
Tarnt sich hier schwule Kunst als religise Kunst?
Michelangelo Buonarroti (1475-1564), oft nur Michelangelo genannt, war Maler, Bildhauer, Dichter und gilt als einer der bedeutendsten Knstler der italienischen Renaissance. Zu seinen berhmtesten Werken gehren die Skulptur «David» in Florenz und das Deckenfresko in der Sixtinischen Kapelle in Rom. «Die Erschaffung Adams» ist ein oft reproduzierter Ausschnitt aus diesem Fresko.
Im folgenden Text mchte ich nicht nur Michelangelos knstlerisches Werk und sein Privatleben, sondern auch die Rezeption in der frhen Homosexuellenbewegung und seine heutige Bedeutung beleuchten. Dieser Artikel ist eine Ergnzung meiner beiden bisherigen queer.de-Artikel ber den italienischen Universalgelehrten Leonardo da Vinci (1452-1519) und den italienischen Bildhauer Benvenuto Cellini (1500-1571).
Michelangelos knstlerisches Werk
Zunchst mchte ich aus Michelangelos Gesamtwerk sieben Kunstwerke vorstellen, die aus unterschiedlichen Grnden eine besondere schwule Bedeutung haben.
Seine Skulptur «David» die Ikone schwulen Begehrens
Der 26-jhrige Michelangelo erhielt 1501 den Auftrag fr eine kolossale Davidstatue, die am 8. September 1504 in Florenz feierlich enthllt wurde und die in Anlehnung an die biblische Geschichte David in Vorbereitung auf den Kampf gegen Goliath zeigt.
Fr den Literaturwissenschaftler Wolfgang Popp («Der biblische David als schwule Ikone der Kunst und Literatur», in: «Ikonen des Begehrens. Bildsprachen der mnnlichen und weiblichen Homosexualitt in Literatur und Kunst», 1997, S. 67-100) ist der «David des Michelangelo () wohl eine der bekanntesten Ikonen schwulen Begehrens (). In Wohnungen Homosexueller galt und gilt er als Signal zur dezenten Offenbarung der sexuellen/erotischen Orientierung des Wohnungsinhabers. Mit gleicher Botschaft steht der David in voller Nacktheit oder nur als Bste in schwulen Saunen, Kneipen, Restaurants oder auch in Schaufenstern von Herren-Boutiquen. () Da von Michelangelo relativ unzweideutig bekannt ist, da er den erotischen, begehrenden Blick des Mannes auf den Mann kannte, wird und mu es dieser Blick auf den biblischen David gewesen sein, der den Meister diese Marmorstatue mit dieser erotischen Ausstrahlung schaffen lie.»
Als ich diesen Text von Popp las, fiel mir spontan die kleine Davidstatuette (mit Feigenblatt!) ein, die seit Jahren im Speiseraum der Akademie Waldschlsschen steht. Eine grere Nachbildung der Statue steht auch in meiner Kche. Fr Klner*innen wurde David als Ikone des schwulen Begehrens deutlich, als es hier 2006 die Ausstellung «Das achte Feld» zu sehen gab. Der «Spiegel» (20.8.2006) schrieb dazu: «Kunst vom anderen Rheinufer (). Die Ausstellung ‹Das achte Feld› im Klner Museum Ludwig beschftigt sich mit Formen des Begehrens jenseits des heterosexuellen Mainstreams. () Zur Einstimmung () wurde schon vor Wochen eine schrille rosafarbene Version von Michelangelos ‹David› vor dem Museum installiert, die seitdem hoch ber dem Rhein thront.» Als Eyecatcher und Werbetrger fr die schwule Sache hat diese Statue gut funktioniert.
Seine Skulptur «Bacchus» androgyn und beschwipst
«Bacchus» (1496-1497) ist eine rund zwei Meter groe Statue von Michelangelo, die Bacchus (bzw. Dionysos), den griechisch-rmischen Gott des Weins, darstellt und sich im Museo Nazionale del Bargello in Florenz befindet. Der nackte Krper des jugendlichen Gottes wirkt leicht feminin und schwankend, was offenbar Betrunkenheit suggerieren soll. An seiner Seite befindet sich ein kleiner bockbeiniger Satyr mit Hrnern.
Andreas Sternweiler hat in seinem Buch «Die Lust der Gtter. Homosexualitt in der italienischen Kunst. Von Donatello zu Caravaggio» (1993) drei Knstler fokussiert, zu denen (neben den im Buchtitel genannten) auch Michelangelo (S. 102-207) gehrt. Sternweiler: «Als Projektion von Sexualitt und Homosexualitt auf die Ebene der antiken Gtter ist Michelangelos Bacchus ein prgendes Beispiel fr die Darstellung antiker Liebesabenteuer als erotischer Allegorien.» Die Trunkenheit und die Androgynitt Bacchus› werden von Michelangelo positiv dargestellt. Zum Faun zu seinen Fen vermerkt Sternweiler: «In ihrer halb menschlichen, halb tierischen Krperlichkeit wurden sie seit der Antike mit animalischen Begierden, freier Sexualitt, Lust und Sinnlichkeit verbunden.» Dem Faun, der von Bacchus› Weintrauben nascht, wird in der Kunstgeschichtsforschung daher eine sexuelle Bedeutung beigemessen und auch aufgrund der antiken Quellen, die mit der Vorstellung von Bacchus verbunden sind, ist anzunehmen, dass Michelangelo hier die Knabenliebe aufgreift. Der Jngling drckt den Umhang an seine Hfte und versucht sein Ges zu bedecken. Fr Sternweiler ist sich Bacchus «also seiner sexuell stimulierenden Nacktheit bewut». «Michelangelos Bacchus mit Satyr entsprach als Bild der Knabenliebe nicht nur dem Zeitgeist, dem Freundschaftseros der Florentiner Neoplatoniker, sondern spiegelt auch seine persnlichen Interessen» wider, was Sternweiler anhand von Michelangelos Liebesgedichten zu belegen versucht.
