszinieren die Fotos auch gerade deshalb. Wem wrde Schnheit nicht gefallen! Und weil es sich hier gewissermaen um Wunsch-Fotos handelt, macht dies die Sache eher komplizierter. Das spricht nicht gegen die queeren Fotos, aber sie zeigen, welche Macht die schne bunte, hipe und edgy Konsumwelt auf unsere Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung ausbt. Auf vielen Fotos knnte mhelos eines der begehrten Mode-Labels platziert werden, und es erschiene wie gemacht dafr. Ich finde, das ist ein nicht unbedeutender Aspekt.
Stanley versteht das Foto-Projekt als Dokumentation der queeren Community in Brasilien. Das hat mich wiederum an eine andere Foto-Dokumentation erinnert. Diese Arbeit stammt von Zanele Muholi, eine Schwarze, nichtbinre Fotograf*in in Sdafrika, die die dortige queere Community seit nunmehr 20 Jahren fotografisch und filmisch mit dem Projekt «Faces and Phases» dokumentiert, um so ein queeres Archiv entstehen zu lassen. Bei Muholi wird niemand vergessen, bei Stanley bin ich mir da nicht ganz sicher schn und wertvoll ist das Ergebnis gleichwohl.
Links zum Thema:
Homepage der Kominek Galerie
Homepage von Kamila K. Stanley
Mehr queere Kultur:
auf sissymag.de