
Wagners Oper «Tannhuser» mit schwulem Kuss
Die Neuproduktion von Richard Wagners «Tannhuser» in der Wiener Staatsoper beginnt mit einem queeren und wildem Gelage. Alle Beteiligten haben Spa miteinander. Frauen schmiegen sich an Frauen. Leicht bekleidete Mnner im Glitzer-Kostm tanzen miteinander. Dann gibt es Menschen, bei denen das Geschlecht nicht erkennbar ist. Im Mittelpunkt des ersten Akts der Oper steht die Liebe und die Lust, von der Richards Wagner tragischer Held, der Knstler Tannhuser (gespielt von Clay Hilley), fliehen mchte.
Auch im dritten Akt der Wiener Inszenierung setzt die aus Amerika stammende Opernregisseurin Lydia Steier auf Queerness. Hier hat sie eine homoerotische Handlung eingebaut. Anders als im Text von Wagner ist Wolfram von Eschenbach (gespielt von Martin Gantner) nicht in eine Frau, sondern in die Hauptfigur Tannhuser verliebt. Wolfram trumt vom innigen Zusammensein mit Tannhuser.
Das sexuelle Verlangen und erotische Begehren wird auf der Bhne so dargestellt, als ob es sich um die Realitt handeln wrde. Tannhuser und Wolfram kssen sich leidenschaftlich. Wolfram ist glckselig. Im Hintergrund tanzen zwei Mnner eng umschlungen im schwarzen Frackanzug. Der in Tannhuser verliebte Wolfram singt zuvor: «O du, mein holder Abendstern, wohl grt› ich immer dich so gern.» Doch das Ganze bleibt ein Traum. Im tatschlichen Leben hlt Wolfram seine Homosexualitt streng geheim.
Wenig queere Handlungen in der Wiener Staatsoper
In der Wiener Staatsoper sind queere Handlungen und schwule Ksse eine Seltenheit (queer.de berichtete). Dabei wurde das Gebude von einem schwulen Paar geplant. Um den Auftrag haben sich Architekten aus ganz Europa beworben. Durchgesetzt haben sich August Sicard von Sicardsburg (1813-1868) und Eduard van der Nll (1812-1868). Beide haben die sterreichische Architektur der damaligen Zeit geprgt. Sie konnten ihre Homosexualitt nur im Verborgen ausleben. Denn gleichgeschlechtliche Liebe war in der sterreichisch-ungarischen Monarchie verboten, wobei meist Menschen aus rmeren Schichten verhaftet und zu Gefngnisstrafen verurteilt wurden.
Mit der neuen Inszenierung von Wagners «Tannhuser» feiert die international viel beachtete Regisseurin Lydia Steier ihr Debt an der Wiener Staatsoper. Ihr ist es ein Anliegen, mit ihren Auffhrungen einen Gegenwartsbezug herzustellen und das Publikum zum Nachdenken anzuregen. Beim Wiener «Tannhuser» zeigt sie, wie schnell sich die Zeiten ndern und es zu einem Backlash kommen kann. Die Darstellungen im ersten Akt mit viel Diversitt und erotischer Freizgigkeit erinnern an die goldenen 1920er Jahre in Berlin. Dort gab es ein ausschweifendes Nachtleben und viele Bars sowie Clubs fr Homosexuelle. Auch trans Personen zog es nach Berlin. Doch dann kam es mit den Nazis zu einer dramatischen gesellschaftlichen und politischen Gegenreaktion.
Dementsprechend spielt der zweite Akt in den frhen 1940er Jahren. Zwar verzichtet die Regisseurin auf klar erkennbare Nazi-Symbole. Aber das Bhnenbild erinnert im zweiten Akt an Hitlers Architekten Albert Speer, der fr die Monumentalbauten der Nazis verantwortlich war. Auch die Handlung ndert sich schlagartig. Mit dem wilden und erotischen Tanz in Glitzerkostmen ist es vorbei. Statt Diversitt haben die Nazis strikte Uniformitt und Gleichschaltung angeordnet. Auch auf der Bhne ist nur noch die binre Geschlechterordnung und Heteronormativitt erkennbar.
Tragische Familiengeschichte der Regisseurin
Die Regisseurin deutet mit dieser Inszenierung tragische Ereignisse in ihrer Familiengeschichte an. Steier ist 1978 in Conneticut (USA) geboren und aufgewachsen. Ihr jdischer Grovater stammt aus Wien. Er floh 1938 vor den Nazis. Zum Glck schaffte er es rechtzeitig in die USA. Seine Eltern wurden von den Nazis in ein Konzentrationslager deportiert und dort umgebracht.