Seine Skulptur «Der auferstandene Christus» mit einem perfekten Hintern
«Der auferstandene Christus» (ca. 1520) ist eine Skulptur von Michelangelo, die in der Kirche Santa Maria sopra Minerva in Rom aufgestellt ist. Der rechte Arm ist ums Kreuz geschlungen und der Oberkrper gedreht. Smtliche Wundmale oder Gesten des Leidens fehlen.
Axel Krmer («Biblische Schwulenikonen», queer.de, 10. April 2023) hat ber die Hintergrnde dieser Skulptur anlsslich einer Ausstellung in Freising berichtet: «Jesus zeigt sich hier nicht nur fast vollkommen nackt, sondern auch in einer verfhrerischen Pose.» Beide Arme sind «gebeugt, die sich wlbenden Bizeps senden unterschwellig Signale aus vom anatomisch perfekt ausgestalteten Hintern mal ganz zu schweigen. Es kann keinen Zweifel daran geben, dass dieser auferstandene Jesus die Glubigen erotisieren sollte. Ursprnglich war Michelangelos Christus sogar splitternackt. () Michelangelo konnte sich dabei auf die biblische Erzhlung berufen, denn Petrus hatte im leeren Grab das Leichentuch vorgefunden; Jesus kam unmittelbar nach seiner Auferstehung also nicht umhin, vollkommen nackt gewesen zu sein.» Erst nach dem Konzil von Trient (1545-1563) wurde eine solche Nacktheit verboten und ein fanatischer Mnch verstmmelte sogar das Geschlechtsteil dieser Jesus-Figur. Danach wurde dieses nicht rekonstruiert, sondern mit einem Lendentuch aus Bronze verdeckt. Aber es gibt Trost: «Eine Kopie findet sich etwa im Altenburger Lindenau-Museum, ganz ohne Schambedeckung.»
Seine Zeichnung «Die Entfhrung des Ganymed» Ausdruck seiner Liebesglut
Nach der griechischen Mythologie war Ganymed der schnste aller Sterblichen und wurde vom Gttervater Zeus geliebt. In Gestalt eines Adlers entfhrte Zeus Ganymed, der ihm fortan im Olymp als Mundschenk diente. Die (homo-)erotische Bedeutung der Erzhlung hat viele Knstler inspiriert. Michelangelo verarbeitete die Geschichte von Ganymed in den 1530er Jahren in einer Zeichnung, die er Ende 1532 seinem Geliebten Tommaso de› Cavalieri schenkte. Seine Zeichnung ist nicht mehr vorhanden, erhalten sind aber zahlreiche Kopien aus dem Michelangelo-Umkreis.
Eine dieser Zeichnungskopien befindet sich im Prehn’schen Kabinett im Historischen Museum in Frankfurt am Main. «Die Figur des Ganymed ist hier nicht nur im Sinne der neuplatonischen Auslegung als Sinnbild der menschlichen Seele zu deuten, () sondern steht auch ganz konkret fr die Liebesglut () des begehrenden Michelangelo» (Bildersammlung auf der Homepage des Historischen Museums Frankfurt). Eine andere Kopie der Zeichnung Michelangelos hat Joachim S. Hohmann fr das Cover seiner Anthologie «Entstellte Engel. Homosexuelle schreiben» (1983) verwendet, ein Beispiel dafr, wie Michelangelos Zeichnung mit Homosexualitt assoziierbar ist. Als Eyecatcher ist die Gestaltung gelungen, sie ist vor dem Hintergrund, dass es in diesem Buch um schwule Literatur seit 1885 geht, trotzdem unpassend. Auch Andreas Sternweiler (s. o., S. 152-157) geht auf diese Ganymed-Zeichnung ein und vergleicht sie nicht nur mit Ganymed-Darstellungen anderer Knstler, sondern auch mit den Darstellungen anderer gleichgeschlechtlicher Paare wie Apoll und Hyazinth oder Apoll und Cyparissos.
Empfehlen kann ich auch das Buch von James M. Saslow «Ganymede in the Renaissance. Homosexuality in art and society» (1986) mit dem Kapitel «Michelangelo: Myth as personal imagery» (S. 17-62). Auch Jenny Bergel geht in ihrer Arbeit «Michelangelos Ganymed und die Homosexualitt in der italienischen Renaissance» (Studienarbeit an der Uni Wien, 2009) auf die homoerotische Bedeutung der Zeichnung und die Homosexualitt in der florentinischen Renaissance ein.
