
Warum wir in der queeren Community ber das Alter reden sollten
Wir reden nicht gerne ber das Alter und sollten es aber tun. Denn wir knnen nicht davon ausgehen, dass wir im Laufe unseres Lebens nicht doch eines Tages auf Untersttzung und Hilfe anderer angewiesen sind, was immer der Grund dafr sein mag. Und Grnde gibt es viele gesundheitliche beispielsweise oder prekre Lebensverhltnisse, Einsamkeit. Schon der Verlust der Selbstndigkeit bedeutet eine tiefe Zsur in einem Menschenleben.
Wir als queere Menschen haben immer irgendwann in unserem Leben angefangen dafr zu kmpfen, selbstbestimmt leben zu knnen, gleich ob es dabei um unsere sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identitt geht. Wir haben bei allen Widerstnden, die wir tagtglich erfahren, bis heute viel in Sachen queerer Sichtbarkeit erreicht und drfen darauf stolz sein. Wie aber ist es um diese Selbstbestimmung bestellt, wenn wir hilfe- und pflegebedrftig geworden sind?
Im Alter wieder unsichtbar gemacht
Gerade queere Menschen sollten ein Interesse daran haben, dass die bestehenden Einrichtungen der Altenhilfe auf unsere Bedarfe und Bedrfnisse eingehen und dass wir gewiss sein knnen, dort in unserem Queer-Sein willkommen geheien zu werden. Das ist leider keine Selbstverstndlichkeit oder, um genau zu sein, heute noch die Ausnahme, wenn wir uns in Senior*innen-Wohnheimen, ambulanten und stationren Pflegeeinrichtungen, Freizeitsttten oder Hospizen umsehen oder uns auch die Lehrplne von Pflegeschulen ansehen.
Natrlich stehen die vorhandenen Einrichtungen allen lteren Menschen offen, aber werden wir als queere Menschen dort respektiert und akzeptiert? Oder werden wir pltzlich wieder unsichtbar in unserem Schwul-, Bi- und Lesbisch-Sein, als trans, inter und nichtbinre Menschen? Wir haben also allen Grund, ber das Altwerden und das Alter zu reden.
Auch wenn wir bei der Frage der ffnung der Altenhilfe-Einrichtungen fr LGBTI erst am Anfang stehen, so bleibt doch festzuhalten: Es ist bereits einiges in Gang gekommen. Damit meine ich nicht nur die Initiativen, die aus den Communitys selbst entstanden sind wie etwa die schwulen und lesbischen Wohnprojekte und ebenso die Organisationen, die sich fr die Interessen lterer queerer Menschen stark machen. Da wren Vereine zu nennen wie Lesben und Alter, Rad und Tat (RuT), die Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS) und die Schwulenberatung in Berlin mit ihrer Fachstelle LSBTI und Altern. Wir stehen auch lngst nicht mehr alleine und knnen heute auf Verbndete zhlen. Hier wre vor allem der Sozialverband AWO hervorzuheben.
Das Mitgedacht-Werden ist das Entscheidende
Die groe Aufgabe der gesellschaftlichen Inklusion im Bereich Alter kann nicht von der Community alleine bewltigt werden, um die bestehenden Infrastrukturen fr ltere Menschen auf ein queersensibles Niveau zu bringen. Jedenfalls darf sich die vielbeschworene Sichtbarkeit nicht darin erschpfen, dass wir uns im Alltag in Dauerschleifen des Outings bewegen mit der Unsicherheit, ob wir Akzeptanz und Solidaritt erfahren, sondern vielmehr, dass wir im Sinne der Gleichstellung und Gleichberechtigung mitgedacht werden.
Das Mitgedacht-Werden ist das Entscheidende. Nach meinen Erfahrungen (ich beschftige mich seit drei Jahren mit dem Thema trans und Alter, mandatiert vom Bundesverband Trans*) wird das fr die Zukunft noch lange eine Herausforderung bleiben und nicht zuletzt mit Blick auf eine Politik, die immer konservativer bis rechter wird und mit der die Anerkennung unserer berechtigten Forderungen nicht leichter wird. Im Gegenteil, gewisse Bndnisse und Parteien, die uns nur als «skurrile Minderheiten» und «Gender-Gaga» wahrnehmen, werden sich nicht fr unsere Forderungen interessieren, weil sie uns am liebsten in die Abstellkammer schieben wrden.