Steiers Grovater arbeitete in Wien im «Ronacher». Das in der Wiener Innenstadt gelegene Variettheater war in den 1920er und frhen 1930er Jahren fr freizgige Bhnenshows bekannt. Auch die Schwarze Tnzerin Josephine Baker trat 1932 in Wien im «Ronacher» auf. Baker ist eine queere Ikone. Sie liebte Frauen und Mnner (queer.de berichtete). Die Nazis machten alles zunichte. Das «Ronacher» wurde arisiert. Der damalige jdische Miteigentmer des Theaters Samuel Schngut wurde 1944 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. Der Grovater der Regisseurin, der im «Ronacher» arbeitete, war mit Schngut befreundet.
Fr den Wiener «Tannhuser» hat Steier die heteronormative und patriarchale Haupthandlung von Richard Wagner beibehalten. Tannhuser ist zwischen zwei Frauen hin- und hergerissen. Er begehrt Venus sexuell. Auf der anderen Seite steht Elisabeth, fr die Tannhuser eine tiefe und reine Liebe sprt. Die Zerrissenheit hat viel mit der Biografie von Wagner zu tun.
Ihr Herz schlgt mehr fr den schwulen Wolfram
Im Programmheft verrt die Regisseurin, dass ihr Herz nicht fr Tannhuser oder die beiden Frauen, sondern mehr fr den in der Wiener Inszenierung schwulen Wolfram schlgt. Wolfram wird als braver und angepasster Mann dargestellt. Er ist in Tannhuser verliebt, kann dies aber nur im Geheimen zeigen. Nur in seinen Trumen kann er sich dem erotischen Begehren und dem Kuss hingeben.
Wolfram sei neidisch auf Tannhuser, «weil er nicht so authentisch sein und das Leben nicht ausleben kann», erzhlt die Regisseurin. Der angepasste Wolfram knne vielleicht mit einem aufgeklebten Lcheln bei einer Veranstaltung sitzen, aber Tannhuser beherrsche das nicht. Tannhuser knne sagen: «Schei drauf, ich gehe!» Laut Steier wollen «wir alle manchmal Tannhuser sein, inkorrekt agieren, selbst, wenn das qulerisch ist». Doch ihr Herz, so die Regisseurin, schlage mehr fr Wolfram. Denn Steier wei aus eigener Erfahrung, wie sich die Zwnge der Gesellschaft anfhlen.
«Um als Frau in unserer Regiebranche berhaupt berleben zu knnen, muss man sich oft anpassen, viel lcheln und brav sein», erzhlt die Regisseurin. «Es ist wirklich verblffend, aber Frauen drfen deutlich weniger die Sau rauslassen als ihre mnnlichen Regiekollegen.» Hier gelten nach wie vor andere Parameter. «Fr alle gibt es Regeln, aber als Frau muss man deutlich mehr Regeln im Blick behalten», so Steier. Zwar sei Wolfram keine Frau. «Aber ich verstehe, wie er sich unter den Zwngen der Gesellschaft fhlt.»
Steier zog von den USA nach Europa und arbeitete sich in der Opernwelt nach oben, was mit viel Anstrengung verbunden ist. Sie hatte viel mit mnnlichen Regisseuren zu tun. «Urlaub kenne ich von zu Hause nicht», erzhlt sie im Interview mit der Tageszeitung «Die Presse». «Mein Vater hat vielleicht ein- oder zweimal im Jahr ein verlngertes Wochenende mit uns gemacht, aber nie Urlaub.» Sie, so Steier, wsste so gerne, wie man abschaltet: «Das ist etwas, was ich nie gelernt habe.»
«Lebenslange Heimatlosigkeit»
Schlielich gibt es noch einen weiteren Berhrungspunkt zwischen der Regisseurin und der Wagner Oper. Im «Tannhuser» sind die beiden Protagonisten Tannhuser und Wolfram heimatlos. Steier beschreibt dies im Programmheft als ein «Zwischen-den-Welten-Sein» und «Seinen-Platz-nicht-Finden».
Der Regisseurin geht es hnlich. Sie lebt mittlerweile in Deutschland, wo sie sich aber nicht heimisch fhlt. «Da ist quasi eine lebenslange Heimatlosigkeit», erzhlt sie im «Presse»-Interview. Hier teilt sie eine Gemeinsamkeit mit einigen queeren Personen, was beim schwulen Wolfram in der Wiener Inszenierung deutlich wird.
Links zum Thema:
Mehr Infos zur Inszenierung, Termine und Karten auf der Homepage der Wiener Staatsoper
Mehr queere Kultur:
auf sissymag.de