Seine Skulptur «Der Sieger» ein Outing in Marmor
Zwischen 1533 und 1534 schuf Michelangelo eine Statue, die mit «Der Sieg» oder «Der Sieger» unterschiedliche Namen trgt. Ein nackter Jngling kniet, ohne erkennbare physische Gewaltanwendung, auf einem niedergekauerten lteren Mann. Hier lsst sich die Darstellung von Kontrasten wie Jugend und Alter, Mattheit und Kraft, Gefangenschaft und Freiheit erkennen. Ein Band scheint die beiden Figuren zu verbinden. Die Statue aus Marmor ist rund 2,60 Meter hoch und befindet sich heute im Palazzo Vecchio (Florenz).
Fr Andreas Sternweiler (s. o.) ist «Der Sieg» Michelangelos wichtigste Statue, bei der es um eine «Auseinandersetzung mit der Eros-Beziehung zwischen einem Mann und einem Jngling» gehe und daher das Motiv der Homosexualitt von «zentraler Bedeutung» sei. Die Unterdrckung des lteren «entschlsselt sich als Macht des Eros und der Sexualitt». Dabei rcke das Geschlecht des Jnglings in die Mitte der Figurengruppe und verweise so auf eine erotische Konstellation. In der Haltung des Jnglings, der sein Ges mit dem Umhang bedeckt, sieht Sternweiler die «Abwehr homosexueller Projektionen». Sternweiler ist der Auffassung, dass das durchgehende Band «die beiden als Liebesband aneinanderfesselt und gleichzeitig die Fessel der niederen Begierden versinnbildlicht». Fr Sternweiler ist der ltere Mann eine Selbstdarstellung Michelangelos und zeigt die «Selbstaufgabe im Geliebten» in Form einer freiwilligen Unterwerfung. In der Darstellung des Jnglings spiegele sich «auch Michelangelos persnliche Erfahrung» wider, was Sternweiler (wie auch schon im Fall des «Bacchus») anhand eines von Michelangelos Gedichten zu belegen versucht.
Wolfgang Popp (s. o., S. 92-93) betont, dass nicht nur der «David», sondern auch dieser jugendliche Sieger seine erotische Ausstrahlung dem «sexuell begehrenden Blick auf die Krperschnheit des Jnglings» verdanke. Michelangelo habe sich hier als lterer Mann «mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst portraitiert». Fr Popp ist diese Statue «ein Selbstbekenntnis, ein Outing in Marmor». Auch Sonja Longolius («Eine Analyse der kunsthistorischen Debatte ber Michelangelos Skulptur ‹Sieger'», 2003) greift die homoerotische Deutung dieses Kunstwerkes auf.
Ein sterbender und ein rebellischer Sklave mit Fesseln der Begierde
Das Juliusgrabmal ist ein Grabmonument fr Papst Julius II. in der Kirche San Pietro in Vincoli in Rom. Die Ausfhrung des Werks durch Michelangelo erstreckte sich ber rund 40 Jahre (1505-1545). In diesem Zeitraum schuf Michelangelo auch Sklavenfiguren, die wohl fr das Grabmal geplant waren, dort jedoch nicht verwendet wurden. Die beiden Figuren «Der sterbende Sklave» und «Der rebellische Sklave» befinden sich heute im Louvre (Paris).
Nach Andreas Sternweiler (s. o., S. 172-186) sind die Bnder, die um die Oberkrper der beiden Sklaven geschlungen sind, Ausdruck davon, dass die Seele im Krper gefangen ist. Er sieht in den Sklaven «moralische Allegorien» und Symbole der «sndhaften, von ihren physischen Begierden in Knechtschaft gehaltenen Seele». Die beiden Figuren sind unterschiedlich gestaltet, was auch auf unterschiedliche Formen der Auseinandersetzung mit Sexualitt verweisen kann. Der «sterbende Sklave» knne auf Selbstbeherrschung hindeuten und in den Bndern knne man Zgel erkennen, die der Sklave ergreift. Der sterbende Sklave erkenne die Fesseln der Begierde und habe sich ihnen ergeben. Der andere Sklave rebelliere gegen diese Fesseln. Auch bei diesen beiden Figuren vermische sich ein neoplatonischer Gedanke mit einer christlichen Idee.
Michelangelos Liebschaften
Zu den wichtigsten zeitgenssischen Quellen zu Michelangelos Leben und Werk gehrt neben der biografischen Skizze von Giorgio Vasari (1550, hier bersetzung aus der Ausgabe von 1568 im «Projekt Gutenberg») die Biografie von Ascanio Condivi («Das Leben des Michelangelo Buonarroti», 1653, hier deutsche Ausgabe von 1874, S. 147-148), der ein Schler und Mitarbeiter Michelangelos war. Condivi besttigte, dass es Gerchte ber Michelangelos Homosexualitt gab. Seine «Liebe zu krperlicher Schnheit» habe Menschen «veranlat, schlimm von ihm zu denken und ihm bles nachzureden». Dabei so Condivi weiter sei doch auch Alkibiades von Sokrates nur «mit der keuschesten Liebe umfasst» worden, wenn dieser manchmal an Sokrates› Seite geruht habe.
