«Warte, warte nur ein Weilchen»  Tod eines schwulen Serienmrders
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«Warte, warte nur ein Weilchen» Tod eines schwulen Serienmrders

In der Nacht starrten ihn beleuchtete Schdel aus den Ecken seiner Gefngniszelle an, die Augenhhlen mit rotem Papier beklebt. In einem Winkel der Zelle lag ein Sack mit Menschenknochen. Derart mrbe gemacht, gab Fritz Haarmann die grausige Wahrheit schlielich zu: Er war es, der als «Werwolf von Hannover» mindestens 24 Jungen und junge Mnner bestialisch gettet hatte.

Doch so schaurig es war, bald sang man auf der Strae Lieder ber den unheimlichen Mrder, zu einer damals populren Schlagermelodie: «Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu dir.» Vor 100 Jahren wurde der Serienmrder hingerichtet.

«Mediales Groereignis»

«Dieser Fall ist fr mich immer ein gewisses Rtsel geblieben», sagte der wissenschaftliche Leiter des Polizeimuseums Niedersachsen in Nienburg, Dirk Gtting. Es sei eigenartig, dass der Fall des schwulen Serienmrders «ber die Jahre einen solchen Status bekommen» habe: «Es ist immer ein mediales Groereignis gewesen.» Eine morbide Faszination bleibt offensichtlich.

Denn der beispiellose Fall fesselt wohl auch Knstler*innen Gtz George verkrperte Haarmann 1995 in dem preisgekrnten Kinofilm «Der Totmacher», entstanden anhand der protokollierten Gesprche, die der Psychiater Ernst Schultze mit Haarmann fhrte. Am Schauspiel Hannover gab es ein Musical, der Fall Haarmann wurde darber hinaus literarisch verarbeitet, etwa als Graphic Novel. In Hannover gibt es zudem Stadtfhrungen auf den Spuren des 1879 geborenen Verbrechers. Und: Der Serienmrder mit dem Hackebeil tauchte in Hannover als Figur auf einem Adventskalender auf.

Halsschlagader durchgebissen

Schon frh wurden die unfassbaren Verbrechen Haarmanns auf Ausstellungen prsentiert: 1926 gab es eine groe Polizeiausstellung in Berlin dort zeigte die Polizei Hannover das Haarmann-Zimmer aus der Strae Rote Reihe, wie Gtting sagte. Unter anderem an dieser Adresse in Hannover wohnte der Serienmrder.

Was wei man ber den Fall? Zwischen 1918 und 1924 ermordete der polizeibekannte Kriminelle mnnliche Kinder und junge Mnner im Alter zwischen 10 und 22 Jahren. Haarmann erdrosselte seine Opfer oder biss ihnen womglich in Ekstase die Halsschlagader durch. Viele waren Ausreier und wurden in den Wirren der Nachkriegszeit zunchst nicht vermisst. Die Leichen zerstckelte er und warf sie in die Leine, die Kleidung verkaufte er. Als Kinder am Ufer der Leine im Frhjahr 1924 Knochen fanden, waren dies erste Hinweise auf die Mordserie.

Haarmann war Polizeispitzel

Am 22. Juni 1924 wurde er festgenommen zunchst nur, weil er mit einem Jugendlichen in Streit geraten war. Die Polizei fand bei der Durchsuchung seiner Wohnung Hinweise auf die Verbrechen, darunter Blutspuren und blutbefleckte Kleidungsstcke junger Mnner. Allerdings gab es lange vorher Hinweise zum ersten Mord Haarmanns soll es schon 1918 gekommen sein. Nur: Hinweise aus der Bevlkerung kannte man nicht im Kaiserreich, sie wurden nicht ernst genommen, wie Gtting erklrte.

Dazu kam: Der bekannte Kleinkriminelle diente der Polizei als Spitzel. Fritz Haarmann versorgte die Behrde nach dem Ersten Weltkrieg mit Informationen aus dem Rotlichtmilieu. Hinweisen auf Haarmann als Tter ging die Polizei daher zunchst nicht nach man kannte sich schlielich. Als die Beweise eindeutig waren, wurde er festgenommen und sogar gefoltert, wie Gtting sagte.

Nicht das echte Beil

Im Polizeimuseum in Nienburg ist unter anderem der Nachbau einer Zelle des Polizeigewahrsams in Hannover in der Weimarer Republik zu sehen. Dort sa Haarmann nach seiner Verhaftung ein. Auch ein Beil wird gezeigt. Dessen Provenienz sei aber fragwrdig, bei einer forensischen Untersuchung vor 25 Jahren seien keine Spuren gefunden worden, sagte der Polizeihistoriker.

Haarmann gestand schlielich nach tagelangem Verhr. Der Psychiater Ernst Schultze sollte untersuchen, ob er zurechnungsfhig war und kam zu dem Schluss, dass Haarmann fr seine Taten verantwortlich war. Im Dezember 1924 verurteilt das Landgericht Hannover den Serienmrder zum Tode, am 15. April 1925 wurde er enthauptet. Sein in Formalin eingelegter Kopf lagerte lange in der Gttinger Rechtsmedizin und wurde erst 2014 eingeschert und anonym bestattet.

Wie viele Menschen ttete er wirklich?

Prozess und Urteil sorgten immer wieder fr Kritik: An der Zurechnungsfhigkeit Haarmanns zum Zeitpunkt der Morde htte zumindest gezweifelt werden mssen, schrieb Christine Pozsr, Expertin fr forensische Psychiatrie, in «Die Haarmann-Protokolle». Seine Steuerungsfhigkeit zum Zeitpunkt der Taten drfte zumindest erheblich eingeschrnkt gewesen sein. Misshandlungen Haarmanns in seiner Kindheit kamen demnach kaum zur Sprache, Krampfanflle und mgliche organische Schden nach einer Hirnhautentzndung auch nicht.

Vieles drfte fr immer ungeklrt bleiben: Kannibalismus wurde Haarmann vorgeworfen, aber nie nachgewiesen. Fraglich bleibt auch, wie viele Menschen Haarmann tatschlich gettet hatte. Gtting: «Es spricht sehr viel dafr, dass die Zahl hher ist als die, fr die er verurteilt wurde.» (cw/dpa)