Queerpolitische Menschenrechtskonferenz der SPD
Doch, wie schon gesagt, es bewegt sich einiges im zivilgesellschaftlichen Bereich wie auch in der Politik. Fr Letztere ist ein gutes Beispiel, die am 27. September in Berlin stattfindende 2. Queerpolitische Menschenrechtskonferenz, veranstaltet von der SPD-Bundestagsfraktion (leider sind dafr aktuell keine Anmeldungen mehr mglich).
ber den Tag verteilt wird es zahlreiche Panels geben mit Diskussionen zu menschenrechtlich relevanten Themen, die ber den nationalen Tellerrand weit hinausgehen und internationale Beziehungen und Entwicklungen in den Blick nehmen. Um nur einige zu nennen: Wie sieht die Lebenssituation queerer Menschen in Afrika aus? Was knnen wir von Malta etwa im Umgang mit trans lernen? Wie steht es um die Geschlechterdiversitt in Medizin und Wissenschaft? Wie begegnen wir Queerfeindlichkeit, die rund um den Globus fr alarmierende Meldungen sorgt?
Eines der Panels wird sich dem Thema Queere Menschen im Alter widmen. Zu wnschen wre, dass mit dem Gesprch das Bewusstsein fr notwendige wie dringende Vernderungen vertieft werden kann. Wnschenswert wre fr mich ebenso, dass im Alltag der queeren Communitys Altwerden und Alter nicht lnger ausgeblendet wird.
Altersbericht erstmals mit LGBTI-Kapitel
Mit queer assoziieren wir eher Jugend und Jungsein, als wre das Leben eine Dauerparty. Das darf gerne so sein und funktioniert auch ein stckweit in unserem Leben so, aber irgendwann meldet sich die Biologie in uns und lsst uns eines Tages fragen: Gibt es auch Partys fr Senior*innen? Ich will keine Spielverderberin sein, aber niemand wird, wenn es um ein selbstbestimmtes Leben im Alter geht, wieder bei null anfangen wollen.
Ein weiteres positives Signal geht vom Neunten Altersbericht aus, der ursprnglich in diesem Monat vom Familienministerium (BMFSFJ) verffentlicht werden sollte und nun wohl erst Anfang 2025 der ffentlichkeit prsentiert wird, was immer dafr der oder die Grnde sein mgen. In dem Altersbericht gibt es erstmals ein LGBTI gewidmetes Kapitel, das empirische Erhebungen enthalten wird, die freilich auf die Erkenntnis hinauslaufen, dass nach wie vor eine generationenbergreifende Sozialstudie zur Lebenssituation queerer Menschen fehlt und damit fehlen verlssliche, belastbare Zahlen. Begrenswert bleibt, dass die von den jeweiligen Bundesregierungen seit 1993 in Auftrag gegebenen Altersberichte nun endlich nach dreiig Jahren auch die sexuelle und geschlechtliche Diversitt wahrnehmen.
Die erstmals 2006 vom BMFSFJ verffentliche Charta der Rechte hilfe- und pflegebedrftiger Menschen hat zwar die Selbstbestimmung fr ltere Menschen festgeschrieben, aber auch da bleibt der Fokus ausgesprochen heteronormativ, zumindest ist von geschlechtlicher Vielfalt nirgendwo die Rede. Gerade die Bereiche Pflege, Betreuung und Behandlung (Artikel 4 der Charta) wie auch Kommunikation, Wertschtzung und Teilhabe an der Gesellschaft (Artikel 6) setzen die Sensibilisierung fr die spezifischen Bedarfe von queeren Menschen voraus, um auch ihnen gerecht zu werden.
Lasst uns also zur Abwechslung mal ber das Altwerden und das Altsein sprechen. Denn wir hren damit ja nicht auf, queer zu sein, auf welche Weise wir es auch immer sind. Wenn wir Menschenrechte und die darin verankerte Selbstbestimmung ernst nehmen, gibt es keine Alternative zur Queerfreundlichkeit in den Einrichtungen der Altenhilfe. Nur entsteht die nicht von selbst, aber sie ist erlernbar.