Zu Michelangelos sozialen Kontakten, die wohl dazu fhrten, dass Menschen «schlimm» von ihm dachten, gehrte Cecchino Bracci (1528-1544). Er war ein Schler Michelangelos, den er ber Braccis Onkel Luigi del Riccio kennen gelernt hatte. Als Bracci im Alter von nur 15 Jahren starb, entwarf Michelangelo sein Grabmal und schrieb zahlreiche Gedichte zu seinem Gedenken. Michelangelos Freundschaft mit del Riccio endete, als er erfuhr, dass del Riccio plante, alle seine Bracci gewidmeten Gedichte zu verffentlichen und ihn anflehte, sie zu vernichten. Daneben sind von Michelangelo auch Liebesgedichte an Febo di Poggio bekannt.
Michelangelos wichtigste Freundschaft war die zu Tommaso de› Cavalieri. Ab 1532 war dieser Schler von Michelangelo und mit den Jahren entwickelte sich aus dem Lehrer-Schler-Verhltnis eine intensive Freundschaft, die bis zum Tod Michelangelos hielt. Michelangelo schenkte ihm Zeichnungen und widmete ihm auch einige seiner Sonette, die eine Liebesbeziehung nahelegen. Sie verdeutlichen, dass Michelangelo seine Gefhle offen aussprechen konnte, zeigen aber auch eine schwermtige Leidenschaft. Ein sexuelles Verhltnis wird, auch vor dem Hintergrund von Michelangelos Religiositt, fr eher unwahrscheinlich gehalten.
Michelangelos Gedichte in drei online zugnglichen Ausgaben
Von den verschiedenen deutschen bersetzungen, die es von Michelangelos Gedichten gibt, mchte ich auf drei online verfgbare Ausgaben und auf einige der Kommentare hinweisen.
Gottlob Regis («Michel Angelo Buonarroti’s des Aelteren smmtliche Gedichte italinisch und deutsch», 1842) bersetzte in seiner Ausgabe auch die Liebesgedichte und wies darauf hin, dass die Sonette Nr. 23 (S. 46-47) und Nr. 58-59 (S. 128-131) wohl an Cavalieri gerichtet seien, dem Michelangelo eine «groe Zuneigung» entgegengebracht habe (S. 309, 313). Danach zitiert er Johann Joachim Winckelmann, der sich ber «das Weibliche» in der «groen gewaltigen Natur» Michelangelos geuert habe (S. 331-332, hier S. 331), was als Anspielung auf Homoerotik verstanden werden kann.
Deutlicher werden die beiden Verantwortlichen von «Die Gedichte des Michelangelo Buonarroti» (1896, bersetzer: Walter Robert-Tornow, Herausgeber: Georg Thouret). Fr Georg Thouret sind die meisten von Michelangelos Gedichten «wichtige Urkunden seines geheimsten Wesens» und «Selbstbekenntnisse», die eher einen biografischen als literarischen Wert haben. Michelangelo habe zwar das Nackte in die religise Kunst eingefhrt, sei in seiner Phantasie aber «weniger auf Golgatha als auf dem Olymp zu Hause» gewesen (S. X, XII). In dieser Ausgabe wird deutlich angemerkt, welche Gedichte an Cavalieri (S. 87-133) bzw. an Febo di Poggio (S. 134-145) gerichtet sind. Nach den Anmerkungen (von Robert-tornow oder Thouret) war Cavalieri «in jungen Jahren Michelangelos Liebling», dem der Knstler «schwrmerische Gedichte» gewidmet habe. «Uebrigens wird sich kein Kenner hellenischer () Poesie ber (Michelangelos) Empfindungen () verwundern», denn «was uns befremdet», sei ein «Nachklang der antiken Welt» (S. 416-417).
Die Auswahlausgabe «Michelangelo. Gedichte und Briefe» (1907) wurde von dem spter als katholischer Theologe berhmt gewordenen Romano Guardini herausgegeben, der hierfr Texte von fnf bersetzern auswhlte. In seiner Einleitung zitiert auch er Michelangelos Biografen Condivi, der ja angegeben hatte, dass Menschen «Schlimmes» von Michelangelo «dachten und sagten» (S. 3). Auch Guardini macht deutlich, welche der Liebesgedichte an Tommaso de› Cavalieri gerichtet sind (S. 50-60, 68-69).
Die Rezeption in der frhen Homosexuellenbewegung
Wer ber die schwule Seite Michelangelos mehr erfahren mchte, hat die Mglichkeit, im Centrum Schwule Geschichte in Kln nach Herzenslust zu stbern. Bei meiner Recherche bekam ich den Eindruck, dass das Interesse der Homosexuellenbewegung an Michelangelo so alt ist wie die Bewegung selbst und sich seit deren Anfngen durch die Jahrzehnte zieht.
Es beginnt im deutschen Kaiserreich und setzt sich ber die Weimarer Republik fort. Beispielsweise werden in der Homosexuellenzeitschrift «Der Kreis» (Jg. 1949, Heft 12, S. 16-17) die gemalten nackten Mnnerfiguren an der Decke der Sixtinischen Kapelle beschrieben und einige Jahre spter erschien von der gleichen Zeitschrift sogar ein Schwerpunkt-Heft zu Michelangelos 400. Todestag (Jg. 1964, Heft 3, S. 2-13). In der Schwulenzeitschrift «Torso» (Jg. 1983, Heft 6, S. 24-26) beschreibt der Historiker Wolfram Setz die «Schnheit des Leibes», die Michelangelo so sehr geliebt habe. (Von 1991 bis zu seinem Tod 2023 gab Wolfram Setz die verdienstvolle Reihe «Bibliothek rosa Winkel» heraus.) Die Bedeutung Michelangelos mchte ich nachfolgend aber nur fr den Beginn der Schwulenbewegung eingehender verdeutlichen. Nicht nur, weil jedem Anfang ja bekanntlich ein Zauber innewohnt, sondern auch, weil alles andere den Rahmen dieses Artikels sprengen wrde und weil es aus dieser Zeit auch mehr online verfgbare Quellen gibt. Fr die Mglichkeit der Recherche bedanke ich mich hiermit beim Centrum Schwule Geschichte.
Magnus Hirschfeld
Magnus Hirschfeld (1868-1935) grndete mit dem Wissenschaftlich-humanitren Komitee (WhK) die erste homosexuelle Interessenvertretung der Welt und gab das «Jahrbuch fr sexuelle Zwischenstufen» (JfsZ) heraus. In diesem Jahrbuch wurde rund 100-mal auf Michelangelo eingegangen. berwiegend handelt es sich um kurze Erwhnungen und Einreihungen Michelangelos in eine Art Ahnengalerie bedeutender Homosexueller, um Schwulen damit eine positive Identifikationsmglichkeit zu bieten. Er wurde regelmig als Genie bzw. groer Geist beschrieben, der zu den «herrlichen Sternen der Menschheit» (JfsZ, Jg. 1906, S. 361) gehre. Auch fr Magnus Hirschfeld selbst («Die Homosexualitt des Mannes und des Weibes», 1914, s. Register) war Michelangelo vor allem ein bedeutender schwuler Knstler. Interessant ist noch seine Ergnzung (S. 66), dass Michelangelos Fresko-Entwurf «Badende Soldaten» (= «Die Schlacht von Cascina») zu den Kunstwerken gehrte, «denen wir in den Wohnungen von Homosexuellen vielfach begegnen».
Das WhK verwies auch darauf, dass sich der irische Schriftsteller Oscar Wilde 1895 vor Gericht mit einem Hinweis auf Michelangelos Sonette zu verteidigen versuchte (JfsZ, Jg. 1901, S. 275), und organisierte am 19. Januar 1911 einen Vortrag ber «Eros und Freundschaft bei Michelangelo» (JfsZ, Jg. 1909, S. 343). Bis heute sind die Rezensionen im Jahrbuch hilfreich als Hinweis auf Literatur, die sich positiv mit Michelangelos Homosexualitt auseinandersetzte, wie Oswald Roeders Buch «Michel-Angelo» (JfsZ, Jg. 1907, S. 527-530). Besonders gelobt wurde die Studie von Ludwig von Scheffler «Michelangelo. Eine Renaissancestudie» (1892), die auch eine Grundlage fr den Aufsatz von Numa Praetorius (d. i. Eugen Wilhelm) ber «Michel Angelo’s Urningtum» (JfsZ, Jg. 1900, S. 254-267) bildete.
Ludwig von Scheffler vom Michelangelo-Kenner zum Untersttzer der Homosexuellenbewegung
In «Michelangelo. Eine Renaissancestudie» (1892) geht der Kunsthistoriker Johann Ludwig von Scheffler ausfhrlich darauf auf, wie sich Michelangelos homoerotische Gefhle in seinen Gedichten niederschlugen und wie die zeitgenssischen Autoren Benedetto Varchi und Ascanio Condivi seine Liebschaften beschrieben. Michelangelos Gedichte seien so Scheffler von dessen Groneffen nur zensiert herausgegeben worden, erst ab 1863 htten sie unzensiert erscheinen knnen. Einige Jahre spter (1896-1900 und 1911-1914) gab Scheffler die Tagebcher und Briefe des homosexuellen Dichters August Graf von Platen heraus.
Vermutlich wurde die junge Homosexuellenbewegung durch seine Michelangelo-Studie auf Scheffler aufmerksam. Danach war er nicht nur einer der ersten Unterzeichner der Petition zur Abschaffung des 175 (JfsZ, Jg. 1899, S. 261), sondern auch Autor im Jahrbuch (Scheffler: «Elagabal. Charakterstudie aus der rmischen Kaiserzeit», in: JfsZ, Jg. 1901, S. 231-264). Der oben schon genannte Aufsatz von Numa Praetorius ber «Michel Angelo’s Urningtum» lsst sich auch als (weitgehend positive) Rezension von Schefflers Studie lesen. Praetorius war erfreut, dass durch Scheffler der «Nachweis» von Michelangelos Homosexualitt «erleichtert» worden sei, er habe den «wahren Michel Angelo erst erschlossen». Er kritisiert nur am Rande, dass auch Scheffler die Gefhle nicht deutlich als homosexuell bezeichnet habe und daher seinen «Ausfhrungen eine gewisse Unklarheit und Unsicherheit» anhafte.
Adolf Brand
Adolf Brand (1874-1945) war neben Magnus Hirschfeld die wichtigste Person der frhen Homosexuellenbewegung und hatte mit gerade mal 21 Jahren mit «Der Eigene» die erste regelmig erscheinende Homosexuellenzeitschrift der Welt gegrndet. Zumindest literarisch konnte Brand mit Michelangelo viel anfangen. Zum einen zeigt er dies mit einem groen Beitrag in «Der Eigene» (1906), in dem er sechs Sonette Michelangelos an Cavalieri in der bersetzung und mit einer Einleitung von Ludwig Seifert abdruckt (S. 109-113) und diese mit einem Foto der Statue des sterbenden Sklaven illustriert (S. 115). Zum anderen brachte er als Verleger die Schrift «An Tommaso Cavalieri. Sonette von Michelangelo» (1914) heraus, die als Heft 6 seiner Schriftenreihe «Wegwalt-Drucke» erschien. Die bersetzung und das Vorwort stammen von Ludwig Karl Preyer, der auf Michelangelos Leidenschaft fr Cavalieri eingeht und darauf, dass dieser die Liebe nicht habe erwidern knnen. Alle Hefte der «Wegwalt-Drucke» sind zusammengefasst in einem Band 2013 als Reprint erschienen. Weil die Einleitung von Ludwig Seifert (1906) und das Vorwort von Ludwig Karl Preyer (1914) identisch sind, handelt es sich bei Seifert/Preyer um dieselbe Person. Hinsichtlich Michelangelos Bedeutung fr die Bewegung waren sich Magnus Hirschfeld und Adolf Brand wohl ausnahmsweise einig.
Die Literaturwissenschaftlerin Marita Keilson-Lauritz untersuchte in ihrer Dissertation «Die Geschichte der eigenen Geschichte» (1997) die Bedeutung der Literatur fr die Anfnge der Homosexuellenbewegung und kommt zu dem Schluss, dass Michelangelo zu den zehn fr die Bewegung wichtigsten Autoren gehrt habe. Vor allem bei Adolf Brand, aber auch bei Magnus Hirschfeld werde deutlich, dass Michelangelos Bedeutung fr die Homosexuellenbewegung in erster Linie auf seinen Dichtungen und erst in zweiter Linie auf seinen Skulpturen und Gemlden beruht habe. Diese These wird auch von weiteren Quellen untersttzt.
Weitere Quellen zur frhen Homosexuellenbewegung
Ohne die folgenden wichtigen Verffentlichungen wre die Aufzhlung ber die schwule Rezeption von Michelangelo wohl nicht ganz vollstndig. Von Elisar von Kupffer stammt die erste schwule Anthologie der Weltgeschichte, die unter dem Titel «Lieblingminne und Freundesliebe in der Weltliteratur» (1900, Reprint 1995, S. 86-89) erschien. Hier wurden sechs Liebesgedichte von Michelangelo an junge Mnner abgedruckt, die jeweils zur Hlfte in bersetzungen von Robert-tornow und Elisar von Kupffer. Elisar von Kupffer teilte sein Interesse an Kunst und Literatur mit seinem Lebenspartner Eduard von Mayer, der in seiner Rezension eines Buches ber die Sixtinische Kapelle auch auf Michelangelos «sexuelle Psyche» einging, die sich in dessen Jnglingsgestalten zeige («Magazin fr Literatur», 21. Dezember 1901, hier zitiert nach dem JfsZ, Jg. 1902, S. 874-875).
Eine weitere einflussreiche Verffentlichung in dieser Zeit war Albert Molls Buch «Berhmte Homosexuelle» (1910, S. 54-57). Der Sexualwissenschaftler leitet Michelangelos Homosexualitt weniger aus seinen Kunstwerken, sondern vor allem aus seinen Gedichten und Briefen ab und weist dabei sachlich fundiert auf zehn Verffentlichungen zu Michelangelos Leben hin. Zu Ludwig von Schefflers «Michelangelo. Eine Renaissancestudie» (1892) betont Moll ausdrcklich, Scheffler neige nicht dazu, «berall Perverses zu wittern». Dies ist vielleicht eine Spitze gegen seinen Kontrahenten Magnus Hirschfeld, mit dem er sich bei Michelangelo ausnahmsweise einig zu sein scheint.
Die heutige Bedeutung Michelangelos
Heute fehlt Michelangelo wohl in keinem Buch ber homosexuelle Kunstgeschichte. Fr James Small beispielsweise («Homosexualitt in der Kunst», 2003, S. 83) kommt Michelangelos «Leidenschaft fr die Darstellung homoerotischer Gefhle () ber sein gesamtes Leben in seiner Kunst und seiner lyrischen und leidenschaftlichen Dichtung zum Ausdruck». Sehr lesenswert ist nach wie vor auch der Beitrag von Rictor Norton «The Passions of Michelangelo» in: «Gay Roots. An anthology of gay history, sex, politics, and culture» (1991, S. 146-152).
Das groe Knstlerduell: Michelangelo gegen Leonardo da Vinci
Die Filmdokumentation «Michelangelo vs Leonardo» aus der Reihe «Die groen Knstlerduelle» (Staffel 1, Folge 1, 2016, hier online) ist zum Glck nicht so reierisch, wie es der Titel zunchst vermuten lsst. Es ist richtig, dass beide Knstler viel verbindet und trennt. Sie wirkten zur gleichen Zeit in Florenz und sind sich auch persnlich begegnet. Beide bekamen den Auftrag, jeweils ein Schlachtengemlde an die Wnde des groen Saals im Rathaus der Stadt Florenz zu malen. Michelangelos Werk wurde nicht vollendet, das von Leonardo spter zerstrt. Was bleibt, sind Entwrfe, die ihre unterschiedlichen Stile verdeutlichen. Michelangelo zeigt in seiner «Schlacht von Cascina» nicht ganz unerwartet 18 krftige nackte Mnner in einer dicht gedrngten Gruppe und lebhafter Bewegung.
Der Michelangelo-Experte Antonio Forcellino kommt bei seinem Vergleich auch auf den unterschiedlichen Umgang Michelangelos und Leonardos mit ihrer Homosexualitt zu sprechen (22:30-24:12 Min.; einige Zitate entstammen der Stimme aus dem Off): «Beide sind schwul, aber sie leben ihre Homosexualitt auf ganz unterschiedliche Weise aus. Michelangelo lehnt das irgendwie ab. Er tendiert dazu, es zu leugnen, und seine Biographen leugnen es ebenso, obwohl es offensichtlich war. () Dass Michelangelo () sich seine Neigungen nur in persnlichen Gedichten eingestand, hat wohl etwas mit seiner Religiositt zu tun. () Leonardo hingegen lebt seine Homosexualitt ohne Probleme. () Er leidet nicht unter seiner Homosexualitt und das ist ein weiteres Element, das ihn mit Michelangelo gleichzeitig verbindet und doch trennt.» Zwischen der Renaissance und der heutigen Zeit versucht diese Dokumentation eine nicht ganz einfache Brcke zu schlagen und so sind die Passagen ber Homosexualitt mit Bildern unterlegt, die offensichtlich einen aktuellen CSD in Florenz zeigen.
Der Interviewpartner im Film, Antonio Forcellino, ist auch der Autor des Buches «Michelangelo» (2007), in dem er die Homosexualitt des Knstlers untersucht und der Leser*innenschaft die provokante Sinnlichkeit seiner Werke im Kontext ihrer Zeit vor Augen fhrt.
Nebenbei bemerkt: ber Florenz, florenzen und ficken
In der Dokumentation «Michelangelo vs Leonardo» (2016) wird darauf hingewiesen, dass der Wirkungsort beider Knstler, Florenz, in Deutschland einen ganz bestimmten Ruf hatte: «‹Florenzenʿ sagte man auch in Deutschland, wenn man Sex wie in Florenz, also gleichgeschlechtliche Liebe, meinte» (22:50 Min.). Diese Zuschreibung gab es nicht in Italien aufgrund der irrealen Vorstellung, dass eine solche «Snde» immer nur von auen komme.
Dieser Hinweis aus dem Film lsst sich gut belegen und etymologisch zurckverfolgen. In «Die Sprichwrter und Sinnreden des deutschen Volkes in alter und neuer Zeit» (1840, S. 176) werden die Begriffe «florenzen» und «Florenzer» so erklrt: «Der sich lat florenzen, und der, so florenzet (nimm es active und passive,)» sei eine Snde, die man 1506 an zwei Mnnern in Straburg, die «bei ein ander geschlafen und ihre Ehfrawen verlassen», bestraft habe. Als Quelle fr dieses Zitat wird «Geiler» genannt, womit der Straburger Geistliche Johann Geiler von Kaysersberg, der bedeutendste deutsche Prediger des ausgehenden Mittelalters, gemeint ist. Dieser verwendete die Formulierung in seinem Buch «Die Brsamlin» (1517, Seite VII, Vorderseite, zweite Seitenzhlung) und ging damit fr seine Zeit ungewhnlich deutlich auf die «Snde» des aktiven und passiven Analverkehrs ein.
Schwule Knstler, die «noch schwuler als Michelangelo» sind
Die These, dass heutige schwule Fotografen Michelangelo bewusst nacheifern, hrt sich zunchst gewagt an, lsst sich aber leicht belegen. Dabei kommt es der Beliebtheit Michelangelos entgegen, dass sich das Idealbild des perfekten mnnlichen Krpers in den Bildenden Knsten weniger stark verndert hat als das des weiblichen. «Ein schlanker, trainierter Krper, ein markantes Gesicht, stramme Waden und ein knackiger Hintern, dazu ein verfhrerischer Blick (). Die Eigenschaften, die Michelangelos David so unwiderstehlich machen, sind dieselben, die uns auch heute noch an einem Mann faszinieren.» Das Zitat stammt nicht aus einem Geschichtsbuch, sondern aus der Werbung fr den Foto-Bildband «Natural Beauty» des Bruno Gmnder Verlages (queer.de, 7. Mai 2011). hnlich auch der Hinweis auf den Bildband «Heavenly Bodies» von David Vance: «Seine Bilder stehen in der Tradition der Halbgtter des griechischen Mythos und der Gemlde Michelangelos» (queer.de, 24. April 2009).
hnliches gilt fr die Aktmalerei: Zu den inspirierenden Vorbildern des Knstlers Matthew Stradling gehrt «Michelangelo ebenso wie Tom of Finland» (queer.de, 2. Mai 2016). Unter der berschrift «Noch schwuler als Michelangelo» wird auf die Zeichnungen und Aquarelle von Jordan Mejias in seinem Bildband «Of Men and Michelangelo» aufmerksam gemacht (queer.de, 21. September 2019). Nach 500 Jahren ist Michelangelo also in puncto homoerotische Mnnersthetik nicht meilenweit von uns entfernt, sondern offensichtlich sehr nah dran an unserem Blick auf Mnner.
David hat einen Stnder und hilft beim Coming-out
Zur schwulen Rezeption gehren fr mich nicht nur die knstlerische Hochkultur und die dazugehrenden wissenschaftliche Arbeiten, sondern in gleichem Mae auch die Trivialkultur als Ausdruck des Zeitgeistes. Ich fand es unterhaltsam, dass in der deutschen Filmkomdie «Die Geschichte der Menschheit leicht gekrzt» (2022, hier Trailer) Michelangelo seinen David mit einem prchtigen marmorharten Stnder erschafft. Durch einen Unfall bricht der Penis jedoch ab und der Knstler muss improvisieren. Vielleicht muss man Michelangelos David-Statue nicht kennen, um an dieser Stelle herzhaft lachen zu knnen, aber ohne ein Spielen mit dem homoerotischen Begehren des Knstlers wrde der Humor dieser Filmszene nicht funktionieren.
In den USA gilt brigens schon der nackte David (ohne Erektion) als pornografisch. Eine Schulleiterin in den USA kostete es sogar den Job, dass sie die David-Statue von Michelangelo im Unterricht zeigte (s. a. queer.de). Zum Glck sind mit dem «David» aber auch positive Geschichten verbunden: Unter der berschrift «Wie Michelangelos David beim Coming-out half» (SRF, 13. Februar 2020) berichtet Marion Lhndorf von sehr erfolgreichen queeren Museumsfhrungen im Victoria and Albert Museum in London. Zur Fhrung gehren auch eine Kopie von Michelangelos «David» und der Hinweis, dass Mnner mit einer solchen Figur in der viktorianischen Zeit einen verschlsselten Hinweis auf die eigene sexuelle Orientierung geben konnten. Diese queeren Museumsfhrungen schaffen es, mit einem 500 Jahre alten Kunstwerk eine fr viele Besucher*nnen bisher unbekannte Geschichte zu vermitteln. Das Publikum in London uerte sich begeistert brigens unabhngig davon, ob queer oder nicht.
Was bleibt…
…ist Kunst von einem groen Knstler, die aber vielleicht gar nicht das ist, was sie vorzugeben scheint. In der Filmdokumentation «Michelangelos dunkles Geheimnis» wird behauptet, dass Michelangelo mit den «Spirituali» sympathisiert habe, die die katholische Kirche von innen heraus reformieren wollten. Wenn Michelangelo fr sich die Grundstze der Kirche in Frage stellte, msse er, so der Film, auch mit seiner eigenen Rolle gehadert haben, weil einer seiner Hauptauftraggeber Papst Julius II. war. Mit dem Juliusgrabmal habe er dem Papst letztendlich nicht die Ehre bereitet, die sich der Papst von ihm gewnscht hatte. Michelangelo wird hier als ein unangepasster Knstler geschildert und sogar als «Rebell» bezeichnet. Diese Annahmen sind und bleiben spekulativ.
Die Themen von Michelangelos Kunst wie «David» oder «Schlacht von Cascina» wurden vom Auftraggeber in beiden Fllen der Rat der Stadt Florenz vorgegeben. Wie Michelangelo diese Auftragsarbeiten umgesetzt hat, ist knstlerisch zumindest ungewhnlich. Es ist grundstzlich mglich, dass er mit seiner untypischen Darstellung des «David» nie die Absicht hatte, eine biblische Figur zu gestalten. Bei der «Schlacht von Cascina» hat er keine gewaltttige Schlacht gezeigt, sondern nur die Situation davor. Das, was die Kunstwerke Michelangelos vordergrndig zeigen, diente vielleicht nur ihrer ueren Legitimation. Auch diese Annahme ist spekulativ. Wenn diese Annahme jedoch zutrifft, wre sein Werk mit seiner breiten subversiven Homoerotik eine der sthetischsten Mogelpackungen der Welt.
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